Saudi-Arabien und Iran verschärfen ihre Konflikte und damit die
teils blutigen Konflikte zwischen Sunniten und Schiiten in der gesamten
Region
von Birgit Cerha
Am Persischen Golf verschärften sich Montag die Spannungen zwischen
den beiden um Hegemonie in der Region ringenden Mächte Iran und
Saudi-Arabien dramatisch. Weder Teheran, vor allem aber nicht Riad
zeigten sich bereit, die Wogen des Zornes zu glätten, die die Exekution
des prominenten saudischen Schiitengeistlichen Nimr al-Nimr am
Wochenende ausgelöst hatte. Im Gegenteil: Das Haus Saud goss noch Öl ins
Feuer, als es Montag Teherans Diplomaten im Königreich, begleitet von
heftigen Verbalattacken gegen die „Islamische Republik“, des Landes
verwies. Wenig später folgten in Solidarität mit dem saudischen Führer
in der Welt der Sunniten Bahrain und der Sudan. Die Vereinigten
Arabischen Emirate (VAE), die eine große Schar iranischer Geschäftsleute
beherbergt und enge Wirtschaftsbeziehungen mit dem schiitischen
Nachbarn unterhält, begnügte sich mit der Ausweisung einiger, aber
nicht aller iranischen Diplomaten. Zugleich verschärfen beide Seiten den
Krieg der Worte, werfen sich gegenseitig das Schüren von Gewalt und
die Unterstützung sunnitischer bzw. schiitischer Terroristen vor. Kurz
vor Beginn der geplanten syrischen Friedensgespräche und vor dem
Hintergrund internationaler Bemühungen um ein Ende der Kämpfe im
hungernden Jemen – beides iranisch-saudische Stellvertreterkriege –
stehen die Zeichen auf Sturm. Noch bedrohlicher erscheinen die
Auswirkungen dieser Konfrontation auf die seit Jahrzehnten angespannten
Beziehungen zwischen den Sunniten (die 80 Prozent der Moslems weltweit
stellen) und Schiiten, die nun einen Tiefpunkt erreichten.
Führende Schiitengeistliche der gesamten Region erheben nun ihre
Stimme und verurteilen teils in scharfen Worten die Exekution. Denn Nimr
hatte den religiösen Rang eines Ayatollahs und stand daher in den Augen
der meisten Schiiten über dem Gesetz. Deshalb gilt seine Exekution
unter seinen Glaubensbrüdern als direkter Angriff der saudischen
Sunnitenführer auf ihre Religion. Einer der angesehensten schiitischen
Geistlichen, der im irakischen Najaf residierende Großayatollah Ali
Sistani, der sich als Vertreter der Quietisten zu politischen Problemen
meist in Schweigen hüllt, machte seiner Empörung offen Luft und
bezeichnete die Hinrichtung Nimrs als „eine Ungerechtigkeit und
Aggression“. Sistanis Wort wiegt schwer nicht nur unter den Schiiten im
Irak, sondern in der ganzen Region, vor allem auch in Saudi-Arabien.
Im Irak droht sich nun der seit Jahren tobende Krieg zwischen
Schiiten und Sunniten erneut zu verschärfen. Als offensichtliche
Vergeltung für die Tötung Nimrs wurden Montag zwei sunnitische Moscheen
durch Bombenexplosionen schwer beschädigt. Die wachsende Kluft zwischen
Iran und Saudi-Arabien, die im Irak, in Syrien und im Jemen einander
bekämpfende Bevölkerungsgruppen und Extremisten unterstützen könnte nun
auch die Bemühungen westlicher Staaten, eine effizientere gemeinsame
Front gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ zu bilden,
zunichtemachen.
Doch das Haus Saud scheint sich vorerst durch solche Gefahren nicht
von seinem Konfrontationskurs abbringen zu lassen. Gegenüber der
britischen BBC wies Montag ein Justizsprecher energisch jede Kritik an
der Hinrichtung Nimrs als inakzeptable Einmischung in innere
Angelegenheiten zurück, bekräftigte die Unabhängigkeit der saudischen
(islamischen) Sharia-Richter und betonte, der Schiitengeistliche hätte
Unschuldige getötet, eine Behauptung, die seine Familie empört
zurückweist, da der Ayatollah nicht einmal eine Waffe besessen hätte.
Zugleich droht Außenminister Adel al-Jubeir, „wir behalten uns alle
Optionen vor, um den Iran abzuschrecken.“ Was das Königshaus damit
erreichen will, ist fraglich. Keineswegs kann es Stabilität im eigenen
Land oder auch bei den Nachbarn sein. In der von der schiitischen
Minderheit bewohnten ölreichen Ostprovinz, in der nach ersten
friedlichen Protesten 2011 weitgehend Ruhe herrschte, brodelt ebenso der
Zorn, wie in dem Schiiten des von einer repressiven sunnitischen, von
Saudi-Arabien unterstützten Minderheit beherrschten Nachbarn Bahrain.
Die Verzweiflung der saudischen Schiiten ist legitim, sind sie doch seit
Jahrzehnten als „Bürger zweiter Klasse“ schwer diskriminiert und
weitgehend vom Wohlstand ausgeschlossen. Auch allgemeine
Liberalisierungsversprechen König Salmans, wie etwa die ersten
allgemeinen Gemeinderatswahlen im Dezember, an denen erstmals Frauen
teilnehmen durften, sind nicht mehr als ein weitgehend wirkungsloser
Versuch, das Image im Westen etwas aufzupolieren.
Kenner Saudi-Arabiens befürchten, die jetzige Krise verheiße der
gesamten Region eine turbulente Zukunft. Die Stimme der Mäßigung und des
Pragmatismus ist mit dem Tod König Abdullahs vor einem Jahr in Riad
verstimmt. Sein 80er jähriger Nachfolger Salman leidet an Demenz und
dies ermöglicht dem langjährigen Antiterror-Strategen, Kronprinz
Mohammed bin Nayef, gemeinsam mit seinem Stellvertreter, dem
feurig-ehrgeizigen Sohn Salmans, Verteidigungsminister und Initiator des
Jemen-Krieges gegen die schiitischen Huthis, Mohammed, nun
Konfessionskriege in einer Weise zu führen, die die ganze Region über
Jahrzehnte zu erschüttern drohen.
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