Mittwoch, 25. November 2015

Wo bleiben die Araber im Kampf gegen den IS?

Warum Syriens sunnitische Nachbarn dem Krieg gegen den auch sie bedrohenden Terror nicht allerhöchste Priorität einräumen
 
von Birgit Cerha
 
Der Kampf gegen den Terrorismus, dieser „größten Bedrohung unserer Region“, sei vor allem „unser Feldzug“, stellte Jordaniens König Abdullah dieser Tage entschieden klar. „Wir Muslime“ müssten die Konfrontation gegen diese Extremisten anführen, die „versuchen, unsere Gesellschaften als Geisel zu nehmen und Generationen mit ihrer intoleranten Takfiri-Ideologie“ zu verseuchen. „Takfiri“ nennen die Muslime die radikale islamische Praxis, ihre Feinde als Ungläubige zu klassifizieren, die den Tod verdienten.
Kein anderer arabischer Herrscher fand bisher solch klare Worte, wie Abdullah, dieser Sprössling aus der Familie des Propheten Mohammed. Verbal zeigen arabische Führer zwar Abscheu vor den Gewaltexzessen der IS-Massenmörder, doch den Kampf gegen dieses tödliche Übel in ihrer Region überlassen sie lieber äußeren Mächten und den Kurden. Deshalb drängen nun nach den Anschlägen von Paris die westliche Führer insbesondere ihre arabischen Partner in der von den USA im Sommer 2014 zusammengestellten internationalen Koalition gegen den IS, ihre Passivität aufzugeben. Die Golfstaaten, so mahnt US-Verteidigungsminister Carter offen, müssten sich an diesem Kampf beteiligen.
Saudi-Arabien zählte zu den ersten Arabern, die sich im Vorjahr der alliierten Luftkampagne im Irak anschlossen und präsentierte stolz einen prominenten Prinzen als einen der Piloten. Riad, die Vereinigen Arabischen Emirate (VAE), Bahrain und Jordanien gaben mit ihrer Luftwaffe und Katar mit militärischer Aufklärungshilfe der internationalen Allianz das politisch so wichtige arabisch-islamische Glied im Kampf gegen diese radikalen sunnitischen Fanatiker.
Doch unterdessen ist trotz dramatisch wachsender Terrorgefahr das arabische Engagement erlahmt. Seit Februar flog Bahrain keinen Einsatz mehr gegen den IS, die VAE stoppten stillschweigend im März, Jordanien im August und Saudi-Arabien im September. Damit fehlt die arabisch-islamische Antwort auf den IS-Terror, während Saudi-Arabien und Katar seit 2011 mit Millionen von Dollar den Kampf diverser Islamistengruppen gegen den von Teheran unterstützten syrischen Diktator Assad überhaupt erst möglich machten.
Regionale Rivalitäten und interne Machtinteressen besitzen bei strategischen Entscheidungen arabischer Herrscher, wie der Türkei absoluten Vorrang gegenüber dem Kampf gegen sunnitische Fanatiker, deren Gefährlichkeit und Brutalität auch angesichts Kriegsverbrechen Assads an der eigenen Bevölkerung sekundär erscheint. Ägypten, der volksreichste arabische Staat mit der weitaus effizientesten Streitkraft und einem Militärdiktator, der alle radikalen Islamisten als Erzfeind einstuft, ist durch die wachsende Terrorgefahr in seinem eigenen Territorium, im Sinai, die Bedrohung durch radikale Islamisten im benachbarten Libyen und die Sorge um die interne Stabilität zu stark in Anspruch genommen, um sich der internationalen Allianz gegen den IS anzuschließen. Saudi-Arabien  zog es seit März vor, sich lieber auf einen katastrophalen Bombenkrieg im Jemen zu konzentrieren, um den militärischen Vormarsch der – wie Riad behauptet vom Iran unterstützten – schiitischen Huthis im Nachbarstaat zu stoppen und die 25 Millionen Yemeniten in eine – von der Welt weitgehend ignorierten – humanitäre Katastrophe zu stürzen, die jener der Syrer gleicht. Ein Sieg über die Huthis zeichnet sich nicht ab, Riad hingegen ist militärisch und finanziell erschöpft.  Das Kriegschaos aber hat dem IS die Tore in den Yemen geöffnet und zugleich die dort seit Jahren stationierten international gefährlichen Terroristen der „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ gestärkt wie nie zuvor.
Es ist aber auch eine tiefe Angst vor der Stimmung unter der heimischen sunnitischen Bevölkerung, die die arabischen Autokraten in ihrem Einsatz bei der internationalen Koalition gegen den IS bremst. Offenen Krieg gegen Sunniten zu führen, könnte unter weiten sunnitischen Bevölkerungskreisen Empörung auslösen. Auch wenn die Greuel des IS weithin Entsetzen auslösen, sehen viele Sunniten der Region in der Terrormiliz den Feind der Feinde vieler Araber,  Assads und des Iran, den insbesondere das Haus Saud langfristig weit mehr fürchtet als den IS. Erst wenn Assad gestürzt und der Iran zurückgedrängt ist, so die Meinung politischer Kreise vor allem am Golf, könnte die Region ernsthaft dem Radikalismus des IS Schranken setzen – eine Priorität, die die internationale Koalition angesichts der Terrorbedrohung im West und einer neuen Verständigung mit dem Iran nach dem Atomabkommen im Juli nicht mehr setzen kann.

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