Iraks mit US-Hilfe aufgebautes politisches System droht zusammen zu
brechen – Massenproteste und Turbulenzen im Parlament lähmen das Land
von Birgit Cerha
13 Jahre nach dem Sturz Diktator Saddam Husseins und viereinhalb
Jahre nach dem Abzug der US-Truppen steckt der Irak in einer seiner
schwersten politischen Krisen. Seit mehr als drei Wochen schafft es
Premier Abadi nicht, die Mehrheit im Parlament für ein
Technokratenkabinett zu gewinnen, das einen Weg aus der das Land
zerstörenden Korruption finden soll. Zunächst hatte das Parlament die
Hälfte seiner Ministervorschläge akzeptiert, doch bei der Diskussion
über die restlichen Kandidaten kam es zu schweren Turbulenzen, bei denen
der Premier mit Wasserflaschen aus dem Abgeordnetenhaus gejagt und
Parlamentssprecher Salim al-Jibouri, einer der erfahrensten Politiker
der sunnitischen Minderheit, abgesetzt wurde. Zugleich stürzen seit
Mitte April Massenproteste und Sitzstreiks Zehntausender Anhänger des
mächtigen Schiitengeistlichen Moktada Sadr die Hauptstadt ins Chaos.
Vordergründig geht es darum, dass Abadi endlich die lähmende
Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft, an der mächtige politische
Parteien unter allen Umständen festhalten wollen, da sie ihnen die
Kontrolle von Ministerien, der Vergabe von Privilegien und Geld, sowie
starken Einfluss sichern. Doch im Grunde steht das gesamte, einst unter
US-Anleitung aufgebaute Quotensystem auf dem Spiel, das den ethnischen
und religiösen Bevölkerungsgruppen, sowie diversen Parteien festgelegte
Anteile an der Macht sichert. Dieses System, das nach Einschätzung von
Experten von vornherein zum Scheitern verurteilt war, droht nun vollends
zusammenzubrechen. All dies, da sich der Druck von allen Seiten auf das
Regime massiv verstärkt. Der Krieg gegen die Terrormiliz des
„Islamischen Staates“ (IS), vor allem aber der niedrige Ölpreis haben
die Staatskasse dieses einst vom Westen als eines der reichsten
Ölproduzenten eingestuften Landes geleert. Eine nach den Kriegsjahren
immer noch nicht funktionierende Infrastruktur macht den Menschen ebenso
zu schaffen, wie die wachsende Armut und die stark eingeschränkten
Dienstleistungen des Staates.
Sadr, der nach 2003 mit seiner starken Miliz die US-Armee ebenso
bekämpft hatte, wie die arabischen Sunniten, bis er sich schließlich im
Februar 2014 plötzlich aus der Politik zurückzog, sah nun mit dem ihm
eigenen politischen Gespür den Moment zum erneuten politischen Aufstieg
gekommen. Er nutzte die wachsende Unzufriedenheit über die
Tatenlosigkeit Abadis und stellte sich an die Spitze von
Massenprotesten, Sitzstreiks am Rande des Regierungsviertels in der
„Grünen Zone“, um den Premier zur Durchsetzung seiner Reformpläne auch
gegen den Willen der diversen politischen Kräfte zu zwingen. Beobachter
vermuten allerdings, dass Sadr mit seiner Drohung, das Regierungsviertel
zu stürmen, sollte Abadi nicht rasch Erfolge erzielen, in Wahrheit
selbst nach der Macht strebt. Seine Anhänger besitzen im Parlament und
unter den Demonstranten starken Einfluss. Ebenso gefährlich für Abadi
ist Ex-Premier Maliki, den Abadi auf inneren und äußeren Druck nach der
Eroberung von Mosul 2014 abgelöst hatte. Maliki ist zwar Parteikollege
des Premiers, kontrolliert aber zwei Drittel der Rebellen gegen ihn.
Seine Rückkehr an die Macht würde den Irak noch tiefer ins Chaos
stürzen, hatte er doch durch seine Politik der krassen Diskriminierung
der arabischen Sunniten die Polarisierung und internen Kämpfe im Lande
drastisch verschärft. Das System bröckelt und ebenso brechen die
politischen Gruppierungen auseinander. All dies verheißt nichts Gutes
für die Pläne zur Befreiung Mosuls und der restlichen vom IS besetzten
Landesteile.
g
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