Nach neun Monaten Krieg suchen die Konfliktparteien in Genf eine Friedenslösung - Angst vor einem Blutvergießen ohne Ende
von Birgit Cerha
Sechs Monate nachdem der jüngste Versuch, die Kriegsparteien des
Jemen am Friedenstisch zusammenzubringen, noch vor dem eigentlichen
Verhandlungsbeginn scheiterte, beginnt heute, Dienstag, in Genf eine
neue Runde. Die Vorzeichen sind vielversprechender als zuletzt: Erstmals
stimmten auch Präsident Hadi und seine saudische Schutzmacht einem
Waffenstillstand noch vor Beginn der Gespräche zu. Er trat Montag in
Kraft, wird einer erbarmungslos gequälten Bevölkerung zumindest eine
kleine Atempause verschaffen und humanitären Organisationen die so
dringend benötigten Hilfeleistungen für Hunderttausende Kriegsopfer
ermöglichen.
Es ist ein Krieg, im Schatten der Syrien- und Iraktragödien von der
Welt vergessen, und die Kriegsgegner tun auch alles – durch
Einschüchterung von Informanten – dass dies auch so bleibt. Doch allein
die bekannten Fakten erhalten nicht die ihnen gebührende internationale
Aufmerksamkeit. „Der Jemen sieht (schon) nach fünf Monaten Krieg so aus
wie Syrien nach fünf Jahren“, stellte Peter Maurer vom Internationalen
Komitee des Roten Kreuzes alarmiert fest. Seit eine von Saudi-Arabien
geführte arabische Koalition im März einen massiven Luftkrieg begann,
offiziell um den durch schiitische Huthi-Rebellen aus dem
Präsidentenpalast in Sanaa vertriebenen Staatschef Hadi zurück an die
Macht zu holen, starben fast 6000 Menschen, die große Mehrheit
Zivilisten, überwiegend bei wahllosen Bombenattacken der arabischen
Luftwaffe. 25.000 Menschen wurden verwundet, 170.000 flüchteten nach
Dschibuti, zu den bitterarmen Nachbarn Äthiopien, Somalia oder den
Sudan, einige wenige in die superreichen Golfstaaten. 2,3 Millionen sind
intern Vertriebene.
Menschenrechtsorganisationen sprechen von Kriegsverbrechen auf
beiden Seiten. Im September wurde ein niederländischer
Resolutionsentwurf der die UN-Menschenrechtskommission zur Untersuchung
möglicher Kriegsverbrechen beauftragen sollte, blockiert. Hingegen
akzeptierte die UNO eine Untersuchung durch die jemenitische Regierung,
die, gemeinsam mit Saudi-Arabien eine der Kriegsparteien ist. Wochen
später beklagte „Human Rights Watch“ empört die fehlende Bereitschaft
der arabischen Koalition „auch nur eine einzige Untersuchung der
zahllosen, potentiell rechtswidrigen Luftangriffe“ einzuleiten.
„Während die Koalition über hochentwickelte Waffensysteme und
US-Unterstützung verfügt zeigt sie sich dem Kriegsvölkerrecht im besten
Fall rudimentär verpflichtet.“ Ungeachtet dieser Vorwürfe hält die
Unterstützung Washingtons, wie auch Londons für diesen Krieg der Saudis
gegen das ärmste arabische Land unvermindert an. „Die USA verschlossen
ihre Augen gegenüber einem staatlich sanktionierten Genozid im Jemen“,
wettert das angesehene amerikanische Monatsmagazin „Counterpunch“. Im
November beschloss Washington ds durch den Jemenkrieg geleerte
Luftwaffenarsenal der Saudis mit Waffen für ´1,29 Mrd. Dollar wieder
aufzufüllen. Darunter sind auch 1.500 bunkerbrechende Bomben und die
international verbotenen Streubomben, von denen bereits zahllose große
Gebiete des Jemens verseuchen und über Jahre, wenn nicht Jahrzehnte eine
tödliche Gefahr für die Zivilbevölkerung darstellen.
