Warum Syriens sunnitische Nachbarn dem Krieg gegen den auch sie bedrohenden Terror nicht allerhöchste Priorität einräumen
von Birgit Cerha
Der Kampf gegen den Terrorismus, dieser „größten Bedrohung unserer
Region“, sei vor allem „unser Feldzug“, stellte Jordaniens König
Abdullah dieser Tage entschieden klar. „Wir Muslime“ müssten die
Konfrontation gegen diese Extremisten anführen, die „versuchen, unsere
Gesellschaften als Geisel zu nehmen und Generationen mit ihrer
intoleranten Takfiri-Ideologie“ zu verseuchen. „Takfiri“ nennen die
Muslime die radikale islamische Praxis, ihre Feinde als Ungläubige zu
klassifizieren, die den Tod verdienten.
Kein anderer arabischer Herrscher fand bisher solch klare Worte,
wie Abdullah, dieser Sprössling aus der Familie des Propheten Mohammed.
Verbal zeigen arabische Führer zwar Abscheu vor den Gewaltexzessen der
IS-Massenmörder, doch den Kampf gegen dieses tödliche Übel in ihrer
Region überlassen sie lieber äußeren Mächten und den Kurden. Deshalb
drängen nun nach den Anschlägen von Paris die westliche Führer
insbesondere ihre arabischen Partner in der von den USA im Sommer 2014
zusammengestellten internationalen Koalition gegen den IS, ihre
Passivität aufzugeben. Die Golfstaaten, so mahnt
US-Verteidigungsminister Carter offen, müssten sich an diesem Kampf
beteiligen.
Saudi-Arabien zählte zu den ersten Arabern, die sich im Vorjahr der
alliierten Luftkampagne im Irak anschlossen und präsentierte stolz
einen prominenten Prinzen als einen der Piloten. Riad, die Vereinigen
Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Jordanien gaben mit ihrer
Luftwaffe und Katar mit militärischer Aufklärungshilfe der
internationalen Allianz das politisch so wichtige arabisch-islamische
Glied im Kampf gegen diese radikalen sunnitischen Fanatiker.
Doch unterdessen ist trotz dramatisch wachsender Terrorgefahr das
arabische Engagement erlahmt. Seit Februar flog Bahrain keinen Einsatz
mehr gegen den IS, die VAE stoppten stillschweigend im März, Jordanien
im August und Saudi-Arabien im September. Damit fehlt die
arabisch-islamische Antwort auf den IS-Terror, während Saudi-Arabien und
Katar seit 2011 mit Millionen von Dollar den Kampf diverser
Islamistengruppen gegen den von Teheran unterstützten syrischen Diktator
Assad überhaupt erst möglich machten.
Regionale Rivalitäten und interne Machtinteressen besitzen bei
strategischen Entscheidungen arabischer Herrscher, wie der Türkei
absoluten Vorrang gegenüber dem Kampf gegen sunnitische Fanatiker, deren
Gefährlichkeit und Brutalität auch angesichts Kriegsverbrechen Assads
an der eigenen Bevölkerung sekundär erscheint. Ägypten, der
volksreichste arabische Staat mit der weitaus effizientesten Streitkraft
und einem Militärdiktator, der alle radikalen Islamisten als Erzfeind
einstuft, ist durch die wachsende Terrorgefahr in seinem eigenen
Territorium, im Sinai, die Bedrohung durch radikale Islamisten im
benachbarten Libyen und die Sorge um die interne Stabilität zu stark in
Anspruch genommen, um sich der internationalen Allianz gegen den IS
anzuschließen. Saudi-Arabien zog es seit März vor, sich lieber auf
einen katastrophalen Bombenkrieg im Jemen zu konzentrieren, um den
militärischen Vormarsch der – wie Riad behauptet vom Iran unterstützten –
schiitischen Huthis im Nachbarstaat zu stoppen und die 25 Millionen
Yemeniten in eine – von der Welt weitgehend ignorierten – humanitäre
Katastrophe zu stürzen, die jener der Syrer gleicht. Ein Sieg über die
Huthis zeichnet sich nicht ab, Riad hingegen ist militärisch und
finanziell erschöpft. Das Kriegschaos aber hat dem IS die Tore in den
Yemen geöffnet und zugleich die dort seit Jahren stationierten
international gefährlichen Terroristen der „Al-Kaida auf der Arabischen
Halbinsel“ gestärkt wie nie zuvor.
Es ist aber auch eine tiefe Angst vor der Stimmung unter der
heimischen sunnitischen Bevölkerung, die die arabischen Autokraten in
ihrem Einsatz bei der internationalen Koalition gegen den IS bremst.
Offenen Krieg gegen Sunniten zu führen, könnte unter weiten sunnitischen
Bevölkerungskreisen Empörung auslösen. Auch wenn die Greuel des IS
weithin Entsetzen auslösen, sehen viele Sunniten der Region in der
Terrormiliz den Feind der Feinde vieler Araber, Assads und des Iran,
den insbesondere das Haus Saud langfristig weit mehr fürchtet als den
IS. Erst wenn Assad gestürzt und der Iran zurückgedrängt ist, so die
Meinung politischer Kreise vor allem am Golf, könnte die Region
ernsthaft dem Radikalismus des IS Schranken setzen – eine Priorität, die
die internationale Koalition angesichts der Terrorbedrohung im West und
einer neuen Verständigung mit dem Iran nach dem Atomabkommen im Juli
nicht mehr setzen kann.
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