Die Aufhebung internationaler Sanktionen weckt unter den Iranern Hoffnungen auf sehnsüchtig erwartete politische und ökonomische Veränderungen
Von Birgit Cerha
„Wir Iraner haben der Welt als Zeichen der Freundlichkeit unsere Hand entgegengestreckt, Feindschaften, Misstrauen und Komplotte zurückgelassen, wir haben ein neues Kapitel in den Beziehungen zwischen dem Iran und der Welt geöffnet.“ Voll Euphorie feierte Irans Präsident Rouhani am Wochenende die Aufhebung internationaler Sanktionen gegen sein Land als „goldene Seite“, die nun in der Geschichte des Irans aufgeschlagen sei. Und die große Mehrheit der Iraner feiert mit ihm.
Entschlossen und rasch hatte sich Rouhani gegen seine radikalen politischen Gegner durchgesetzt und in nur wenigen Monaten die ersten Verpflichtungen des Atomabkommens vom 14. Juli 2015 mit den Weltmächten erfüllt. Teheran ist bei der Reduzierung seiner zur Urananreicherung genutzten Zentrifugen auf 6000 im Plan, hat sein angereichertes Uran nach Russland verschifft und zuletzt den Kern seines Schwerwasserreaktors Arak mit Zement gefüllt. Der Westen reagierte prompt. Die USA und die EU erklärten die Aufhebung ihrer Sanktionen mit sofortiger Wirkung. Zwar bleiben die von Washington vor Jahrzehnten wegen Teherans Unterstützung von Terror und Menschenrechtsverletzungen eingeführte Sanktionen aufrecht, doch die Wirtschaftsbeziehungen mit der EU, insbesondere auch mit Deutschland, sind für den Iran von weitaus größerer Bedeutung.
„Die Rückkehr der größten Ökonomie in das globale Wirtschaftssystem seit dem Zusammenbruch der Sowjetunion“, wie Finanzexperten von „Morgan Stanley“ feststellen, ist zunächst einmal von großer psychologischer Bedeutung für die iranische Wirtschaft und die Bevölkerung. Irans Wirtschaft ist nach jener Saudi-Arabiens die größte im Mittleren Osten, mit einem Bruttoinlandsprodukt von 400 Mrd. Dollar. Der Iran verfügt über die größten Gas- und die viertgrößten Ölreserven der Welt. 70 Prozent der rund 80 Millionen Einwohner sind unter 35, die Hälfte der Bevölkerung besitzt Smartphones und beteiligt sich an mindestens einem sozialen Netzwerk.
Viele Iraner hoffen nun auf neue elektronische Produkte, Ersatzteile und insgesamt auf bessere Qualität importierter Waren, für die sie zudem seit Jahren wegen der Sanktionen weit überhöhte Preise zahlen mussten, so sie sie überhaupt bekamen. Die Tourismusindustrie stellt sich auf einen rasanten Zustrom von Reisenden ein. Noch bevor die Internationale Atomenergiebehörde das „grüne Licht“ zur Aufhebung der Sanktionen gab, verkündeten die USA Erleichterungen für Zivilflugzeuge, die seit Jahrzehnten keine amerikanischen Ersatzteile erhielten. Wiederholt war es deshalb bei Inlandsflügen zu Abstürzen mit vielen Todesopfern gekommen.
Dennoch warnen Experten vor allzu großen Hoffnungen. Nach derart langer internationaler Isolation werde Irans Wirtschaft, insbesondere der Privatsektor, mit beträchtlichen Schwierigkeiten bei der Anpassung an eine höchst wettberwerbsorientierte globalisierte Umwelt konfrontiert.
Nach einer 2013 durchgeführten Meinungsbefragen gaben 56 Prozent der Iraner an, die internationalen Sanktionen hätten ihre Lebenssituation „in starkem Ausmaß“ belastet. Die Landeswährung verlor gegenüber dem Dollar zwei Drittel ihres Wertes. Allein seit 2012 hat der Iran 160 Mrd. Dollar an Ölerträgen eingebüßt, die Produktion fiel um ein Drittel. Unzählige Firmen gingen bankrott und die Wirtschaft insgesamt schrumpfte.
Die sofortige Freigabe von 30 Mrd. der insgesamt rund 120 Mrd. im Westen eingefrorenen iranischen Guthaben könnte der Wirtschaft aus der Rezession helfen. Vor allem die Ölindustrie hegt große Erwartungen. Ölminister Zanganeh will die Produktion sofort um 500.000 Barrel im Tag und innerhalb von sechs Monaten um weitere 500.000 steigern. Sie liegt derzeit mit 2,7 Mio. Barrel im Tag abei weniger als der Hälfte der Spitzenzeiten vor 40 Jahren. Denn die Infrastruktur ist total veraltet. Der Iran hofft auf rund 30 Mrd. Dollar Investitionen, um das Förderziel zu erreichen. Ob dies so rasch gelingt, ist zweifelhaft.
Dennoch geben sich auch unabhängige Ökonomen optimistisch. Rouhani hat in seiner zweieinhalbjährigen Amtszeit unter dem Motto „Wirtschaft des Widerstandes“ energisch dringend nötige Reformen eingeleitet, um die Verwundbarkeit des Landes durch internationale Sanktionen zu vermindern und zugleich die gravierenden Folgen der korrupten und fehlgeleiteten Wirtschaftspolitik seines Vorgängers Ahamdinedschad zu bekämpfen. Diese Maßnahmen beginnen nach Einschätzung des iranischen Ökonomen Bijan Khajehpour allmählich zu greifen. Selbst bei bestehenden Sanktionen würde die Wirtschaft in den kommenden Jahren um vier bis fünf Prozent wachsen und nun gar mittelfristig um bis zu acht Prozent. Denn es sei gelungen, die Wirtschaft zu diversifizieren – andere Sektoren, insbesondere im vielversprechenden Stahl- und Rohstoffbereich auszubauen. Ein Regierungssprecher verkündete Anfang Januar, dass das Budget nur mehr zu 25 Prozent vom Ölexport abhängig sei, gegenüber 70 Prozent vor einem Jahrzehnt.
Politisch stärkt die Aufhebung der Sanktionen den Präsidenten und mit ihm die Reformer knapp vor wichtigen Wahlen in den kommenden Wochen. Ob Rouhani diesen großen diplomatischen Erfolg aber auch im internen Machtgerangel umzusetzen vermag, ist höchst fraglich.
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