Dienstag, 5. April 2016

Palmyra – die Ikone kultureller Vielfalt

Der Geist der aus den Fängen der islamistischen Barbaren befreiten Wüstenperle lebt fort – Doch die antike Stadt steht vor ihrer größten Herausforderung
 
von Birgit Cerha
 
„Ihre Augen waren schwarz und von außergewöhnlich majestätischem Glanz; ihr Geist von göttlicher Stärke und ihre Schönheit atemberaubend….“ Dichter der Antike wurden nicht müde, sie zu preisen, Zenobia, die „Königin des Ostens“, die sich als Nachfolgerin der schönen Cleopatra sah und die Oase in der syrische Wüste, Palmyra, zu einer Macht aufbaute, die selbst Rom zu trotzen wagte.  „Sie konnte streng sein wie ein Tyrann“, schreiben historische Quellen, „und wohltätig wie ein gütiger Kaiser;  sie trank mit ihren Generälen, sie jagte wie ein Spanier und sie führte Krieg gegen Rom.“
Diese Beschreibung der als „die Schönste und mutigste ihres Geschlechts“ Gepriesenen hat den Test der Zeit überstanden. Sie fasziniert bis heute Wissenschaftler und Laien. Zenobia, die 273 n.Chr. 33-jährig starb, baute die Wüstenoase  nach den Worten des Historikers David Potter „zu einer der außergewöhnlichsten Städte der Antike“ auf.
In die Annalen der Geschichte ging Palmyra aber lange dieser Wüstenkönigin ein, bereits vor 3.800 Jahren,  doch Bedeutung erlangte die auf halbem Weg zwischen Euphrat und Mittelmeer gelegene Stadt erst ab dem ersten Jahrhundert n.Chr., als Karawanen in der von Arabern und Aramäern bewohnten Oase begannen, bis zur Seidenstraße zu ziehen, Gewürze, Düfte, Edelsteine und andere Schätze aus Fernost zu holen und sie an der Mittelmeerküste zum Verkauf im Westen zu verladen. Palmyra lag zwischen den großen verfeindeten Reichen der Römer und der Parther, machte selbst in Kriegszeiten mit beiden höchst einträgliche Geschäfte und stieg schließlich zu sagenhaftem Reichtum auf. Architektonisch passte man sich den Zeit- und Machtverhältnissen an, griechisch-römischer Baustil dominierte, doch nicht von den großen Mächten aufoktroyiert, man nahm vielmehr die fremden Einflüsse als Fassade auf und bewahrte sich das eigenständig Orientalische. Der Historiker Paul Veyne hält fest: In Palmyra „kamen das alte Mesopotamien, das aramäische Syrien, Phönizien, das Persische und Arabische zusammen unter der Klammer der griechischen Kultur und der römischen Politik“. 
 
Der Geist kultureller Vielfalt und Toleranz, die Fähigkeit Fremde zu respektieren und zu integrieren, andere kulturelle Einflüsse aufzunehmen und  die Huldigung von bis zu 50 Göttern zu dulden, schufen den Nährboden für den sagenhaften Aufstieg. Die Geschichte Palmyras wurde zum Symbol eines multikulturellen Syrien, das – ungeachtet brutaler Fehlleistungen -auch unter der  Diktatur der Assads das Zusammenleben von Völkern und Religionen ermöglichte. Dieses Symbol syrischer Identität steht in totalem Gegensatz zum barbarischen Monokulturalismus des „Islamischen Staates“ (IS). Das erklärt auch den tiefen Hass, der den IS zur Zerstörung selbst nicht-religiöser Bauwerke wie des einzigartigen Triumphbogens trieb, dieses filigranen, vollkommenen Werkes römischer Baukunst, das 2000 Jahre überdauert hatte.
 
Ein Aufschrei  ging durch die Welt, als Jihadis im Mai 2015 in Palmyra einzogen und die Vernichtung der Kulturschätze androhten. Sie machten den jahrzehntelangen Hüter dieser Schätze, Khaled al-Asaad, zum großen Helden Syriens. In der Überzeugung, dass dieses Erbe größeren Wert besaß als sein Leben, verwehrte er den Terroristen den Zugang zu versteckten Artefakten. Sie köpften ihn und schändeten seine Leiche voll Hohn im Amphitheater, wo sie auch Dutzende andere Syrer töteten.
 
Das Ausmaß der Schäden, die der IS in Palmyra anrichtete, lässt sich erst voll abschätzen, wenn Experten vor Ort eine Bestandsaufnahme machen. Fest steht dank Drohnenaufnahmen jedoch, dass sich die Barbareien auf herausragende Monumente konzentrierten und der Großteil der antiken Stadt verschont haben dürften. Die Sprengung des  wichtigsten historischen Bauwerks, des Baal-Tempels, ließ nur den Eingangsbogen zurück und vom exquisiten Juwel der Sammlung, dem  Triumphbogens am Beginn der ein Kilometer langen Säulenallee, blieben nur kleine Reste. Der dem phönizischen Gott des Sturmes gewidmete Tempel Baal-Shamin liegt ebenfalls in Trümmern.  Zahlreiche antike Grabstätten wurden geplündert und drei einzigartige Grabtürme zerstört. Das Museum ist leer, doch die meisten Schätze konnten rechtzeitig in Sicherheit gebracht werden, wie auch Archäologen und Freiwilligenteams in aus ganz Syrien unter Einsatz ihres Lebens das mobile Tausende kulturhistorische Schätze in das sichere Damaskus transportierten – eine Geschichte von Heldentum, die noch zu erzählen sein wird.
 
Noch ist der Krieg nicht zu Ende, noch ist ungewiss, ob internationale Archäologen in Palmyra das Ausmaß der Schäden dokumentieren können. Doch schon hat ein internationaler Wettlauf um den Wiederaufbau eingesetzt. Experten aus aller Welt wollen helfen, allen voran Russland, das die Befreiung der Palmyras ermöglichte. Präsident Putin will rasch mit der Entschärfung der Minen um historische Bauten beginnen. Der Direktor des Hermitage-Museums in St. Petersburg bietet Unterstützung bei der Rekonstruktion historischer Bauten an und verweist auf die große Erfahrung, die russische Experten beim Wiederaufbau des im Zweiten Weltkrieg zerstörten St. Petersburg gesammelt hatten. Auch aus dem Westen überstürzen sich die Hilfsangebote. Die UNESCO will ein Team zur Begutachtung schicken, sobald die Sicherheit garantiert ist. Das kann dauern. Der syrische Antikenchef Maamound Abdulkarim, der als halber Kurde und halber Armenier selbst die kulturelle Vielfalt seines Landes symbolisiert, verspricht  den Wiederaufbau  in enger Absprache mit der UNESCO. Doch was, wie viel und wo wiederaufgebaut werden soll , darüber wird die Wissenschaft erst noch heftig diskutieren. Die Meinungen gehen weit auseinander.  Experten warnen vor Feuereifer, vor der Gefahr, ein Disney-Land in der Wüste zu kreieren und den für das blutig zerrissene Syrien richtungsweisenden Geist Palmyras zu ersticken. Die Diskussion hat kaum begonnen und sie könnte sich zur größten Herausforderung bei der Rettung Palmyras erweisen.

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