Samstag, 28. November 2015

Assads Kalkül geht auf

Frankreich bereitet eine radikale Kehrtwende vor – Der Krieg gegen den „Islamischen Staat“ gewinnt höhere Priorität als Regimewechsel in Damaskus
 
von Birgit Cerha
 
Seit friedliche, sich nach demokratischen Freiheiten sehnende Syrer 2011 in die Straßen zogen, um Bashar el-Assad zu politischen Reformen zu drängen, hat der Diktator seine Gegner als „Terroristen“ verteufelt, die es gewaltsam zu bekämpfen gelte. Die Basis für den grausamsten Bürgerkrieg, der die Region je heimsuchte, war gelegt. Bald erstickten radikale islamistische Kräfte die Stimmen der Demokraten, der Terror der Feinde Assads begann und die Liste der Kriegsverbrechen des Regimes wurde immer länger. Der Großteil der 330.000 Menschen, die seither in diesem Krieg starben, verloren ihr Leben durch die Kriegsmaschinerie Assads: Artillerie, Bomben, Luftangriffe auf Städte und Dörfer, intensiver Einsatz von Fassbomben, Blockaden von Wohnvierteln, Aushungern der Zivilbevölkerung,  Folter, Verstümmelungen und Morde von Gefangenen; elf Millionen Flüchtlinge und intern Vertriebene. All diese Gräuel rechtfertigt ein sich in neuer Zuversicht wiegender Despot mit dem Kampf gegen islamistischen Terror, der vor allem die westliche Welt bedrohe. Die Attentate von Paris hätten ihm nun Recht gegeben. Dass Frankreich deshalb nun eine radikale Kehrtwende erwägt und mit Assads Streitkräften gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) kooperieren will, wertet der Syrer wohl als späte Einsicht seines größten europäischen Gegners, der sich nun  anderen westlichen Führern und Russland anschließen dürfte.
Nun werden sich die äußeren Mächte – mit Ausnahme wohl der Hauptverbündeten der radikalen Islamisten, Türkei, Saudi-Arabien und Katar – Russlands Strategie anschließen und ihren Kampf auf den IS und nicht auf Assad konzentrieren, nach dem Motto, nur mit Assad und seinen Streitkräften lässt sich der IS besiegen. Erst dann könne Syrien aus dem blutigen Chaos von Zerstörung und Tod gezogen werden. Syriens Rebellen sind empört. Für sie, selbst für die sog. „gemäßigten“ unter ihnen, spielte der IS stets eine sekundäre Rolle. Deshalb haben auch die vom Westen unterstützten Gruppen die mörderischen Jihadis wenn überhaupt nur halbherzig bekämpft. Sie werden sich jetzt, wenn die syrische Armee gemeinsam mit westlichen Verbündeten dem IS den Kampf ansagt, noch weniger zu einer Kooperation bereitfinden. Ganz im Gegenteil.
Begehen westliche Führer einen fatalen Fehler, wenn sie sich nun mit einem schwerster Kriegsverbrechen beschuldigten Despoten zum gemeinsamen Kampf bereitfinden und ihn damit stärken oder gar die Macht retten?
Der Syrienkonflikt bereitet westlichen Demokraten schon lange ein schweres Dilemma. Syriens Rebellen, die heute die Opposition dominieren, sind nicht weniger brutal als das Regime. Selbst,  Gemäßigtere unter ihnen halten wenig von demokratischen Grundsätzen und streben nach einem islamischen Staat. Minderheiten, die unter Assad Schutz fanden, müssen eine Herrschaft dieser Jihadis fürchten. Die Opposition ist hoffnungslos zersplittert, an die 30 größere Jihadi-Gruppen bekämpfen einander. Ein Sturz des Assad-Regimes würde das Land noch tiefer ins Chaos stürzen, mit Kämpfen ohne Ende und damit dem IS weiteren Nährboden verschaffen. Bleibt nur als einzige Chance ein Arrangement mit Assad zur Vernichtung des IS-Übels wenigstens in Syrien und dann der rasche Abtritt des Despoten. Doch wer ihn ersetzen und Syrien zu Frieden führen kann, ist heute ebenso ungewiss, wie die Folgen eines gemeinsamen Krieges mit Assad, der noch mehr Rebellen in die Arme des mörderischen IS treiben könnte.
 

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