Dienstag, 16. Februar 2016

Die kurdische Karte im blutigen Machtspiel um Syrien

Russen und Amerikaner sehen die Kurden als Teil der Lösung in Nord-Syrien – für die Türkei ein Alptraum-Szenario und sie reagiert rabiat
 
 von Birgit Cerha

Ankara  lässt sich nicht mehr beschwichtigen. Internationale Appelle zur Zurückhaltung prallen ab. Nach drei Tagen intensiver Artillerieattacken gegen Positionen der syrisch-kurdischen Miliz YPG (Volksverteidigungseinheiten) und deren Frauenbatallion YPJ  im Gebiet um die Grenzstadt Asas droht der türkische Premier Davutoglu mit der „brutalsten Reaktion“, sollten die kurdischen Kämpfer  nicht die in der Vorwoche eroberten Positionen nördlich von Aleppo aufgeben.  Im Schatten der von der russischen Luftwaffe massiv unterstützten Großoffensive des Assad-Regimes gegen Aleppo haben die Kurden den Militärflughafen Menagh vom syrischen Al-Kaida-Ableger „Al-Nusra“ erobert. Menagh liegt zwischen zwei wichtigen Routen, die von Aleppo in die weiter nördlich, nahe der türkischen Grenze gelegene Stadt Asas führen und über die Ankara islamistische Rebellen in Aleppo mit Nachschub versorgte. Asas, westlich des Euphrat gelegen, ist das nächste Ziel der YPG, um schließlich die gesamte 900m km lange Grenze abzuriegeln. Für Ankara haben die Kurden damit eine „rote Linie“ überschritten.
Am Euphrat haben die Türken die letzte Toleranzgrenze gezogen, bis zu der die YPG von Osten her voranschreiten dürfe und Ankara ist entschlossen, die kurdischen Kämpfer zurückzudrängen, koste es was es wolle. Asas wird von „gemäßigten“ und islamistischen Rebellen kontrolliert, das Gebiet weiter westlich des Euphrat an der Grenze zur Türkei von der Terrormiliz des Islamischen Staates (IS).  „Wir können alle Maßnahmen ergreifen“, warnt Davutoglu, um zu verhindern, dass die Kurden Syriens die gesamte Region Nordsyriens erobern. Voll Unbehagen beobachtet Ankara, wie die Kurden Syriens internationales Profil gewinnen. Selbst sein engster strategischer Verbündete, die USA, schätzen den militärischen Arm der „Kurdischen Demokratischen Unionspartei“ (PYD) , die YPG nun als schlagkräftigste, unverzichtbare Kämpfer gegen den IS ein und sind sich sogar mit Russland einig, dass Syriens Kurden Teil der Lösung des nordsyrischen Kriegsgeschehens sein müssen – ein Alptraum-Szenario für Erdogan.
Die Heimatregion der rund zwei Millionen Kurden Syriens ist das Grenzgebiet zur Türkei, starke Gemeinden leben auch in Nord-Aleppo und in Damaskus. Syriens Herrscher haben der Minderheit seit Jahrzehnten ihre Grundrechte verwehrt und sie durch eine aggressive Arabisierungspolitik dramatisch geschwächt, das Hauptsiedlungsgebiet zwischen den drei Administrationsregionen Hassakah und Kobane sowie Afrin im Westen gespalten.
Als im März 2011 der „arabische Frühling“ auch Syrien erfasste, verhielten sich die Kurden weitgehend neutral. Das Regime zog sich kampflos aus den kurdischen Kerngebieten zurück und „Rojava“ wurde unter Führung der linksorientierten PYD, die sich als stärkste Kurdenpartei etablierte, geboren. Nach dem Vorbild des autonomen nordirakischen Kurdistan begannen die Kurden sich selbst zu verwalten und während der Rest Syriens im blutigen Krieg versank, herrschte in „Rojava“ lange relative Ruhe. Doch ein selbständiges Kurdistan nicht nur im Irak, sondern auch an der südlichen Grenze der Türkei war für Ankara von Anfang an inakzeptabel , fürchten die türkischen Nationalisten doch allzu sehr die Ausbreitung des Freiheitsbazillus auf ihre eigene unterdrückte Minderheit.
Die Wende kam, als der IS im September 2014 Kobane belagerte und die Vernichtung der strategisch wichtigen Grenzstadt, in der kurdische Freiheitsgefühle traditionell besonders stark pulsierten, drohte. Nach langem Zögern entschlossen sich die USA zum Entsetzen der das Geschehen tatenlos beobachtenden Türken, Kobane vor dem IS zu retten. Der Preis: mehr als tausend Tote und die totale Zerstörung der Stadt. Vor den entsetzten  Augen Ankaras begann Washington der YPG Waffen zu liefern, Kämpfer zu trainieren und in Syrien mit seiner Luftwaffen YPG-Offensiven gegen den IS mit beträchtlichem Erfolg zu führen. Es war der Anfang der effizientesten