Donnerstag, 31. März 2016

Al-Baghdadis „Kalifat“ wankt

Durch eine Serie schwerer militärischer Schläge ist die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ geschwächt, aber noch lange nicht besiegt
 
 Von Birgit Cerha 

Nach der spektakulären Rückeroberung der antiken Ruinenstadt Palmyra durch die syrische Armee verkündet das Regime in Damaskus seine Entschlossenheit, nun der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) tödliche Schläge zu versetzen.  Laut Militärführung beginnen die Streitkräfte Diktator Assads vom strategischen Kreuzpunkt Palmyra aus mit dem Vormarsch Richtung Deir el-Zor im Nord-Osten, um dann weiter nach dem nordwestlich gelegenen Rakka, der wichtigsten Hochburg des IS in Syrien, vorzustoßen. Ob es der Armee gelingt, die dort seit 2014 eingeschlossene syrischen Soldaten zu befreien und den IS zu verjagen,  wird Aufschluss darüber geben, wie stark die jüngste Serie von militärischen Niederlagen die Schlagkraft der Terrormiliz geschwächt hat.
Doch es besteht kein Zweifel, dass verstärkte amerikanische und russische Luftangriffe das selbsternannte „Kalifat“ ins Wanken gebracht haben. Zuletzt hat der Verlust Palmyras , dem im Dezember 2015 die Rückeroberung des westirakischen Provinzhauptstadt Ramadi durch die irakischen Streitkräfte vorangegangen war, das Image der Unbesiegbarkeit der Jihadis zerstört. Dazu trägt auch der Strategiewechsel zahlreicher Rebellengruppen in Syrien bei, die seit Verkündung des Waffenstillstandes Ende Februar erstmals eine gemeinsame Front gegen den IS bilden. In Nord-Syrien rücken die von den USA unterstützten und den Kurden geführten „Syrischen Demokratischen Truppen“ (SDT) nach Deir el-Zor und Rakka vor. Zu den jüngsten Niederlagen in Syrien zählt die Vertreibung aus der Al-Safira Ebene, wo der IS die Kontrolle über das einen großen Teil der Metropole Aleppo versorgende Wärmekraftwerk und zahlreiche Dörfer verlor. Im Irak, wo der IS nach US-Angaben seit Mai 2015 „nicht einen Zentimeter Boden erobert“ hat,  begannen Regierungstruppen mit US-Unterstützung  Attacken zur Isolierung Mosuls, um Iraks zweitgrößte, 2014 vom IS okkupierte Stadt schließlich zu befreien.
Militärisch in die Enge getrieben, wird der IS laut Experten künftig verstärkt Guerilla- und Terrortaktiken einsetzen. So stieg bereits die Zahl der Selbstmordanschläge gegen zivile Einrichtungen stark an.  Vor wenigen Tagen sprengten sich IS-Attentäter in einem Fußballstadion in Bagdad in die Luft und rissen 41 Menschen in den Tod. Insgesamt kamen im Irak von Januar 2014 bis Oktober 2015 18.800 Zivilisten durch Terror und Gewalt  ums Leben.  In Syrien starben laut dem unabhängigen  „Syrian Observatory for Human Rights“ seit Juni 2014 durch IS- Attacken 3.967 Menschen und mindestens 366 Zivilisten, sowie 3.914 IS-Kämpfer durch US-Luftschläge.
In seinem Siegeszug 2014 konnte der IS laut militärischer Denkfabrik „IS Jane’s“ein Drittel des syrischen und ein Drittel des irakischen Territoriums - ein Gebiet von etwa der Fläche Grobritanniens mit insgesamt neun Millionen Menschen  - unter seine Kontrolle zwingen.  Seither verlor er 40 Prozent des eroberten bevölkerten Gebietes im Irak und bis zu 20 Prozent in Syrien und beherrscht heute etwa sechs Millionen Menschen.  Die militärischen Niederlagen haben seine Stärke und Kampfmoral  geschwächt. Laut US-Präsidialamt ist die Zahl der IS-Kämpfer in Syrien und im Irak von insgesamt zwischen 20.000 und 31.500 2014 bis Februar 2016 auf 19.000 bis 25.000 geschrumpft. Der zeitweise starke Zustrom von Rekruten aus dem Ausland konnte die Verluste nicht wettmachen. Allein Attacken der US-Koalition töteten seit 2014 20.000 IS-Jihadis.
Niederlagen und Brutalitäten der IS-Führer treiben immer mehr Rekruten zur Flucht. In einer der größten Rebellionen liefen jüngst fast hundert IS-Kämpfer in Aleppo zur örtlichen Rebellengruppe „Faylaq al Sham“ über. Die Deserteure beklagten Misshandlungen durch Kommandanten und Todesdrohungen wegen „Verrats“. Am bedrohlichsten für die IS-Führung erscheint jedoch der zunehmende Dissens innerhalb der Gruppe. Berichte über Meutereien und Revolten, darunter auch in der „IS-„Hauptstadt“, Rakka, häufen sich.  Auch zwischen Einheiten lokaler und ausländischer Jihadis soll es vermehrt zu schweren Konflikten kommen.  Der zunehmende Einsatz von Kindern im Kampf ist ein Zeichen wachsender interner Probleme. Diese werden möglicherweise dramatisch verschärft durch den Tod im März von zwei  einflussreichen IS-Führern durch US-Attacken:  Der gebürtigen Georgier und „Kriegsminister“ des IS, Abu Omar al-Shishani, eine beinahe mythische Figur unter den IS-Kämpfern, der dank seiner langen Kampferfahrung in Tschetschenien  eine wichtige strategische Rolle gespielt hatte, wird zweifellos schmerzlich vermisst.
 Noch gravierender dürfte der Verlust des „Finanzministers“ Abd a l Rahman Mustafa al-Qaduli sein, Mitbegründer des IS und enger Vertrauter von IS-Chef Abu Bakr al-Baghdadi. Er wird laut Experten für die Erschließung von Finanzquellen schwer zu ersetzen sein.  Das Entscheidungs- und Beratungsteam Baghdadis schrumpft vor allem dank offenbar wesentlich verbesserten Geheimdienstinformationen der USA. Dennoch dürfte die Terrormiliz weiterhin starke Widerstandskraft zeigen. Ungeachtet seiner Niederlagen im Kerngebiet konnte der IS  sein Netzwerk in Asien und Nordafrika ausweiten.  Ziel ist offenbar, einen neuen Schwerpunkt in Libyen aufzubauen, wohin Baghdadi zunehmend erfahrene Jihadis verlegt. Nach jüngsten Schätzungen dürfte er dort einen Stützpunkt von bis zu 5000 Mann aufgebaut haben.  Das „Kalifat“ ist noch lange nicht am Ende.

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