Die Flugzeugkatastrophe fügt der sich langsam erholenden
Tourismusbranche einen vernichtenden Schlag zu – Unabsehbare
Auswirkungen für die dahinsiechende Wirtschaft
von Birgit Cerha
Hartnäckig weigert sich das offizielle Ägypten, die Möglichkeit
eines Terroraktes auszusprechen, der am 31. Oktober eine russische
Passagiermaschine nach dem Abflug aus dem Ferienparadies Sharm el Sheikh
zum Absturz brachte und 224 Menschen in den Tod riss. „Sollte
tatsächlich eine Bombe die Katastrophe ausgelöst haben“, wie
internationale Ermittler vermuten, würde der Tourismus in Ägypten
einfach sterben“. Diese düstere Prognose eines Reiseveranstalters in
Sharm el Sheikh reflektiert die Krisenstimmung am südlichen Zipfel der
Sinai-Halbinsel, der sich in den so turbulenten vergangenen vier Jahren
als sicherer, vom Rest des Landes abgeschirmter Ferienort erwiesen hat.
Trotz Einbußen in Besucherzahlen blieb Sharm el Sheikh, das ein Drittel
der ägyptischen Hotelbetten beherbergt, die stärkste Hoffnung auf
Erholung der dahinsiechenden Wirtschaft.
Der Untergang dieses Ferienzentrums könnte tatsächlich dem gesamten
Fremdenverkehr am Nil einen Todesstoß versetzen. Deshalb stürzt auch
die abrupte Entscheidung zur Abreise Zehntausender Urlauber aus
Großbritannien, Deutschland, vor allem aber auch Russland die Herrscher
in Kairo in Panik. Wenn sich die Situation nicht rasch wieder entspannt,
ist mit gravierenden Folgen für die gesamte Wirtschaft zu rechnen.
Eilig starteten die Behörden deshalb einen internationalen Werbefeldzug,
um das Vertrauen in die Sicherheit im Süd-Sinai wieder herzustellen.
Eine Twitter- Kampagne „I’m going to Sharm“ wirbt um Solidarität mit dem
Urlaubsort, der so ungerechtfertigt, wie viele meinen, die Rechnung für
voreilige Regierungsbeschlüsse zur Heimholung von Bürgern bezahlen
muss. Briten und Russen sind mit insgesamt fünf Millionen Besuchern in
Spitzenzeiten die zahlreichsten Liebhaber Sharm el Sheikhs. Wenn sie
wegbleiben, sieht die Zukunft düster aus.
Die Katastrophe trifft den Tourismus und die Wirtschaft insgesamt
zu einem Zeitpunkt, da sich nach den blutigen Wirren als Folge der
Revolution, nach dem Sturz von Diktator Mubarak 2011,jenem seines
gewählten islamistischen Nachfolgers Mursi 2013, der Machtübernahme des
neuen, vom Militär gestützten Diktators Sisi erste Hoffnungsschimmer auf
Ruhe und wirtschaftliche Erholung erkennen ließen. Sharm el Sheikh
spielte dabei eine zentrale Rolle. Erstmals seit 2011 waren die Hotels
im Juni zu 70 Prozent belegt. Die Hoffnung auf eine Trendwende breitete
sich aus, nachdem die Besucherzahlen von Jänner bis September erstmals
seit vier Jahren um – wiewohl nur magere – fünf Prozent auf 6,6
Millionen angestiegen sind und Einkünfte von 4,6 Mrd. Dollar erbrachten
(Vergleichszeitraum 2014: 6,3 Mio. Besucher und 4,5 Mrd. Dollar).Für das
gesamte Jahr 2015 wurden vor der Flugzeugkatastrophe zehn Millionen
Besucher und 7,5 bis acht Mrd. Dollar Einkünfte erwartet. Seit dem
Spitzenjahr 2010 waren die Besucherzahlen von 14,7 Millionen (12,5 Mrd.
Dollar Einkünfte) bis 2015 laufend wegen anhaltender Unruhen und
mehrerer Terrorakte zurückgegangen.
Tourismus ist der wichtigste Motor der Wirtschaft, zu 73 Prozent in
Privathand. Er trägt mit mehr als elf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt
bei und erbringt 20 Prozent der Deviseneinkünfte. Einer von neun
beschäftigten Ägyptern arbeitet in diesem Sektor. Ein radikaler
Geschäftseinbruch hätte dramatische Folgen auf die Arbeitslosigkeit, die
seit 2011von neun auf 13 Prozent anstieg. In der Wirtschaftsplanung
konzentriert sich das Regime deshalb auf den Ausbau des Fremdenverkehrs,
den sie bis 2020 mit 39 Millionen Touristen und Einkünften von 30 Mrd.
Dollar im Jahr verdoppeln und damit die Basis für ein kräftiges
Wirtschaftswachstum schaffen will, das auch die sozial schwachen
Gesellschaftsgruppen erreicht. Auf diese Weise, so die Hoffnung, könnte
die islamistische Opposition den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren.
Tourismus ist der Schlüssel zu Ägyptens Stabilität.
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