militärischen Kooperation der USA mit lokalen Bodenkämpfern. Für Ankara aber sind die Kurden der Hauptfeind,  weit gefährlicher als die mörderische IS-Terrormiliz. Das stellte Erdogan wiederholt klar. Ankara sieht die PYD und YPG als Tochterorganisation der türkischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK und stuft sie deshalb als „Terroristen“ ein, wiewohl sie nie - und schon gar nicht in der Türkei  - Terrorakte verübt hatten. Allerdings verdanken die YPG-Kämpfer ihre Schlagkraft intensivem Training durch die PKK in deren Stützpunkten im nordirakischen Kandil-Gebirge. Der Türkei erscheinen die kurdischen Kämpfer aber auch deshalb so gefährlich, weil sie keine reguläre Armee sind, sondern hochmotivierte Männer und Frauen, die um ihr Land, um die ihrem Volk stets verwehrten Rechte, um ihr Leben kämpfen und weil für sie die am Ende des Ersten Weltkrieges von den Kolonialmächten willkürlich gezogenen Grenzen – im Fall von Syrien-Türkei etwa die Berlin-Bagdad-Basra Eisenbahnlinie, die Städte, Clans und Familien spaltete – keinerlei Bedeutung besitzt. Im Gegensatz zu den diversen in Syrien kämpfenden nichts-syrischen Rebellengruppen kämpfen die Kurden um ihr Heimatland.
Während Washington PYD bedrängte, den NATO-Partner Türkei nicht durch weitere Geländegewinne im Grenzgebiet zu provozieren, hielt sich Ankara mit militärischen Attacken gegen Syriens Kurden zurück, wiewohl es ihnen selbst in höchster Not etwa in Kobane keine humanitäre Hilfe leistete. Doch die entscheidende Wende kam im September, als sich Russland zur Intervention gegen Assads Feinde entschloss und damit den Kurden neue Optionen bot, sollte Washington verraten, um die Türkei nicht zu sehr zu vergrämen. Auch Moskau schätzt unterdessen die YPG als verlässlichste und bestens trainierte Kämpfer auf dem syrischen Schlachtfeld. Wenn es um die Absicherung des alawitischen Kerngebietes um Latakia geht, wo Russland seine militärischen Stützpunkte unterhält, wäre die YPG wichtigster Partner.
Die PYD gibt sich diplomatisch. „Wir begrüßen strategische Beziehungen mit beiden, Russland und den USA. Wir würden nicht den einen auf Kosten des anderen vorziehen“, betont Sherzad Yazidi, Vertreter von „Rojava“ im Nord-Irak. PYD-Chef Salih Muslim weist darauf hin, dass seine Partei schon seit drei Jahren gute Beziehungen mit Moskau unterhielte. Seit dem Vorjahr lieferte der Kreml auch Waffen und eben hat die PYD ihre erste offizielle Vertretung im Ausland in Moskau eröffnet. „Wir werden auf der Seite jener stehen, die gegen die IS“ und dessen Mentalität“ kämpfen, bekräftigt Muslim. Zugleich kam es zu einem heftigen verbalen Schlagabtausch zwischen Washington und Ankara, da sich die USA weigern, die Kontakte zur YPG abzubrechen und die PYD, wie die PKK auf die Terrorliste zu setzen.
Diese Entwicklung engt den türkischen Handlungsspielraum drastisch ein. Die Vereinigung der kurdischen Verwaltungsgebiete an der Grenze zur Türkei  ist das zentrale Ziel der PYD. Im Gegensatz zum amerikanischen Verbündeten Ankaras hat Moskau kein Interesse, die Kurden daran zu hindern.  Doch PYD setzt – vorerst - stärker auf die USA. Trotz ihrer Neutralität im Krieg gegen Assad lehnen die Kurden eine Zukunft mit dem Diktator entschieden ab. „Wir kooperieren mit Russland in Afrin, das bedeutet aber nicht, dass wir mit Assad kooperieren“, betont  PYD-Vertreter Gharib Hassou. Denn Assad hatte ihre Grundrechte nicht anerkannt und zudem wollen sich die Kurden die Beziehungen zumindest mit den Gemäßigten in der arabisch-sunnitischen Opposition nicht ganz verscherzen. Doch sollte Washington die jüngsten Pläne realisieren und eine neue arabische Brigade zur Kontrolle des syrischen Grenzgebietes zur Türkei ohne oder mit nur schwacher kurdischer Beteiligung auf die Beine stellen, um Ankara zu beschwichtigen, könnte die russische Option für die PYD an Attraktivität gewinnen. Denn vor allem geht es den Kurden doch darum, den Einsatz ihres Lebens und den Sieg auf dem Schlachtfeld im Kampf gegen den IS politisch umzusetzen und endlich jene Legitimität zu erringen, die ihnen so lange verwehrt wird.
 

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