Fünf Jahre nach Beginn der Revolution herrscht am Nil eine noch brutalere Diktatur – Extremisten auf beiden Seiten profitieren – Doch der Geist der Freiheit lebt fort
Von Birgit Cerha
„Sage deinen Kindern, dass die Januar-Revolution die erhabenste und fairste war in der Geschichte Ägyptens und du solltest stolz sein, dass du einer der vielen warst, die an diesem ägyptischen Traum teil hatten.“ Mit solchen Einträgen in sozialen Netzwerken versuchen führende Aktivisten den Geist des „Arabischen Frühlings“ in Ägypten trotz massiver Repression am Leben zu halten. CcUnter dem Titel „Ich habe mich an der Januar-Revolution beteiligt“ berichten in Facebook und Twitter zahllose Mitstreiter der Jugendbewegung über ihre Erfahrungen während der größten Massenproteste, die das Land je erlebte und die nach nur 18 Tagen den dienstältesten Militärdiktator des Mittleren Ostens, Hosni Mubarak, von der Macht fegte. Sie erzählen von der überwältigenden Kraft der Gemeinsamkeit Hunderttausender Menschen, die den ihnen jahrzehntelang verwehrten öffentlichen Raum eroberten und von der atemberaubenden Euphorie ihres Sieges. Mit ihren demonstrativen Bekenntnissen fordern sie die Militärbehörden Präsident Sisis offen heraus. Denn fünf Jahre nach Beginn des Volksaufstandes am 25. Januar 2011droht all jenen Gefängnis, die sich zu dieser Revolution für soziale Gerechtigkeit, Freiheit und Menschenwürde bekennen.
In den Amtsstuben am Nil herrscht eine an Hysterie grenzende Anspannung. Mit scharfen Worten warnt Sisi vor Protesten am Jahrestag: Eine neue Revolution könnte das Land zerstören. J a selbst die islamische Geistlichkeit schließt sich den Warnungen an jene an, die den Errungenschaften der Revolution nachtrauern. Zugleich werden liberale und islamistische Gegner des neuen Regimes massenweise festgenommen, Kulturzentren von der Polizei gestürmt, Internetseiten und soziale Netzwerke blockiert.
Im Grunde richtete sich die Revolution damals nicht nur gegen Mubarak, sondern gegen das jahrzehntealte System einer Elite, insbesondere im Militär, die den größten Teil der Bevölkerung mit Gewalt politisch und sozioökonomisch ausgrenzte. Im Grunde war Mubaraks Sturz ein durch den Druck der Bevölkerung erzwungener Putsch des Militärs, das um seine Privilegien fürchtete und 2013 unter Generalstabschef Sisi erneut zuschlug, nachdem der erste freigewählte Präsident, der Moslembruder Mursi, es gewagt hatte, ernsthaft an der Macht der Generäle zu rütteln.
Die Revolution schlug fehl, weil die demokratischen Kräfte zersplittert, keinem klaren Konzept folgten und keine charismatische Führungspersönlichkeit fanden, sich die weit besser organisierte Moslembruderschaft von Machtgier treiben ließ und Ägyptens Elite kein Interesse an Demokratie hatte.
Mehr als zwei Jahre blutiger Turbulenzen trieben das Land an den Rand des sozialen und ökonomischen Ruins, bis sich Sisi zu einem weitaus brutaleren Tyrannen erhob, als es Mubarak je gewesen war. Die totale Zerschlagung der Moslembruderschaft, aber auch jeder anderen Opposition ist sein Ziel. Seit dem Sturz Mursis 2013 kamen mehr als tausend Menschen, überwiegend Anhänger des unterdessen zum Tode verurteilten Präsidenten ums Leben, 40.000 Menschen sitzen in Gefängnissen, mehrheitlich Moslembrüder, aber auch viele Liberale. Nur in China ist die Zahl der inhaftierten Journalisten höher als in Ägypten. Eine Serie von Gesetzen macht jede Protestregung schier unmöglich. Als Feigenblatt in der gnadenlosen Unterdrückung seiner Gegner dient Sisi der „Kampf gegen den islamistischen Terror“, für den er auf westliche Sympathie hofft.
Im Lande herrscht ein Klima tiefer Frustration. Um seine Macht abzustützen ließ Sisi im Spätherbst 2015 ein Parlament wählen, das künftig Gesetze verabschieden soll, die den Zielen des Diktators dienen. Selbst in den finstersten Tagen seiner Diktatur hatte Mubarak nicht derart auf demokratischen Grundsätzen getrampelt wie sein Nachfolger. Kandidaten für Sisis Parlament wurden vom Sicherheitsapparat ausgewählt, dementsprechend gering war auch die Wahlbeteiligung.
Doch noch mehr als die politischen Entwicklungen drücken die wachsenden sozialen Nöte auf das Gemüt der Ägypter: dramatisch in die Höhe schnellende Arbeitslosigkeit (35 Prozent bei den unter 25-Jähjrigen), rasant ansteigende Inflation, hohe Budgetdefizite und wachsende soziale Unruhen mit allein 2015 mehr als tausende Arbeiterprotesten – all dies vor dem Hintergrund des aufgrund des zunehmenden Terrors radikaler Islamisten total zusammengebrochenen Fremdenverkehrs, des Rückgrats der Wirtschaft.
Zweieinhalb Jahre nach den verheerendsten Ereignissen in ihrer 90-jährigen Geschichte kämpft die Moslembruderschaft ums Überleben. Ihre traditionellen Führer sind im Exil oder im Gefängnis, einige zum Tode verurteilt und – was sich als noch schmerzlicher erweisen dürfte – das Regime ist entschlossen, den starken sozialen Arm, der der Bewegung ihren überwältigenden Einfluss in der ägyptischen Gesellschaft schuf, zu vernichten. International auch von gleichgesinnten Gruppierungen isoliert, sind die Moslembrüder intern zerstritten. Eine junge Gruppe hat – vorerst – die Macht an sich gerissen und vertritt eine weit radikalere Linie, entschlossen auch zum bewaffneten Kampf. Viele von ihnen schlossen sich auch den Jihadis in Syrien an.
Zugleich führt Sisis Militär im Sinai einen erbitterten Krieg gegen die wachsende Schar radikaler, mit der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ verbündeter Islamisten. Die äußerst brutalen Methoden der Streitkräfte treiben immer mehr Bewohner in die Arme der Radikalen. Sisi setzt alles daran, dass die Situation im Sinai nicht an die Weltöffentlichkeit dringt.
In diesem Krieg zwischen Islamisten auf der einen, dem Militär und der Elite auf der anderen Seite sind die demokratischen Kräfte ohnmächtige Zuschauer, wiewohl ebenso Opfer der Knute des Staates. Dennoch haben so manche von ihnen ihr Vertrauen in die Zukunft nicht verloren. Sie glauben an die entscheidenden psychologischen Veränderungen durch den „Arabischen Frühling“. Das patriarchalische Herrschaftssystem habe seine traditionelle Unantastbarkeit durch die – vorerst gescheiterte - Macht einer Volksbewegung verloren. Und damit böten sich eines Tages wieder neue Chancen.
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