Dienstag, 1. März 2016

Neue Hoffnung im Iran

Wähler signalisieren den Wunsch nach Veränderung und stärken Präsident Rouhani in seinem Kurs der Öffnung – Doch die politische Wende lässt auf sich warten
 
Von Birgit Cerha
 
Wieder demonstrieren die Iraner mehrheitlich ihren unbeugsamen Willen zu demokratischer Selbstbestimmung. Trotz ausgeklügelter Machenschaften des ultrakonservativen Establishments , das fast alle im Volk bekannten gemäßigten und reformorientierten Kandidaten suspendiert hatte, brachten ihnen die Wahlen zum Parlament und zur Expertenversammlung nicht das angestrebte Ergebnis. Ganz im Gegenteil. Das Votum in der Zwölf-Millionen Metropole Teheran erwies sich als schwerste Demütigung der mächtigen erzkonservativen Herrscherclique, auch „Prinzipalisten“ genannt. Nicht nur eroberte die von Präsident Rouhani  geführte Allianz der Gemäßigten und Reformer in Teheran alle für sie reservierten 30 Parlamentsmandat und 14 der 15 Sitze in der bisher von Ultras dominierten Versammlung, ihre mächtigen Repräsentanten, allen voran der derzeitige Versammlungs-Vorsitzende Ayatollah Mohammed Yazdi und der einflussreiche radikale Ayatollah Mohammed Mezba Yazdi wurden nicht wiedergewählt und mit ihnen die fast die gesamte Clique der unrühmlichen Ära des radikalen Präsidenten Ahamdinedschad (2005 bis 2013). In den kommenden acht Jahren werden die Gemäßigten unter Führung des wiedergewählten Ex-Präsident Rafsandschani wieder vertreten sein und vielleicht – sollte Khamenei sterben – die Wahl eines neuen „Geistlichen Führer“  beeinflussen.
Die endgültige Zusammensetzung des neuen Parlaments wird erst nach einer zweiten Wahlrunde im April feststehen, da Kandidaten in einigen Regionen nicht genügend Stimmen gewinnen konnten. Dennoch steht schon jetzt fest, dass die Rouhani unterstützende Allianz der Gemäßigten und der Reformer zwar nicht die Mehrheit, aber doch einen kräftigen Block im neuen Parlament bilden können, nachdem sie bisher kaum merkenswert vertreten waren.
Es ist eine neue Strategie, die Rouhani diesen Erfolg ermöglichte.  Die politische Szene war seit Gründung der Islamischen Republik 1979 durch starke Polarisierungen bestimmt.  Erstmals hatten sich nun zwei bisher eher feindselig gesinnte Fraktionen – die vor allem seit 2009 völlig in die Bedeutungslosigkeit verbannten Reformer unter Ex-Präsident Khatami und die Gemäßigten Konservativen unter Rouhani und Rafsandschani - mit dem Ziel zusammengeschlossen, die dominierende Macht der Ultras in der Versammlung und im Parlament zu brechen. Dies ist ihnen tatsächlich gelungen.
Für Rouhani bedeutet dies eine zur Durchsetzung seines politischen Programms der weiteren Öffnung zur Welt dringend nötige politische Stärkung, hatte doch ein ihm fast völlig feindselig eingestelltes Parlament in den vergangenen zweieinhalb Jahren zahllose Hürden in den Weg gelgt. Die Priorität, die der Präsident auf die ökonomische Entwicklung nach jahrelangen schmerzlichen Sanktionen setzt, weckt insbesondere unter der Jugend (60 Prozent der Iraner sind unter 30??) große Hoffnungen. Doch jene, die sich eine interne Liberalisierung erwarten, wird Rouhani, zwar Pragmatiker und kluger Politiker, doch seit langem ein Mann des islamischen Establishments, bitter enttäuschen. Solche Reform zählt nicht zu seinen Prioritäten, sollte er sie überhaupt anstreben. Zudem erzielten die Exekutionen, insbesondere unter der kurdischen Minderheit, in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit neue Rekorde.
Abgesehen von seiner Grundeinstellung zwingen die politischen Kräfteverhältnisse Rouhani zu höchster Vorsicht. Seinem neuen „Bündnis der Hoffnung“ gehören keineswegs nur Reformer und Gemäßigte an. Die massive Disqualifizierung der Reform-Kandidaten zwangen Khatami und Rouhani auch gemäßigtere „Prinzipalisten“ in ihre Allianz aufzunehmen, weil sie nicht genügend Kandidaten in ihren Reihen mehr fanden, um die Ultras zu schlagen. Unter diesen neuen Verbündeten sind Revolutionsrichter, die nach der Gründung der Islamischen Republik Tausende Dissidenten zum Tode verurteilt hatten und Geheimdienst-Minister, die die Ermordung Oppositioneller in den 1980er Jahren in Auftrag gegeben hatten. Ob sie ihre Einstellung zu Demokratie und Rechtstaatlichkeit geändert haben, bleibt höchst fraglich.
Nicht nur ist die Macht des Parlaments begrenzt, sondern jene der nichtgewählten staatlichen Institutionen – Wächterrat, Geistlicher Führer, Justiz und Revolutionsgarden - so stark, dass sie den Kurs des Präsidenten auch gegen den Willen des Parlaments blockieren könnten. Eine gute Beziehung mit Khamenei bleibt für Rouhani wichtigste Voraussetzung, um wenigstens einen Teil seines Programms durchzusetzen. In den Beziehungen zu den USA wird sich deshalb vorerst ebenso wenig ändern wie an der anhaltenden internen Repression. Das hat der Führer bereits klargestellt.
Und dennoch haben die Wahlen zu Recht Hoffnung auf eine Wende geweckt, die allerdings erst allmählich einsetzen könnte. Gelingt es Rouhani und seinen engsten Mitstreitern, auf der Basis der siegreichen Wahlallianz eine neue Kraft der Mitte aufzubauen, die die Radikalen zunehmend an den Rand drängt, könnten demokratische Reformen in Angriff genommen werden, nach denen sich so viele Iraner sehnen. Selbst unter den mächtigen Revolutionsgarden, dem Hort der Ultras, gibt es ermutigende Signale. Nicht nur hat sich Parlamentssprecher Ali Laridschani, einer der einflussreichsten Prinzipalisten, Rouhani angenähert, Kassim Suleimani, einer der prominentesten Generäle der Garden, Chef der „Kuds-Brigaden“,  der im Iran fast Kultstatus genießt, unterstützt offen Laridschanis neuen Kurs.
Doch wie werden die Ultras auf ihre demütigenden Verluste reagieren? Werden sie, wie in der Ära Khatami und bei den Massenprotesten nach der umstrittenen Wiederwahl Ahmadinedschads 2009 zurückschlagen oder haben sie aus den Fehlern der Vergangenheit gelernt und halten sich, wie einer ihrer Repräsentanten meint, an „die Ethik des Versagens“ und akzeptieren die Niederlage? Dann könnte sich die Hoffnung dieser Wahlen tatsächlich als realistisch erweisen.

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