Versuche des Westens, eine militärische Kampagne gegen den erstarkenden „Islamischen Staat“ aufzubauen, stoßen auf enorme Hindernisse
von Birgit Cerha
Fünf Jahre nachdem Rebellen mit westlicher Hilfe Libyens Diktator Gadafi von der Macht fegten und das Land immer tiefer ins Chaos stürzten, erhält der Westen eine zweite Chance, diesen unterdessen gescheiterten Staat vor Europas Haustür vielleicht doch noch zu stabilisieren. Intensive militärische Hilfe soll dies erreichen. 21 Staaten, drunter die fünf Vetomächte des UNO-Sicherheitsrates, beschlossen Montag spätabends in Wien die vor kurzem mit UN-Hilfe gebildete Übergangsregierung Fayez al-Sarradsch mit Waffen und Ausrüstung für den Kampf die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) zu unterstützen und dafür das 2011 gegen Libyen verhängte Waffenembargo zu lockern.
Libyen ist an einem auch für Europa höchst gefährlichen Kreuzpunkt angelangt. Seit dem Sturz Gadafis herrschen im Land mehr als tausend miteinander blutig rivalisierende Milizen und zwei einander bekämpfende Regierungen, die eine in Tobruk, die andere in der Hauptstadt Tripolis. Libyen ist de facto in zwei Teile zerrissen. Zwar gelang es der UNO nun eine international anerkannte neue Übergangsregierung auf die Beine zu stellen, die im April In Tripolis einzog und sich allmählich die Unterstützung von Teilender dortigen politischen Führung sichern konnte. Doch Sarradsch hat immer noch viele Gegner und das Land droht immer tiefer im Chaos zu versinken. Diese Krise versteht der IS höchst effizient zu nützen, um vor den Toren Europas einen neuen Stützpunkt aufzubauen, während sich Terror und Menschenhandel mit den Zehntausenden afrikanischen Flüchtlingen immer mehr ausbreiten.
Zahlreiche Milizen nutzen die wachsenden Ängste des Westens vor dem IS-Terror und bieten sich als Kämpfer gegen die Jihadis an, um sich militärische Unterstützung zu sichern. Dass sie die erhofften Waffen nicht auch – oder gar primär – für ihre ureigensten Interessen, den Kampf gegen Rivalen, einsetzen, bleibt zu fürchten. Ohnedies beschreiben Sicherheitsexperten Libyen als einen „Waffenbasar“, gespeist durch die riesigen, von Gadafi über Jahrzehnte angelegten Arsenale – ein idealer Spielplatz für IS-Terroristen, die vor den Luftangriffen in Syrien und im Irak an die nordafrikanische Küste fliehen. Doch der UNO-Libyenbeauftragte Martin Kobler ist überzeugt: „Wir brauchen die modernsten Waffen, um den IS zu vernichten.“ Dass auch dieses Kriegsgerät in die Hände höchst gefährlicher Kräfte fallen könnte, bleibt eine permanente Gefahr. Denn viele Milizen verfolgen nicht nur höchst undemokratische Stammesinteressen, unter ihnen sind auch radikale Salafisten vom Schlage des IS oder der Al-Kaida, Rauschgift-, Menschenhändler und andere Kriminelle, sowie ehemalige anti-islamistische Militäroffiziere mit stark autoritären und inhumanen Zügen.
So manche libysche Stämme sympathisieren auch mit dem IS, wie etwa jene in der Region von Sirte. Als der IS im Vorjahr in die Stadt ein Hauptquartier einrichtete, fühlten sie sich befreit von den brutalen Milizen aus Misrata, die dort monatelang geherrscht hatten. Allerdings berichten unterdessen Flüchtlinge aus Sirte von hohen Schutzgeldern, die der IS, der sich unterdessen auf geschätzte 6000 Kämpfer stützen kann, von Geschäftsleuten einhebt und wiederholten Exekutionen.
Das tief zersplitterte Land hinter der neuen Regierung zu einen, ist die größte Hürde für die internationalen Helfer, die nur erfolgreich sein können, wenn ihre Unterstützung an zentrale nationalen Institutionen fließt. Bisher ist es Sarradsch nicht gelungen, den mächtigen Kommandanten der sog. „Libyschen Nationalarmee“, General Khalifa Haftar, auf seine Seite zu ziehen. Haftar bereitet sich auf die Eroberung Sirtes vor, um sich damit eine mächtige politische Position zu sichern. Dabei kann er sich auf die Hilfe arabischer Verbündeter des Westens, wie Ägypten und Saudi-Arabien, stützen und ist wenig motiviert, sich Sarradsch anzuschließen.
Ein anderes Problem sind die fehlenden Militärstrukturen. Die NATO hatte sie 2011 zerschlagen. Sie gilt es nun so rasch wie möglich wieder aufzubauen. Doch Experten mahnen, dass sich durch militärische Hilfe allein der Kampf gegen den IS nicht gewinnen und das Land nicht stabilisieren lässt. Libyens Sicherheitsprobleme werden nicht nur durch die die Spaltung des Landes, die Rivalitäten der häufig ihre Loyalitäten wechselnden Milizen gespeist, sondern auch durch den wirtschaftlichen Zusammenbruch, die wachsenden sozialen Nöte und die Perspektivlosigkeit der Menschen.
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