Dienstag, 8. Dezember 2015

Auf der Suche nach „gemäßigten“ syrischen Rebellen

Saudi-Arabien versucht, von ihm ausgewählte Oppositionelle für ein internationales Friedensprojekt zu einen – Doch die Islamisten werden immer stärker
 
von Birgit Cerha
 
Zum ersten Mal seit Beginn des Syrien-Krieges vor viereinhalb Jahren setzen sich Vertreter bewaffnetet Rebellen gegen das Assad-Regime in Riad an einen Tisch mit der politischen Opposition, um eine Friedenslösung für Syrien zu finden. Ausgerechnet das repressive Saudi-Arabien, Geburtsstätte der radikalen salafistischen Ideologie, die die Basis für Terror- und Islamistengruppen bildet, hat die Suche nach „gemäßigten“ Rebellen übernommen, die künftig wichtige Teile der Opposition bei Friedensverhandlungen repräsentieren sollen.  Der Fahrplan wurde im November auf einer internationalen Konferenz ohne syrische Beteiligung festgelegt: Waffenstillstand so rasch wie möglich; Verhandlungen mit Assad zur Bildung einer Übergangsregierung binnen sechs Monaten; 18 Monate später Wahlen.
Zu den rund hundert Eingeladenen zählen Vertreter der von den USA unterstützten „Syrischen Nationalen Koalition“ und der „Freien Syrischen Armee“, des von Russland geförderten „Nationalen Koordinations-Komitee der Kräfte des demokratischen Wandels“ und der von Saudi-Arabien finanzierten „Jaish al Islam“ (Armee des Islams), einer Koalition von mehr als 40 salafistischen Gruppen, sowie 20 bis 25 Unabhängige, Geschäftsleute und religiöse Führer.
Eine repräsentative Vertretung der syrischen Opposition zusammenzustellen, ist ein schier unlösbares Unterfangen. Die Rebellenszene ist extrem kompliziert. Experten schätzen die Zahl der unterschiedlichen in Syrien kämpfenden Gruppen auf etwa 1.500. Davon sind laut „International Institute for the Study of War“ 14 militärisch und strategisch von Bedeutung, allen voran der „Islamische Staat“ (IS) und der syrische Al-Kaida-Ableger „Nusra“. Beide stehen auf der Liste der Terrorgruppen des US-Außenministeriums und sind deshalb nicht nach Riad geladen. Nicht geladen für den Entscheidungsprozess um die Zukunft Syriens sind aber auch die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), der militärisch weitaus wichtigste und effizienteste Partner des Westens im Kampf gegen den IS, sowie deren politischer Arm, „Demokratische Unionspartei“ (PYD). Riad erfüllt damit den ausdrücklichen Wunsch der Türkei.
Jordanien mit seinem höchst effizienten Geheimdienstapparat versucht unterdessen, unter der Vielzahl der bewaffneten Gruppen jene herauszufiltern, die als „Terroristen“ gelten und damit  vom Übergangsprozess ausgeschlossen bleiben sollen. „Ahrar el Sham“ sollte eine davon sein, drängt Russland. Auch die USA hegen schwere Zweifel an der Vertrauenswürdigkeit dieser Organisation, die heute nach Einschätzung von Kennern der syrischen Jihadisten-Szene militärisch, insbesondere in Nord-Syrien zu stark sind, um von Friedensverhandlungen ausgeschlossen zu werden. Washington toleriert desbalb deren Teilnahme an der Konferenz in Riad.  Seit Beginn der russischen Luftangriffe am 30. September haben Ahrars Förderer Katar, Saudi-Arabien und vor allem auch die Türkei ihre militärische und finanzielle Unterstützung dieser Jihadisten massiv verstärkt. Ahrar vertrtitt eine salafistische Ideologie ähnlich jener der Al-Kaida und schloss sich der „Jaish als Fatah“ (Armee der Eroberung) an, einer Koalition, der auch Nusra angehört. Ahrar verdankt seine militärischen Erfolge aber auch seiner extrem effizienten Struktur und strikten Disziplin seiner Kämpfer, von denen zahlreiche wiederholt an der Seite Nusras agierten. Wie Nusra beging Ahrar aber auch gravierende Gräueltaten, ermordete 2013 alawitische Zivilisten und schändete 2014 christliche Heiligtümer. Doch die Gruppe ist zwischen Radikalen und Gemäßigten gespalten. Nachdem im September 2014 ihre gesamte Führung getötet wurde, haben nun die Gemäßigten die Oberhand. Sie versuchen, unterstützt von ihren ausländischen Förderern, sich dem Westen als „moderate“ Partner auf der Suche nach einem Ende des Krieges anzubieten, sich von Nusra zu distanzieren  und sich für ein politisches System einzusetzen, das Andersgläubigen und Minderheiten Schutz bietet. Ob dies mehr als Taktik ist, bleibt dahingestellt.
Fest steht jedoch, dass Gruppen wie Nusra und Ahrar el Shams von der Visionslosigkeit und Passivität des Westens angesichts der blutigen Tragödie Syriens enorm profitiert haben. Je länger das Chaos anhält, desto besser lässt sich das Rezept der Al-Kaida – „Laßt Ideen Zeit“ – anwenden und desto tiefer können die Salafisten ihre radikalen Vorstellungen von einem islamischen System in der Gesellschaft verankern. Ob sich die Radikalisierung rückgängig machen oder zumindest bremsen lässt, ist höchst fraglich.
 

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen