Mittwoch, 24. Februar 2016

Irans Reformer hoffen auf Rückkehr

Zwei wichtige Wahlen sollen die Dominanz der Ultras brechen, um das Land voll zur Welt zu öffnen und eine interne Liberalisierung einzuleiten
 
 von Birgit Cerha

„Viva Reform“, „Reform lässt sich nicht abtöten‘“, brüllen Hunderte Menschen in einer überfüllten Halle im Zentrum Teherans. Trotz und Widerstand prägt die Stimmung zwei Tage vor zwei Wahlen, die Weichen für die Zukunft setzen und als erster Stimmungsbarometer seit Abschluss des Atomabkommens mit den Weltmächten gelten. 55 Millionen Iraner sind aufgerufen, am Freitag ein neues Parlament und eine neu Expertenversammlung zu wählen. Traditionell sind für den Wahlkampf nur sieben Tage vorgesehen. Nach einem lahmen Beginn heizte sich die Stimmung zusehends auf. Plakate tauchen auf. Mohammed Reza Aref, prominentester Repräsentant der Reformer und einstiger Vizepräsident unter Präsidenten Mohammed Khatami, drängt bei einer tumultartigen Versammlung an der Teheraner Universität die Jugend, nicht länger zu resignieren, sondern „die politische Bühne“ zu betreten. Andere Kandidaten rufen apathische Anhänger dazu auf, zwischen „schlecht“, d.h. relativ gemäßigten Kandidaten zu wählen und „noch schlimmer“, den Ultras.
Resignation, Apathie der Massen, insbesondere der Jugend, deren Zahlenstärke jeden Wahlausgang entscheiden kann, ist das größte Problem der Reformer. Denn die jüngste Geschichte hat bewiesen, dass ihnen eine hohe Wahlbeteiligung weit mehr Gewinne bringt als ihren konservativen und radikalen Gegnern. Die extrem hohe Zahl von Disqualifikationen insbesondere Gemäßigter bei der Kandidatur für die Wahlen durch den mächtigen „Wächterrat“ hat vor allem unter der Masse jener Iraner, die sich nach Veränderung sehnen,  tiefe Mutlosigkeit ausgelöst. Denn von den rund 12.000 für das  290-köpfige Parlament registrierten Bewerbern wurden mehr als 5.000 disqualifiziert, nur etwa 200 Gemäßigte wurden akzeptiert. Um die Kandidatur für die 88 Sitze der Expertenversammlung hatten sich 801 Personen beworben, 161, ausschließlich Männer, dürfen sich der Wahl stellen, nur 60 darunter gelten als „relativ“ gemäßigt.
Die politische Landschaft des Irans ist verschwommen. Offiziell gibt es keine Parteien, sondern politische Strömungen, die sich grob in die den Idealen der islamischen Revolution bedingungslos verschriebenen  Ultras unter Führung eines der radikalsten Ayatollah, Mohammed-Taghi Mesbah-Yazdi, einteilen lässt; die gemäßigten Konservativen, die sich auch Zentristen nennen und eine pragmatische Politik vertreten und die Reformer. Präsident Rouhani und Ex-Präsident Rafsandschani sind die prominentesten Repräsentanten der Zentristen, die sich auch um Sitze in der Expertenversammlung bewerben. Doch die Grenzen zwischen den Gruppierungen sind fließend. Zunehmend kandidieren Zentristen nun auf Listen der Reformer, die vor allem unter den jungen Wählern als weitaus attraktiver gelten.
Nach den dramatischen Massenprotesten gegen die manipulierte Wiederwahl Präsident Ahmadinedschads 2009 hat das Regime die „Grüne (Reform-)Bewegung“ zum Schweigen gebracht. Ihre Führer Mussawi und Karrubi stehen seither unter Hausarrest, viele aktive Mitglieder sitzen im Gefängnis oder flüchteten ins Exil und ihr Mentor Khatami ist von offiziellen Medien verbannt. In einem Video drängt er zur Unterstützung der Bewegung, die sich den Wahlslogan „Hoffnung“ gegeben hat.
Rouhani, der seine ganze Hoffnung darauf setzt, die Dominanz der seine Politik der Öffnung blockierenden Ultras im Parlament zu brechen, hat die Bildung eines Blocks seiner Zentristen mit den Reformern eingeleitet, deren Unterstützung er seinen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen 2013 verdankt. Wenn das gelingt, kann er auch auf einen Sieg bei den Präsidentschaftswahlen in eineinhalb Jahren hoffen. Besorgt, die Reformer könnten zurückkehren, warnt der „Geistliche Führer“ Khamenei  wiederholt vor ausländischen „Komplotten“ und  „Subversion“ (durch die „Grüne Bewegung“).
Auch in der Versammlung, die möglicherweise in ihrer kommenden achtjährigen Amtsperiode einen neuen „Geistlichen Führer“ wählen muss, geht es darum, die totale Dominanz der Ultras zu brechen, damit die gemäßigteren und liberaleren Strömungen der „Islamischen Republik“ wenigstens nicht vollends von der Gestaltung der Zukunft ausgeschlossen bleiben.

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