Die Vertreibung der radikalen Jihadis aus der Yeziden-Stadt wäre ein wichtiger strategischer Sieg im Anti-Terror-Krieg und ein moralischer für die gequälte irakische Minderheit
Von Birgit Cerha
An drei Fronten begannen Donnerstag im Morgengrauen 7.500 Mann der kurdischen Peschmerga-Einheiten, Tausende yezidische Widerstandskämpfer, sowie Angehörige der türkisch-kurdischen PKK und deren syrischen Schwesterorganisation YPG, unterstützt durch US-Luftangriffe eine seit Monaten geplante Großoffensive zur Befreiung der kurdisch-yezidischen Stadt Sindschar, die seit August 2014 von der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) barbarisch beherrscht wird. Mehrmals in den vergangenen 15 Monaten hatten die Kurden erfolglos versucht, die überwiegend von Yeziden, sowie kleinen arabischen und christlichen Minderheiten bewohnte Stadt zu befreien. Nun sind sie entschlossen, die „Operation Freiheit für Sindschar“, mit intensiver Hilfe aus der Luft, zum Erfolg zu führen. Denn die Vertreibung des IS aus dieser nur 50 km von der syrischen Grenze entfernten Stadt wäre ein bedeutender moralischer Sieg für die gemarterte yezidische Minderheit und für die Kurden insgesamt und ein wichtiger strategischer im Kampf gegen den IS im Irak und in Syrien.
Donnerstag gelang den kurdischen Einheiten die Eroberung einiger Dörfer am Rande der Stadt und eines Teils der wichtigsten Verbindungsstraße zwischen den beiden Hauptzentren des IS, Mosul im Irak und Rakka in Syrien, während sich yezidische Einheiten in Sindschar von Haus zu Haus vorkämpfen. Doch Peshmerga-Kommandanten befürchten eine äußerst schwierige und verlustreiche Schlacht um die Stadt, in der sich zwischen 200 bis 600 Jihadis verschanzt haben. Wieviele Zivilisten in dem einst von rund 40.000 Menschen bewohnten Sindschar noch ausharren und zweifellos vom IS als Geiseln gehalten werden, ist völlig unklar. Fest steht allerdings, dass der IS sich monatelang auf diese, wiederholt von den Kurden angekündigte, doch immer wieder aufgeschobenen Offensive vorbereiten konnte und die Stadt durch unzählige Sprengfallen und Minen abzuschirmen sucht. Sehr verlustreiche und langwierige Haus-zu-Haus-Kämpfe dürften den Kurden bevorstehen.
Die Bedeutung dieser Offensive für die Kurden zeigt der Präsident der autonomen Region, Massoud Barzani, der erstmals an vorderster Front einer Schlacht gegen den IS steht. Barzani will so sein persönliches Engagement dokumentieren, sah er sich doch dem schweren Vorwurf ausgesetzt, seine Peschmerga hätten bei dem rasanten Vormarsch des IS im August 2014 kampflos ihre Stellungen geräumt und die Yeziden in Sindschar hilflos den massenmordenden Fanatikern ausgeliefert. Die Welt hatte damals mit blankem Entsetzen die grauenvollen Meldungen von der Flucht von rund 50.000 Yeziden aus der Stadt und den angrenzenden Dörfern verfolgt, die in dem nahegelegenen, gleichnamigen Gebirge ohne Schutz gegen die brütende Hitze, ohne Nahrung und Wasser ihr Leben zu retten suchten und wochenlang ausharrten, bis sich die USA zu ihren ersten Luftschlägen gegen den IS entschloss und die PKK entscheidende Rettung über einen Landkorridor ermöglichte. Unter jenen Yeziden, die nicht aus Sindschar flüchten konnten, waren mindestens 5000 Männer und Buben, die der IS ermordete, einige bei lebendigem Leib begrub, während Tausende Frauen und Mädchen verschleppt, vergewaltigt und versklavt wurden. Tausende sind bis heute verschollen und viele von ihnen immer noch unter menschenunwürdigen Bedingungen in Gefangenschaft. Die UN-Menschenrechtskommission klassifizierte unterdessen diese Verbrechen als Völkermord, denn das Ziel sei es gewesen, die Angehörigen dieser uralten monotheistischen Religion „als Gruppe zu vernichten“.
Die yezidische Widerstandskämpfer, die nun in Sindschar ihr Leben riskieren, sind fest entschlossen, die „verlorene Würde“ ihrer religiösen Minderheit wieder herzustellen und den teils in das nordirakische Kurdistan, teils nach Europa, insbesondere nach Deutschland, geflüchteten Yeziden die Rückkehr in die Heimat zu ermöglichen. Sindschar ist die größte vom IS eroberte kurdische Stadt. Ihre Befreiung wäre damit auch ein wichtiger psychologischer Erfolg für die Kurden. Sie ist aber auch strategisch von großer Bedeutung, denn an ihr führt die Hauptverbindungsstraße nach Syrien vorbei, die dem IS raschen militärischen Nachschub zwischen Irak und Syrien und damit große Flexibilität im Verteidigungskampf ermöglicht. US-Militärexperten halten die Unterbrechung dieser wichtigen Nachschubroute als entscheidend für den Befreiungskampf um Iraks zweitgrößte Stadt Mosul, der sich als schicksalhaft für den IS erweisen würde.
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