Zwei wichtige Wahlen sollen die Dominanz der Ultras brechen, um das
Land voll zur Welt zu öffnen und eine interne Liberalisierung
einzuleiten
von Birgit Cerha
„Viva Reform“, „Reform lässt sich nicht abtöten‘“, brüllen Hunderte
Menschen in einer überfüllten Halle im Zentrum Teherans. Trotz und
Widerstand prägt die Stimmung zwei Tage vor zwei Wahlen, die Weichen für
die Zukunft setzen und als erster Stimmungsbarometer seit Abschluss des
Atomabkommens mit den Weltmächten gelten. 55 Millionen Iraner sind
aufgerufen, am Freitag ein neues Parlament und eine neu
Expertenversammlung zu wählen. Traditionell sind für den Wahlkampf nur
sieben Tage vorgesehen. Nach einem lahmen Beginn heizte sich die
Stimmung zusehends auf. Plakate tauchen auf. Mohammed Reza Aref,
prominentester Repräsentant der Reformer und einstiger Vizepräsident
unter Präsidenten Mohammed Khatami, drängt bei einer tumultartigen
Versammlung an der Teheraner Universität die Jugend, nicht länger zu
resignieren, sondern „die politische Bühne“ zu betreten. Andere
Kandidaten rufen apathische Anhänger dazu auf, zwischen „schlecht“, d.h.
relativ gemäßigten Kandidaten zu wählen und „noch schlimmer“, den
Ultras.
Resignation, Apathie der Massen, insbesondere der Jugend, deren
Zahlenstärke jeden Wahlausgang entscheiden kann, ist das größte Problem
der Reformer. Denn die jüngste Geschichte hat bewiesen, dass ihnen eine
hohe Wahlbeteiligung weit mehr Gewinne bringt als ihren konservativen
und radikalen Gegnern. Die extrem hohe Zahl von Disqualifikationen
insbesondere Gemäßigter bei der Kandidatur für die Wahlen durch den
mächtigen „Wächterrat“ hat vor allem unter der Masse jener Iraner, die
sich nach Veränderung sehnen, tiefe Mutlosigkeit ausgelöst. Denn von
den rund 12.000 für das 290-köpfige Parlament registrierten Bewerbern
wurden mehr als 5.000 disqualifiziert, nur etwa 200 Gemäßigte wurden
akzeptiert. Um die Kandidatur für die 88 Sitze der Expertenversammlung
hatten sich 801 Personen beworben, 161, ausschließlich Männer, dürfen
sich der Wahl stellen, nur 60 darunter gelten als „relativ“ gemäßigt.
Die politische Landschaft des Irans ist verschwommen. Offiziell
gibt es keine Parteien, sondern politische Strömungen, die sich grob in
die den Idealen der islamischen Revolution bedingungslos verschriebenen
Ultras unter Führung eines der radikalsten Ayatollah, Mohammed-Taghi
Mesbah-Yazdi, einteilen lässt; die gemäßigten Konservativen, die sich
auch Zentristen nennen und eine pragmatische Politik vertreten und die
Reformer. Präsident Rouhani und Ex-Präsident Rafsandschani sind die
prominentesten Repräsentanten der Zentristen, die sich auch um Sitze in
der Expertenversammlung bewerben. Doch die Grenzen zwischen den
Gruppierungen sind fließend. Zunehmend kandidieren Zentristen nun auf
Listen der Reformer, die vor allem unter den jungen Wählern als weitaus
attraktiver gelten.
Nach den dramatischen Massenprotesten gegen die manipulierte
Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads 2009 hat das Regime die „Grüne
(Reform-)Bewegung“ zum Schweigen gebracht. Ihre Führer Mussawi und
Karrubi stehen seither unter Hausarrest, viele aktive Mitglieder sitzen
im Gefängnis oder flüchteten ins Exil und ihr Mentor Khatami ist von
offiziellen Medien verbannt. In einem Video drängt er zur Unterstützung
der Bewegung, die sich den Wahlslogan „Hoffnung“ gegeben hat.
Rouhani, der seine ganze Hoffnung darauf setzt, die Dominanz der
seine Politik der Öffnung blockierenden Ultras im Parlament zu brechen,
hat die Bildung eines Blocks seiner Zentristen mit den Reformern
eingeleitet, deren Unterstützung er seinen Sieg bei den
Präsidentschaftswahlen 2013 verdankt. Wenn das gelingt, kann er auch auf
einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in eineinhalb Jahren hoffen.
Besorgt, die Reformer könnten zurückkehren, warnt der „Geistliche
Führer“ Khamenei wiederholt vor ausländischen „Komplotten“ und
„Subversion“ (durch die „Grüne Bewegung“).
Auch in der Versammlung, die möglicherweise in ihrer kommenden
achtjährigen Amtsperiode einen neuen „Geistlichen Führer“ wählen muss,
geht es darum, die totale Dominanz der Ultras zu brechen, damit die
gemäßigteren und liberaleren Strömungen der „Islamischen Republik“
wenigstens nicht vollends von der Gestaltung der Zukunft ausgeschlossen
bleiben.
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