Der Geist der aus den Fängen der islamistischen Barbaren befreiten
Wüstenperle lebt fort – Doch die antike Stadt steht vor ihrer größten
Herausforderung
„Ihre Augen waren schwarz und von außergewöhnlich majestätischem
Glanz; ihr Geist von göttlicher Stärke und ihre Schönheit
atemberaubend….“ Dichter der Antike wurden nicht müde, sie zu preisen,
Zenobia, die „Königin des Ostens“, die sich als Nachfolgerin der schönen
Cleopatra sah und die Oase in der syrische Wüste, Palmyra, zu einer
Macht aufbaute, die selbst Rom zu trotzen wagte. „Sie konnte streng
sein wie ein Tyrann“, schreiben historische Quellen, „und wohltätig wie
ein gütiger Kaiser; sie trank mit ihren Generälen, sie jagte wie ein
Spanier und sie führte Krieg gegen Rom.“
Diese Beschreibung der als „die Schönste und mutigste ihres
Geschlechts“ Gepriesenen hat den Test der Zeit überstanden. Sie
fasziniert bis heute Wissenschaftler und Laien. Zenobia, die 273 n.Chr.
33-jährig starb, baute die Wüstenoase nach den Worten des Historikers
David Potter „zu einer der außergewöhnlichsten Städte der Antike“ auf.
In die Annalen der Geschichte ging Palmyra aber lange dieser
Wüstenkönigin ein, bereits vor 3.800 Jahren, doch Bedeutung erlangte
die auf halbem Weg zwischen Euphrat und Mittelmeer gelegene Stadt erst
ab dem ersten Jahrhundert n.Chr., als Karawanen in der von Arabern und
Aramäern bewohnten Oase begannen, bis zur Seidenstraße zu ziehen,
Gewürze, Düfte, Edelsteine und andere Schätze aus Fernost zu holen und
sie an der Mittelmeerküste zum Verkauf im Westen zu verladen. Palmyra
lag zwischen den großen verfeindeten Reichen der Römer und der Parther,
machte selbst in Kriegszeiten mit beiden höchst einträgliche Geschäfte
und stieg schließlich zu sagenhaftem Reichtum auf. Architektonisch
passte man sich den Zeit- und Machtverhältnissen an,
griechisch-römischer Baustil dominierte, doch nicht von den großen
Mächten aufoktroyiert, man nahm vielmehr die fremden Einflüsse als
Fassade auf und bewahrte sich das eigenständig Orientalische. Der
Historiker Paul Veyne hält fest: In Palmyra „kamen das alte
Mesopotamien, das aramäische Syrien, Phönizien, das Persische und
Arabische zusammen unter der Klammer der griechischen Kultur und der
römischen Politik“.
Der Geist kultureller Vielfalt und Toleranz, die Fähigkeit Fremde
zu respektieren und zu integrieren, andere kulturelle Einflüsse
aufzunehmen und die Huldigung von bis zu 50 Göttern zu dulden, schufen
den Nährboden für den sagenhaften Aufstieg. Die Geschichte Palmyras
wurde zum Symbol eines multikulturellen Syrien, das – ungeachtet
brutaler Fehlleistungen -auch unter der Diktatur der Assads das
Zusammenleben von Völkern und Religionen ermöglichte. Dieses Symbol
syrischer Identität steht in totalem Gegensatz zum barbarischen
Monokulturalismus des „Islamischen Staates“ (IS). Das erklärt auch den
tiefen Hass, der den IS zur Zerstörung selbst nicht-religiöser Bauwerke
wie des einzigartigen Triumphbogens trieb, dieses filigranen,
vollkommenen Werkes römischer Baukunst, das 2000 Jahre überdauert hatte.
Ein Aufschrei ging durch die Welt, als Jihadis im Mai 2015 in
Palmyra einzogen und die Vernichtung der Kulturschätze androhten. Sie
machten den jahrzehntelangen Hüter dieser Schätze, Khaled al-Asaad, zum
großen Helden Syriens. In der Überzeugung, dass dieses Erbe größeren
Wert besaß als sein Leben, verwehrte er den Terroristen den Zugang zu
versteckten Artefakten. Sie köpften ihn und schändeten seine Leiche voll
Hohn im Amphitheater, wo sie auch Dutzende andere Syrer töteten.
Das Ausmaß der Schäden, die der IS in Palmyra anrichtete, lässt
sich erst voll abschätzen, wenn Experten vor Ort eine Bestandsaufnahme
machen. Fest steht dank Drohnenaufnahmen jedoch, dass sich die
Barbareien auf herausragende Monumente konzentrierten und der Großteil
der antiken Stadt verschont haben dürften. Die Sprengung des
wichtigsten historischen Bauwerks, des Baal-Tempels, ließ nur den
Eingangsbogen zurück und vom exquisiten Juwel der Sammlung, dem
Triumphbogens am Beginn der ein Kilometer langen Säulenallee, blieben
nur kleine Reste. Der dem phönizischen Gott des Sturmes gewidmete Tempel
Baal-Shamin liegt ebenfalls in Trümmern. Zahlreiche antike Grabstätten
wurden geplündert und drei einzigartige Grabtürme zerstört. Das Museum
ist leer, doch die meisten Schätze konnten rechtzeitig in Sicherheit
gebracht werden, wie auch Archäologen und Freiwilligenteams in aus ganz
Syrien unter Einsatz ihres Lebens das mobile Tausende kulturhistorische
Schätze in das sichere Damaskus transportierten – eine Geschichte von
Heldentum, die noch zu erzählen sein wird.
Noch ist der Krieg nicht zu Ende, noch ist ungewiss, ob
internationale Archäologen in Palmyra das Ausmaß der Schäden
dokumentieren können. Doch schon hat ein internationaler Wettlauf um den
Wiederaufbau eingesetzt. Experten aus aller Welt wollen helfen, allen
voran Russland, das die Befreiung der Palmyras ermöglichte. Präsident
Putin will rasch mit der Entschärfung der Minen um historische Bauten
beginnen. Der Direktor des Hermitage-Museums in St. Petersburg bietet
Unterstützung bei der Rekonstruktion historischer Bauten an und verweist
auf die große Erfahrung, die russische Experten beim Wiederaufbau des
im Zweiten Weltkrieg zerstörten St. Petersburg gesammelt hatten. Auch
aus dem Westen überstürzen sich die Hilfsangebote. Die UNESCO will ein
Team zur Begutachtung schicken, sobald die Sicherheit garantiert ist.
Das kann dauern. Der syrische Antikenchef Maamound Abdulkarim, der als
halber Kurde und halber Armenier selbst die kulturelle Vielfalt seines
Landes symbolisiert, verspricht den Wiederaufbau in enger Absprache
mit der UNESCO. Doch was, wie viel und wo wiederaufgebaut werden soll ,
darüber wird die Wissenschaft erst noch heftig diskutieren. Die
Meinungen gehen weit auseinander. Experten warnen vor Feuereifer, vor
der Gefahr, ein Disney-Land in der Wüste zu kreieren und den für das
blutig zerrissene Syrien richtungsweisenden Geist Palmyras zu ersticken.
Die Diskussion hat kaum begonnen und sie könnte sich zur größten
Herausforderung bei der Rettung Palmyras erweisen.
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