Mittwoch, 11. Mai 2016

Kurden – Die ewigen Opfer der Geschichte

Hundert Jahre nach dem Sykes-Picot-Abkommen fühlen sich die Kurden immer noch von den Weltmächten verraten
 
„Die Realität“ habe das Modell der „erzwungenen Koexistenz“ falsifiziert. Die Weltdiplomatie müsse dies endlich akzeptieren und die Grenzen im Nahen Osten neu Ziehen, mahnte jüngst der Präsident der Kurdischen Regionalregierung im Irak, Massoud Barzani mit Blick auf den hundertsten Jahrestag des Geheimabkommens zwischen dem britischen Diplomaten Mark Sykes und seinem französischen Kollegen Francois George-Picot. Am 16. Mai 1916 hatten die beiden ein Geheimabkommen geschlossen, um das zerfallende Osmanische Reich weitgehend unter den beiden Großmächten aufzuteilen. Die Kurden, dieses größte Volk der Welt ohne Staat, wurden dabei völlig ignoriert. Selbst Sykes, der  durch Feldstudien in Kurdistan und eine wissenschaftliche Abhandlung über  „The Kurdish Tribes of the Ottoman Empire“ intime Kenntnisse über dieses Volk erworben hatte,  hegte wenig Sympathie für dessen Sehnsüchte nach Selbstverwaltung.
Im Zuge der jahrelangen geopolitischen Umwälzungen des Ersten Weltkrieges bot sich den Kurden niemals die Option eines eigenen Staates. Im besten Fall hätten sie sich vielleicht unter eine Art von Großbritannien gesponserte „Semi-Unabhängigkeit begeben können.  Nach dem  von späteren  Verträgen abgelösten Sykes-Picot-Abkommen sollten Kurdenregionen des heutigen Syrien und der Türkei  unter französische Kontrolle gestellt, das Gebiet östlich des nord-irakischen Kirkuk unter britische und der südöstlichste Türkei in einen armenischen Staat eingegliedert werden. Der Status der in Persien lebenden Kurden blieb unberührt.
Der türkische Soziologe Ismail Besikci spricht von einer internationalen „antikurdischen Ordnung“, die bis heute anhält. Der Status, den Groß- und Regionalmächte den Kurden seit hundert Jahren zugestehen sei „noch erniedrigender als jener einer Kolonie“. Zerrissen durch willkürlich gezogene Grenzen, aufgeteilt auf vier Staaten (Türkei, Syrien, Irak und Iran) erlitt und erleidet das kurdische Volk ein Dasein unter Okkupation, die, in Kollaboration mit äußeren Mächten bis zu genozidartige Ausmaße erreichte. Die Regionalmächte versuchten – und versuchen teilweise bis heute – nicht nur die kurdische Identität zu zerstören, sondern dieses Volk auch politisch zu vernichten. Die internationale Gemeinschaft akzeptierte die Kurden nie als „Subjekt der Politik“. Mit Ausnahme der Konferenz in Sevres 1920, als die die Kurden vage Versprechungen eines ihrer geographischen Ausdehnung keineswegs entsprechenden Staates erhielten, nahmen nie kurdische Repräsentanten an den zahlreichen Konferenzen über die Gestaltung der Region teil. Diese Haltung setzt sich heute fort. Syriens Kurden sind die wichtigsten lokalen Partner des Westens im Bodenkampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“, mutig und bereit, ihr Leben zu geben. Doch von der internationalen Konferenz über die Zukunft Syriens und die Gestaltung ihres eigenen Schicksals bleiben sie ausgesperrt.
Politische Fehlentscheidungen, interne Rivalitäten und die Unfähigkeit, eine gemeinsame Position zu finden,  trugen dazu bei, dass sich die Kurden unter den Großmächten keinen verlässlichen Partner für den Kampf um ihre Grundrechte sichern konnten.  Bis heute hält die internationale Gemeinschaft an den alten Grenzen fest. So setzt sich eine große historische Ungerechtigkeit fort, verschärft durch neue Methoden: Durch die Zerstörung von zahllosen kurdischen Dörfern, sogar Städten (etwa Kobane) wird heute versucht, die Grenzregion zwischen Syrien und der Türkei in eine von (kurdischem) Leben ausgelöschte „Pufferzone“ zu verwandeln.

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