Frankreich bereitet eine radikale Kehrtwende vor – Der Krieg gegen
den „Islamischen Staat“ gewinnt höhere Priorität als Regimewechsel in
Damaskus
von Birgit Cerha
Seit friedliche, sich nach demokratischen Freiheiten sehnende Syrer
2011 in die Straßen zogen, um Bashar el-Assad zu politischen Reformen
zu drängen, hat der Diktator seine Gegner als „Terroristen“ verteufelt,
die es gewaltsam zu bekämpfen gelte. Die Basis für den grausamsten
Bürgerkrieg, der die Region je heimsuchte, war gelegt. Bald erstickten
radikale islamistische Kräfte die Stimmen der Demokraten, der Terror der
Feinde Assads begann und die Liste der Kriegsverbrechen des Regimes
wurde immer länger. Der Großteil der 330.000 Menschen, die seither in
diesem Krieg starben, verloren ihr Leben durch die Kriegsmaschinerie
Assads: Artillerie, Bomben, Luftangriffe auf Städte und Dörfer,
intensiver Einsatz von Fassbomben, Blockaden von Wohnvierteln,
Aushungern der Zivilbevölkerung, Folter, Verstümmelungen und Morde von
Gefangenen; elf Millionen Flüchtlinge und intern Vertriebene. All diese
Gräuel rechtfertigt ein sich in neuer Zuversicht wiegender Despot mit
dem Kampf gegen islamistischen Terror, der vor allem die westliche Welt
bedrohe. Die Attentate von Paris hätten ihm nun Recht gegeben. Dass
Frankreich deshalb nun eine radikale Kehrtwende erwägt und mit Assads
Streitkräften gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS)
kooperieren will, wertet der Syrer wohl als späte Einsicht seines
größten europäischen Gegners, der sich nun anderen westlichen Führern
und Russland anschließen dürfte.
Nun werden sich die äußeren Mächte – mit Ausnahme wohl der
Hauptverbündeten der radikalen Islamisten, Türkei, Saudi-Arabien und
Katar – Russlands Strategie anschließen und ihren Kampf auf den IS und
nicht auf Assad konzentrieren, nach dem Motto, nur mit Assad und seinen
Streitkräften lässt sich der IS besiegen. Erst dann könne Syrien aus dem
blutigen Chaos von Zerstörung und Tod gezogen werden. Syriens Rebellen
sind empört. Für sie, selbst für die sog. „gemäßigten“ unter ihnen,
spielte der IS stets eine sekundäre Rolle. Deshalb haben auch die vom
Westen unterstützten Gruppen die mörderischen Jihadis wenn überhaupt nur
halbherzig bekämpft. Sie werden sich jetzt, wenn die syrische Armee
gemeinsam mit westlichen Verbündeten dem IS den Kampf ansagt, noch
weniger zu einer Kooperation bereitfinden. Ganz im Gegenteil.
Begehen westliche Führer einen fatalen Fehler, wenn sie sich nun
mit einem schwerster Kriegsverbrechen beschuldigten Despoten zum
gemeinsamen Kampf bereitfinden und ihn damit stärken oder gar die Macht
retten?
Der Syrienkonflikt bereitet westlichen Demokraten schon lange ein
schweres Dilemma. Syriens Rebellen, die heute die Opposition dominieren,
sind nicht weniger brutal als das Regime. Selbst, Gemäßigtere unter
ihnen halten wenig von demokratischen Grundsätzen und streben nach einem
islamischen Staat. Minderheiten, die unter Assad Schutz fanden, müssen
eine Herrschaft dieser Jihadis fürchten. Die Opposition ist hoffnungslos
zersplittert, an die 30 größere Jihadi-Gruppen bekämpfen einander. Ein
Sturz des Assad-Regimes würde das Land noch tiefer ins Chaos stürzen,
mit Kämpfen ohne Ende und damit dem IS weiteren Nährboden verschaffen.
Bleibt nur als einzige Chance ein Arrangement mit Assad zur Vernichtung
des IS-Übels wenigstens in Syrien und dann der rasche Abtritt des
Despoten. Doch wer ihn ersetzen und Syrien zu Frieden führen kann, ist
heute ebenso ungewiss, wie die Folgen eines gemeinsamen Krieges mit
Assad, der noch mehr Rebellen in die Arme des mörderischen IS treiben
könnte.
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