Gewalt
gegen Frauen ist kein kulturspezifisches Problem – Sie entspringt einer
Mischung aus politischen, religiösen, kulturellen und ökonomischen
Faktoren
von Birgit Cerha
„Sie
hassen uns.“ Mit diesen Worten fasste die ägyptische Journalistin Mona
al-Tahawi in einem 2012 im amerikanischen Magazin „Foreign Policy“
erschienenen Artikel den Versuch zusammen, die Gründe für die
Unterdrückung der Frauen durch die Männer in der arabischen Welt
darzustellen. Allein dieser Hass erkläre das Verlangen der Männer, volle
Kontrolle über die Sexualität der Frauen zu gewinnen. Tahawi löste mit
ihrer flammenden Anklage gen Rückständigkeit und männliche Machtpolitik
einen Sturm der Empörung selbst unter engagierten arabischen
Feministinnen aus, zugleich aber – wohl gewollt – eine heftige bis heute
anhaltende Diskussion über Diskriminierung, Ausbeutung und Missbrauch
von Frauen im Orient.
In
Wahrheit sind die Ursachen sexistischen Verhaltens bis zur Gewalt gegen
Frauen weit komplexer. Es sind kulturellen, politische, religiöse,
ökonomische und soziale, aber auch psychologische Faktoren, die
keineswegs nur in der arabische Welt quälen. Statistiken sprechen für sich: Nach
einer Expertenumfrage ist der Missbrauch von Frauen unter den 22
arabischen Staaten im Ägypten am schlimmsten, gefolgt vom Irak, erst
dann Saudi-Arabien, Syrien und der Jemen. Nach einem UN-Bericht von 2013
gaben 99,3 Prozent der ägyptischen Frauen an, sexuelle Übergriffe
erlitten zu haben., 81 Prozent davon in der Öffentlichkeit, ohne Hilfe
von Unbeteiligten zu erhalten. In
Großbritannien klagen eine von vier Frauen über sexuelle Belästigungen.
Ein Bericht europäischen Agentur für Grundrechte belegt, dass in Europa
62 Mio. Frauen seit ihrem 15. Lebensjahr körperliche oder sexuelle
Gewalt erfahren, in Deutschland sind es 35 Prozent und neun Mio.
Europäerinnen wurden vergewaltigt.
Dennoch,
die Ereignisse von Köln und anderen deutschen Städten erinnern an
Kairo, während der Massenproteste des „ Arabischen Frühlings“ Frauen auf dem Tahrir-Platz in ähnlicher Weise wie in der Sylversternacht in Deutschland begrabscht, entkleidet, vergewaltigt und in einem Fall gar mit einem Messer misshandelt wurden und niemand zu Hilfe eilte oder eilen konnte.
Es
war ein neues Phänomen am Nil, wo der Arabische Frühling junge Männer
und Frauen in Eintracht zum Protest gegen die Diktatur Mubarak
zusammenbrachte. Die Sexualverbrecher waren,
wie sich später heraus stellte, organisierte Schergen des herrschenden
politischen und patriarchalen Systems, auf das die Rebellion, vor allem
durch die starke Beteiligung der Frauen zielte. Die Motive waren rein
machtpolitisch. Die Methoden dieser Kontrarevolution entsprangen der
Tradition Diktator Mubaraks, der seine Polizisten zu Zwecken der
Einschüchterung politischer Gegner insbesondere Frauen, aber auch
Männer, sexuell quälen ließ. Dass sein Nachfolger am Despoten-Stuhl, der
damalige General Sisi, die Polizei zur Fortsetzung der
„Jungfrauentests“ aufrief, lässt wenig Zweifel am Fortleben dieser
Geisteshaltung in den Amtsstuben der heutigen Herrscher.
Hauptproblem,
darin sind sich viele Feministinnen einig, ist das Patriarchat, einst
von den Kolonialmächten, den Osmanen, Briten und Franzosen aufgebaut und
zur Stabilisierung ihre Macht in der Region gestärkt. Durch gesetzliche
Regelungen, die die Macht über die Frauen zementierten, köderten sie
die Männer. Als dies nicht reichte, taten sie dasselbe mit den
islamischen Predigern und verankerten so den patriarchale Geist tief in
der Gesellschaft und mit ihm die Institutionen, die sich bis heute nicht
aufbrechen lassen. Mit zunehmenden politischen, militärischen,
ökonomischen und sozialen Krisen wuchs die Macht der konservativen
Geistlichen, die im Sinne des Patriarchats die totale Kontrolle des
Familienoberhaupts über den Körper der Frau – zur Erhaltung dieses
Systems – förderten und stärkten. Über Generationen wurden Söhne zur
Machtübernahme in der Familie – und damit über die Ehefrau – erzogen.
Doch
Gewalt gegen Frauen hat noch andere Ursachen. Auch diese zeigen sich
deutlich am Beispiel Ägypten: gravierende ökonomische und soziale
Probleme, Armut,
Perspektivlosigkeit, ein starkes Sinn-Problem und damit einhergehende
persönlichen Schwäche- und Minderwertigkeitsgefühle. Ägypten
steckt, wie auch andere arabische Länder, in einer tiefen
Wirtschaftskrise mit einer insbesondere unter der Jugend enorm hohen
Arbeitslosigkeit.30-Jährige, die traditionell längst einer Familie
vorstehen sollten, können sich keine Frau nehmen, weil sie kein Geld
verdienen, um den oft beträchtlichen Brautpreis zu bezahlen und schon
gar nicht eine eigene Wohnung. Sie leben weiterhin bei den Eltern und
haben in dieser immer noch stark traditionalistischen Gesellschaft kaum
Freiraum, sich mit Mädchen zu treffen, zugleich keine Aussicht auf
Verbesserung ihrer Situation. Sexuelle Frustration ist dann die letzte
Antriebskraft für einen Übergriff gegen Frauen, der nach Ansicht von
Experten meist männlichen Machtvorstellungen und deren Befriedigung
dient. Agitation in einer Gruppe von Schicksalsgenossen hilft ihnen den
Mut zur Tat zu finden.
Die
Gesetze und die Traditionen der arabischen Gesellschaften schützen die
Männer weitgehend vor Strafe für sexuelle Übergriffe. Schuld etwa an
Vergewaltigung trägt fast immer die Frau, deren “Provokationen“ nach
Vorstellungen der Justiz und des konservativen Teils der Gesellschaft
der Mann hilflos ausgeliefert ist. Diese Grundregel predigen
auch islamische Geistliche, insbesondere jene intensiv von
Saudi-Arabien geförderten, die eine besonders radikale und patriarchale
Form des Islam in der arabischen Welt verbreiten und dies zunehmend auch
in Europa tun.
Dennoch:
Eine kleine Hoffnung lebt seit dem Zusammenbruch des Arabischen
Frühlings fort. Junge arabische Frauen schweigen nicht mehr und
zunehmend schließen sich ihnen auch junge Männer mit dem Ziel an, den
intoleranten patriarchalen Geist abzutöten und den Frauen zu dem ihnen
gebührenden Schutz , ihren Rechten und ihrer Selbstbestimmung zu
verhelfen.
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