Der Krieg hat sich unterdessen auf 21 der 22 Provinzen des Landes
ausgebreitet. Die Koalition versucht seit vielen Monaten die Bevölkerung
durch Blockaden auszuhungern und zu zermürben. Laut UNO benötigen 80
Prozent der etwa 24 Millionen Jemeniten dringende Überlebenshilfe, die
sie nur in minimalem Maße bekommen. 15,2 Mio. Jemeniten haben keinen
Zugang zu medizinischer Versorgung. Zahlreiche Krankenhäuser, darunter
auch eines von „Ärzte ohne Grenzen“ wurden bei Luftangriffen der
Koalition zerstört. Zuletzt bombardierten die Saudis am Wochenende
erneut auch eine Schule, die nach Augenzeugen nicht als militärische
Einrichtung fungierte.
Die Situation für die Zivilbevölkerung verschärfte sich seit Juni,
als die arabische Koalition, unterstützt von lateinamerikanischen
Söldnern, eine Bodenoffensive begann und gemeinsam mit jemenitischen
Regierungstruppen die Huthi-Rebellen aus der Hafenstadt Aden und fünf
südlichen Provinzen vertrieb. Die Huthis, die im September 2014 aus
ihrem Kerngebiet im nördlichen Saada, gemeinsam mit Anhängern des Anfang
2012 gestürzten Präsidenten Saleh in den Streitkräften die Hauptstadt
Sanaa und anschließend zahlreiche Provinzen des Zentral- und Südjemen
erobert hatten, erwiesen sich als kaum besiegbare Guerillakämpfer. Ihr
Ziel ist eine Ende der Korruption im Lande, die unter Hadi Hochblüten
erreichte, und ein Ende der Diskriminierung ihrer konfessionellen
Bevölkerungsgruppe, der Zaiditen, einer Richtung des schiitischen Islam,
die allerdings den jemenitischen Sunniten theologisch näher steht als
den iranischen Zwölferschiiten. Sie stellen mehr als 40 Prozente der
Bevölkerung und wurden seit Jahrzehnten schwer diskriminiert.
Was unabhängige Beobachter des Jemen-Krieges besonders irritiert,
ist die sich stetig vertiefende Überzeugung insbesondere Saudi-Arabiens,
dass es in diesem arabischen Armenhaus in Wahrheit nicht um die
Verteidigung der Macht des bedrängten Präsidenten, sondern um eine
geopolitisch bedrohliche Expansion des iranischen Machtrivalen in der
Region geht und die Huthis seien Teherans Erfüllungsgehilfen. In
Wahrheit sind diese schiitischen Rebellen von leidenschaftlich
unabhängigem Geist getrieben, haben jedoch seit Kriegsbeginn zunehmend
Hilfe aus Teheran angenommen. Deshalb warnen Experten vor einer „selbst
erfüllenden Prophezeiung“.
Die einzigen Profiteure dieses Krieges sind die radikalen
Dschihadisten. Je stärker der Jemen ins Chaos stürzt, desto mehr gewinnt
„Al-Kaida der Arabischen Halbinsel“ an Stärke, insbesondere seit die
jemenitische Luftwaffe, die sie mit US-Unterstützung regelmäßig
bombardiert hatte, durch saudische Attacken zur Bedeutungslosigkeit
degradiert ist. Das Kriegschaos verschaffte auch der Terrormiliz des
„Islamischen Staates“ die Chance, im Jemen Fuss zu fassen und dort
Hunderte Zivilisten durch Bomben in Moscheen und auf öffentlichen
Plätzen zu ermorden.
Dass der Krieg gegen einen kampferprobten und im unwegsamen
Gebirgsgelände heimischen Feind nicht zu gewinnen ist, beginnt Riad auch
allmählich zu erkennen. Und die internationale Gemeinschaft dürfte
allmählich begreifen, dass auch die Gefahr für sie durch die sich
ausbreitenden Terrornetzwerke stetig wächst.
Ein Konzept für eine Friedenslösung freilich hat keiner der
Beteiligten erarbeitet. Ein anhaltender Waffenstillstand wäre der erste
Schritt. Eine Rückkehr Hadis an die Macht erscheint angesichts des
Blutvergießens der vergangenen Monate unvorstellbar. Doch ist Riad
bereit, seinen Schützling fallen zu lassen? Doch die einzige Alternative
zu raschen Verhandlungen ist noch größere Gewalt und eine gigantische
humanitäre Katastrophe über Jahre hinweg mit unabsehbaren Folgen für die
gesamte Region.
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