Sonntag, 3. Januar 2016

Saudi-Arabien: Stabilität durch Massenexekution?

Der getötete schiitische Ayatollah al-Nimr war ein schmerzhafter Stachel im Fleisch des saudischen Königshauses – Droht nun ein Bürgerkrieg?
 
von Birgit Cerha
 
„Nieder mit dem Haus Saud“ brüllten empörte schiitische Bürger in Katif, der Heimatstadt des Samstag, gemeinsam mit 46 anderen Saudis hingerichteten schiitischen Ayatollah Nimr al Nimr.Aus Angst vor schweren Unruhen appellierte die Polizei an die Bürger, ihre Waffen bereitzuhalten, um Menschen an Protesten zu hindern. Manche Kommentatoren befürchten bereits, die Massenexekution könnte das Ölreich an den Rand eines Bürgerkrieges treiben.
Während der Großteil der Exekutierten wegen des Vorwurfs der Kollaboration mit Al-Kaida Terroristen hingerichtet wurde, war Nimr mit mindestens drei anderen Exekutierten ein gewaltloser politischer Aktivist, der laut „Amnesty International“ und „Human Rights Watch“ in einem „zutiefst unfairen Prozess“ im Oktober 2014 nach zwei Jahren Gefängnis wegen Aufwiegelung, Ungehorsams und Waffenbesitzes zum Tode verurteilt worden war. Er hatte vor allem unter der tief frustrierten schiitischen Jugend Saudi-Arabiens, wie des benachbarten Bahrain enorme Popularität gewonnen. als er zu Beginn des „Arabischen Frühlings“ 2011 die Gedanken von Freiheit, Würde und Mitbestimmung unter den unterdrückten Schiiten verbreitete und damit  weitgehend friedliche Demonstrationen gegen das Regime auslöste. Das sunnitische Haus Saud aber sah in ihm einen höchst gefährlichen Aktivisten, der grundlegende Reformen und vor allem die Gleichberechtigung der Schiiten forderte. Auch zögerte Nimr nicht vor offener Kritik am autokratischen Regime. Doch er lehnte entschieden Methoden der Gewalt ab.  Mit dem „Schrei des Wortes“ könne man stärkere Wirkung erzielen als mit Waffen, erklärte der Geistliche, der zehn Jahre lang im Iran studiert hatte, einmal gegenüber der britischen BBC.
Nimrs Exekution wird zweifellos die latenten Spannungen zwischen Sunniten und Schiiten in Saudi-Arabien gefährlich verschärfen. Schon warnte der schiitische Ex-Premier des Iraks, Maliki, vor der Beispielwirkung des irakischen Diktators Saddam Hussein, der sich ebenfalls als er einen populären schiitischen Geistlichen, Mohammed Bakr al Sadr, hinrichten ließ, den Zorn der Schiiten zuzog und schließlich die Macht verlor.
Saudi-Arabiens Schiiten, die etwa 15 Prozent der 29-Millionen-Bevölkerung stellen und im ölreichen Osten des Landes konzentriert sind, leiden seit Gründung des Königreiches vor 84 Jahren  an institutioneller Diskriminierung und teilweise scharfer und brutaler Repression.  Katif, Nimrs Heimatregion,  galt seit der islamischen Revolution im Iran 1979 als Hochburg regimekritischer Agitation. Wiederholt kam es dort zu Zusammenstößen, bei denen die Polizei brutal zuschlug. Saudi-Arabien enthält den Schiiten, die das mächtige Establishment der wahhabitischen Geistlichen als Abtrünnige vom „wahren Islam“ ihrer radikalen Interpretation verdammt, bis heute die Grundrechte vor: Diskriminierung im Bidlungssystem, in der Arbeitswelt, im öffentlichen Leben und in der Politik. Radikale wahhabitische Ulema (Gelehrte) vertreten bis heute die Ansicht, Schiiten sollten aus dem Land vertrieben oder getötet werden – eine Position, die sich nicht von jener der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ unterscheidet. Derart indoktriniert hegt auch ein beträchtlicher Teil der sunnitischen Bevölkerung Saudi-Arabiens tiefes Misstrauen bis extreme Abneigung gegenüber den Schiiten.
Manche unabhängige Analysten sind überzeugt, die Massenexekutionen entspringen einer panischen Angst des Regimes, Rebellionen in der schiitischen Ostprovinz könnte das Haus Saud zu einem Zeitpunkt zu Fall bringen, da der extrem niedrige Ölpreis und massive Kosten der Kriege in Syrien und dem Jemen das Land zu einem für die materiell so lange verwöhnte Bevölkerung empfindlichen Sparkurs zwingen würde. Zudem regt sich unter den mächtigen Ulema tiefe Unzufriedenheit über den außenpolitischen Kurs Riads, das sich der von den USA geführten Koalition gegen den IS angeschlossen hatte – ein Unbehagen, das sich seit Beginn massiver Luftschläge Russlands auf Positionen der Terrormiliz und anderer radikal-islamistischer, von Saudi-Arabien unterstützter Gruppen in Syrien noch wesentlich verstärkt hat. Die Zahl der Sympathisanten unter der sunnitischen Bevölkerung  ist groß genug, um den Monarchen in die Enge zu treiben. Durch die Hinrichtung dieses prominenten schiitischen Geistlichen, neben Al-Kaida Aktivisten, hofft der in manchen Kreisen als schwach kritisierte König Salman wohl Stärke zu beweisen und vor allem die Ulema zu beschwichtigen. Solche Strategie kann sich als fataler Bumerang erweisen.
 

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