Donnerstag, 28. April 2016

Dramatisches Chaos in Bagdad

Iraks mit US-Hilfe aufgebautes politisches System droht zusammen zu brechen – Massenproteste und Turbulenzen im Parlament lähmen das Land
 
 von Birgit Cerha

13 Jahre nach dem Sturz Diktator Saddam Husseins und viereinhalb Jahre nach dem Abzug der US-Truppen steckt der Irak in einer seiner schwersten politischen Krisen. Seit mehr als drei Wochen schafft es Premier Abadi nicht, die Mehrheit im Parlament für ein Technokratenkabinett zu gewinnen, das einen Weg aus der das Land zerstörenden Korruption finden soll. Zunächst hatte das Parlament die Hälfte seiner Ministervorschläge akzeptiert, doch bei der Diskussion über die restlichen Kandidaten kam es zu schweren Turbulenzen, bei denen der Premier mit Wasserflaschen aus dem Abgeordnetenhaus gejagt und Parlamentssprecher Salim al-Jibouri, einer der erfahrensten Politiker der sunnitischen Minderheit, abgesetzt wurde. Zugleich stürzen seit Mitte April Massenproteste und Sitzstreiks Zehntausender Anhänger des mächtigen Schiitengeistlichen Moktada Sadr die Hauptstadt ins Chaos.
Vordergründig geht es darum, dass Abadi endlich die lähmende Korruption und Vetternwirtschaft bekämpft, an der mächtige politische Parteien unter allen Umständen festhalten wollen, da sie ihnen die Kontrolle von Ministerien, der Vergabe von Privilegien und Geld, sowie starken Einfluss sichern. Doch im Grunde steht das gesamte, einst unter US-Anleitung aufgebaute Quotensystem auf dem Spiel, das den ethnischen und religiösen Bevölkerungsgruppen, sowie diversen Parteien festgelegte Anteile an der Macht sichert. Dieses System, das nach Einschätzung von Experten von vornherein zum Scheitern verurteilt war, droht nun vollends zusammenzubrechen. All dies, da sich der Druck von allen Seiten auf das Regime massiv verstärkt.  Der Krieg gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS), vor allem aber der niedrige Ölpreis haben die Staatskasse dieses einst vom Westen als eines der reichsten Ölproduzenten eingestuften Landes geleert. Eine nach den Kriegsjahren immer noch nicht funktionierende Infrastruktur macht den Menschen ebenso zu schaffen, wie die wachsende Armut und die stark eingeschränkten Dienstleistungen des Staates.
Sadr, der nach 2003 mit seiner starken Miliz die US-Armee ebenso bekämpft hatte, wie die arabischen Sunniten, bis er sich schließlich im Februar 2014 plötzlich aus der Politik zurückzog, sah nun mit dem ihm eigenen politischen Gespür den Moment zum erneuten politischen Aufstieg gekommen. Er nutzte die wachsende Unzufriedenheit über die Tatenlosigkeit Abadis und stellte sich an die Spitze von Massenprotesten, Sitzstreiks am Rande des Regierungsviertels in der „Grünen Zone“, um den Premier zur Durchsetzung seiner Reformpläne auch gegen den Willen der diversen politischen Kräfte zu zwingen. Beobachter vermuten allerdings, dass Sadr mit seiner Drohung, das Regierungsviertel zu stürmen, sollte Abadi nicht rasch Erfolge erzielen, in Wahrheit selbst nach der Macht strebt.  Seine Anhänger besitzen im Parlament und unter den Demonstranten starken Einfluss. Ebenso gefährlich für Abadi ist Ex-Premier Maliki, den Abadi auf inneren und äußeren Druck nach der Eroberung von Mosul 2014 abgelöst hatte. Maliki ist zwar Parteikollege des Premiers, kontrolliert aber zwei Drittel der Rebellen gegen ihn. Seine Rückkehr an  die Macht würde den Irak noch tiefer ins Chaos stürzen, hatte er doch durch seine Politik der krassen Diskriminierung der arabischen Sunniten die Polarisierung und internen Kämpfe im Lande drastisch verschärft. Das System bröckelt und ebenso brechen die politischen Gruppierungen auseinander.  All dies verheißt nichts Gutes für die Pläne zur Befreiung Mosuls und der restlichen vom IS besetzten Landesteile.
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