Warum zwei Urnengänge in der „Islamischen Republik“ weitreichende Folgen für das Land und die Region haben können
von Birgit Cerha
Kritiker des politischen Systems der „Islamischen Republik“ lieben
es, Wahlen im Reich des Velayat-e Faqih, des Obersten (islamischen)
Rechtsgelehrten, als bedeutungslos abzutun, sicherte sich doch Ayatollah
Khamenei seit langem die Macht der Manipulation. Zudem haben alle
wichtigen politischen Akteure Khamenei und dem intransparenten
politischen System, das einige hochrangige schiitische Geistliche mit
höchster Macht ausstattet, den Treueeid geschworen. Und dennoch toben
seit Gründung der „Islamischen Republik“ 1979 zwischen erzkonservativen
Ultras, pragmatischen Konservativen, Gemäßigten und Reformern in der
herrschenden Elite harte Machtkämpfe, die bei nationalen Wahlen häufig
der Innen- und Außenpolitik des Landes neue Akzente oder gar – wie
zuletzt bei der Wahl Präsident Rouhanis 2013 - eine neue Richtung gaben.
So blicken auch nun die politischen Kräfte dem 26. Februar voll
Nervosität entgegen. Denn die beiden für diesen Tag angesetzten
Wahlgänge – zum Parlament und zur Expertenversammlung – können
weitreichende Folgen für das Land, aber auch für die Region haben.
Seit der „Arabische Frühling“ in den vergangenen fünf Jahren den
Mittleren Osten in blutige Turbulenzen ohne Ende stürzte, kann sich die
so lange international geächtete „Islamische Republik“ der Welt als
Insel der Stabilität präsentieren. Das im Juni 2015 mit den Großmächten
geschlossene Atomabkommen und der Wiedereintritt des Irans in die
Weltgemeinschaft verstärken diesen Eindruck. Doch trotz der großen
Erleichterung, die viele Iraner über den Ausbruch aus der
internationalen Isolation empfinden, sieht der Architekt dieser Politik,
Präsident Rouhani, dem Wahltag, mit Bangen entgegen. Eine
überwältigende Bestätigung seiner Politik der Öffnung, eine Stärkung
seiner politischen Strömung des „Zentrums“ ist keineswegs gewiss.
Irans politisches System ist facettenreich und sehr kompliziert.
Revolutionsführer Khomeini hat 1979 dem Land eine Diktatur mit
demokratischen Zügen und einer Vielzahl von parallelen, teilweise
miteinander konkurrierenden und einander blockierenden Institutionen
gegeben. Ein zwölfköpfiger „Wächterrat“ entscheidet über die Zulassung
von Kandidaten für alle nationalen Wahlen und schränkt damit den
demokratischen Freiraum massiv ein. Die Hälfte seiner zwölf Mitglieder
müssen vom „Geistlichen Führer“ ernannte Geistliche sein, die andere
Hälfte Rechtsgelehrte, die auf Vorschlag des vom „Geistlichen Führer“
ernannten Justizchefs vom Parlament bestellt werden. Somit sichert der
„Wächterrat“, dessen Funktion von Anbeginn an umstritten war und bis
heute ist, dem „Geistlichen Führer“ die Macht als ultimativem
Entscheidungsträger in der Innen- und Außenpolitik. Der Rat hat
traditionell liberale und Linke Kandidaten kategorisch ausgeschlossen
und seit den Turbulenzen um die weitgehend als krass manipulierten
Präsidentschaftswahlen 2009 insbesondere Sympathisanten der „Grünen
(Reform-)Bewegung“. Diesmal wurden besonders viele Kandidaten
disqualifiziert, davon nach Einschätzung unabhängiger Beobachter etwa 90
Prozent der reformorientierten.
Im Gegensatz zu anderen Diktaturen besitzt das Parlament aber
einige wichtige Machtbefugnisse, wie den Entwurf von Gesetzen, die
allerdings vom Wächterrat genehmigt werden müssen, Billigung des Budgets
und Ratifizierung internationaler Verträge. Wiewohl das gegenwärtige
Parlament von Hardlinern dominiert ist, gelang es dem mit Präsident
Rouhani verbündeten Parlamentspräsidenten Ali Larijani die Abgeordneten
zur Ratifizierung des von den Radikalen heftig kritisierten
Atomvertrages zu überreden. Grundsätzlich bestimmt das Parlament das
politische Klima im Land. Konservative und Ultras haben in den
vergangenen zweieinhalb Jahren Rouhanis Politik unablässig attackiert
und durch neue Gesetze zu blockieren , sowie seine Position durch die
Einleitung von Absetzungsverfahren gegen Regierungsmitglieder zu
schwächen gesucht. Gelingt es durch die Parlamentswahlen die Übermacht
der Ultras im Parlament zu brechen, wird Rouhani sein politisches
Konzept der Öffnung mit geringeren Schwierigkeiten voranbringen.
Noch wichtiger für Irans Zukunft aber sind die Wahlen zur
Expertenversammlung. Diese theokratische Institution aus 88 islamischen
Rechtsgelehrten, nach Gründung der Islamischen Republik 1979 eingesetzt,
um eine Verfassung auszuarbeiten, erhielt anschließend das Mandat zur
Wahl und gegebenenfalls Absetzung, des „Geistlichen Führers“. Da die
alle acht Jahre direkt vom Volk gewählten Mitglieder nur zweimal im
Jahr tagen, hat die Versammlung keinen Einfluss auf die Tagespolitik.
Reformer fordern seit langem, dass das Gremium die Arbeit des
„Geistlichen Führers“ überwacht, und provozieren damit scharfe Proteste
der Anhänger Khameneis, dem es zunehmend gelang, die von Hardlinern
dominierte Versammlung unter seine volle Kontrolle zu bringen. Diesmal
aber kommt den Wahlen besondere Bedeutung zu, denn in der neuen
Amtsperiode könnte die Suche nach einem neuen „Geistlichen Führer“
anstehen, da der Gesundheitszustand des 76-jährigen Khamenei nach einer
Krebsoperation 2014 angeschlagen ist. Die Versammlung könnte die
Machtstruktur in der Islamischen Republik verändern. Der pragmatische
Ex-Präsident Rafsandschani, neben Rouhani einer der Kandidaten, wirft
erneut die schon früher diskutierte Frage auf, anstelle einer Person
einen mehrköpfigen „Führungsrat“ zu wählen. Das Feilschen um die Zukunft
hat längst begonnen und gemäßigte Kräfte hoffen, bei diesen Wahlen
wenigstens die totale Dominanz der Versammlung durch die Ultras
wenigstens ein wenig zu untergraben.
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