Saudi-Arabien versucht, von ihm ausgewählte Oppositionelle für ein
internationales Friedensprojekt zu einen – Doch die Islamisten werden
immer stärker
von Birgit Cerha
Zum ersten Mal seit Beginn des Syrien-Krieges vor viereinhalb
Jahren setzen sich Vertreter bewaffnetet Rebellen gegen das Assad-Regime
in Riad an einen Tisch mit der politischen Opposition, um eine
Friedenslösung für Syrien zu finden. Ausgerechnet das repressive
Saudi-Arabien, Geburtsstätte der radikalen salafistischen Ideologie, die
die Basis für Terror- und Islamistengruppen bildet, hat die Suche nach
„gemäßigten“ Rebellen übernommen, die künftig wichtige Teile der
Opposition bei Friedensverhandlungen repräsentieren sollen. Der
Fahrplan wurde im November auf einer internationalen Konferenz ohne
syrische Beteiligung festgelegt: Waffenstillstand so rasch wie möglich;
Verhandlungen mit Assad zur Bildung einer Übergangsregierung binnen
sechs Monaten; 18 Monate später Wahlen.
Zu den rund hundert Eingeladenen zählen Vertreter der von den USA
unterstützten „Syrischen Nationalen Koalition“ und der „Freien Syrischen
Armee“, des von Russland geförderten „Nationalen Koordinations-Komitee
der Kräfte des demokratischen Wandels“ und der von Saudi-Arabien
finanzierten „Jaish al Islam“ (Armee des Islams), einer Koalition von
mehr als 40 salafistischen Gruppen, sowie 20 bis 25 Unabhängige,
Geschäftsleute und religiöse Führer.
Eine repräsentative Vertretung der syrischen Opposition
zusammenzustellen, ist ein schier unlösbares Unterfangen. Die
Rebellenszene ist extrem kompliziert. Experten schätzen die Zahl der
unterschiedlichen in Syrien kämpfenden Gruppen auf etwa 1.500. Davon
sind laut „International Institute for the Study of War“ 14 militärisch
und strategisch von Bedeutung, allen voran der „Islamische Staat“ (IS)
und der syrische Al-Kaida-Ableger „Nusra“. Beide stehen auf der Liste
der Terrorgruppen des US-Außenministeriums und sind deshalb nicht nach
Riad geladen. Nicht geladen für den Entscheidungsprozess um die Zukunft
Syriens sind aber auch die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“
(YPG), der militärisch weitaus wichtigste und effizienteste Partner des
Westens im Kampf gegen den IS, sowie deren politischer Arm,
„Demokratische Unionspartei“ (PYD). Riad erfüllt damit den
ausdrücklichen Wunsch der Türkei.
Jordanien mit seinem höchst effizienten Geheimdienstapparat
versucht unterdessen, unter der Vielzahl der bewaffneten Gruppen jene
herauszufiltern, die als „Terroristen“ gelten und damit vom
Übergangsprozess ausgeschlossen bleiben sollen. „Ahrar el Sham“ sollte
eine davon sein, drängt Russland. Auch die USA hegen schwere Zweifel an
der Vertrauenswürdigkeit dieser Organisation, die heute nach
Einschätzung von Kennern der syrischen Jihadisten-Szene militärisch,
insbesondere in Nord-Syrien zu stark sind, um von Friedensverhandlungen
ausgeschlossen zu werden. Washington toleriert desbalb deren Teilnahme
an der Konferenz in Riad. Seit Beginn der russischen Luftangriffe am
30. September haben Ahrars Förderer Katar, Saudi-Arabien und vor allem
auch die Türkei ihre militärische und finanzielle Unterstützung dieser
Jihadisten massiv verstärkt. Ahrar vertrtitt eine salafistische
Ideologie ähnlich jener der Al-Kaida und schloss sich der „Jaish als
Fatah“ (Armee der Eroberung) an, einer Koalition, der auch Nusra
angehört. Ahrar verdankt seine militärischen Erfolge aber auch seiner
extrem effizienten Struktur und strikten Disziplin seiner Kämpfer, von
denen zahlreiche wiederholt an der Seite Nusras agierten. Wie Nusra
beging Ahrar aber auch gravierende Gräueltaten, ermordete 2013
alawitische Zivilisten und schändete 2014 christliche Heiligtümer. Doch
die Gruppe ist zwischen Radikalen und Gemäßigten gespalten. Nachdem im
September 2014 ihre gesamte Führung getötet wurde, haben nun die
Gemäßigten die Oberhand. Sie versuchen, unterstützt von ihren
ausländischen Förderern, sich dem Westen als „moderate“ Partner auf der
Suche nach einem Ende des Krieges anzubieten, sich von Nusra zu
distanzieren und sich für ein politisches System einzusetzen, das
Andersgläubigen und Minderheiten Schutz bietet. Ob dies mehr als Taktik
ist, bleibt dahingestellt.
Fest steht jedoch, dass Gruppen wie Nusra und Ahrar el Shams von
der Visionslosigkeit und Passivität des Westens angesichts der blutigen
Tragödie Syriens enorm profitiert haben. Je länger das Chaos anhält,
desto besser lässt sich das Rezept der Al-Kaida – „Laßt Ideen Zeit“ –
anwenden und desto tiefer können die Salafisten ihre radikalen
Vorstellungen von einem islamischen System in der Gesellschaft
verankern. Ob sich die Radikalisierung rückgängig machen oder zumindest
bremsen lässt, ist höchst fraglich.
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