Zu viele Kräfte können die in München vereinbarte Feuerpause sabotieren - Schon schwört Assad, „ganz Syrien“ zurück zu erobern
von Birgit Cerha
Alle sind sich einig: das von den 17 Außenministern der
Syrien-Kontaktgruppe Donnerstagabend in München vereinbarte Abkommen
über ein Ende der Kampfhandlungen in Syrien ist höchst ehrgeizig. Doch
es ist zugleich doch derart vage, dass ihm nur wenige trauen und selbst
die Geburtshelfer, wie US-Außenminister Kerry, zur Vorsicht mahnen.
Ungewöhnlich einig und entschlossen schienen alle Minister, dass binnen
Stunden mit der Lieferung humanitärer Hilfe in großem Maße und
nachhaltig an die gequälte syrische Bevölkerung begonnen werden müsse.
Weitaus umstrittener ist die Frage der Waffenruhe. Doch der Lösung
beider Probleme stehen beträchtliche Hürden im Wege.
Vordringlich ist die Lieferung humanitärer Güter an die überwiegend
vom Regime seit Monaten belagerten Städte und Ortschaften. Eine klare
Zusage Diktator Assads, die Blockaden aufzuheben und wo immer nötig
Hilfsorganisationen den Zugang zur darbenden Zivilbevölkerung zu
ermöglichen, fehlt jedoch bisher. Blockade ist für Assad eine wichtige
Strategie, die Kontrolle über Gebiete, die Rebellen kontrollieren,
zurück zu gewinnen. Wird Assad dieses Kampfmittel nun aufgeben? Die
Signale aus Damaskus geben wenig Hoffnung. Kaum hatten sich die 17
Außenminister in München geeinigt, bekräftigte der Diktator in einem
Interview seine Entschlossenheit, „das ganze Land“ zurück zu erobern.
Die Aussichten stehen dank russischer Hilfe so gut wie kaum zuvor. Wird
Assad da bereit sein, seinen Gegnern eine politische und physische
Überlebenschance zu geben?
Noch schwieriger erweist sich die Problematik der Waffenruhe, die
bis Ende nächster Woche in Kraft treten soll. Dies drückt sich bereits
im Verzicht auf den Begriff „Waffenstillstand“ aus, an dessen Stelle man
den weit vageren „Einstellung der Kämpfe“ wählte, der keine
Überprüfung und keine Dauer festlegt. Diese Einigung ist demnach maximal
ein erster kleiner Schritt zu einem dauerhaften Waffenstillstand,
dessen Modalitäten eine UN-Arbeitsgruppe unter amerikanisch-russischem
Vorsitz ausarbeiten sollen. Die Gruppe soll vor allem auch festlegen,
welche Konfliktparteien als Terror-Organisationen gelten und deshalb
auch künftig attackiert werden dürfen. Russland und Assad beharren
darauf, Angriffe auf „Terrorgruppen“ unvermindert fortzusetzen und sie
meinen damit nicht nur die auch von den USA als Terroristen eingestuften
„Al-Nusra“ und den „Islamischen Staat“ (IS), sondern gemäßigtere Gegner
Assads, auch jene, die die USA unterstützen.
Doch Syriens Kriegsszenerie ist viel zu kompliziert für derartige
Unterscheidungen. Ein Gewirr von Hunderten von Gruppen mit konstant
wechselnden Allianzen und gegenseitigen Feindseligkeiten beherrscht das
Schlachtfeld, dominiert von mehr und weniger radikalen Islamisten. Die
kräftigsten unter ihnen sind Nusra und der IS, die ohnedies auch
Washington von der Feuerpause ausnimmt und die in der Region Aleppo
stark präsent sind. Damit werden Bombardements auf die Stadt kaum enden
und sie werden unweigerlich auch „gemäßigtere“ Rebellen treffen. Ob
diese unter solchen Voraussetzungen bereit sind, die Waffen nieder zu
legen, erscheint höchst fraglich, zumal sie damit nach der jüngsten
Serie schwerer militärischer Niederlagen unter ihren Anhängern noch
stärker an Glaubwürdigkeit und Attraktivität verlieren würden. Treffen
sie weiterhin russische Bombardements dann könnte ein Aderlass zu Nusra
und dem IS kaum zu stoppen sein.
Es bleibt zu hoffen, dass das unsagbare Leid der syrischen
Zivilbevölkerung endlich alle Seiten zu einem Ende dieses gnadenlosen
Tötens bewegt.
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