Sonntag, 8. November 2015

Ein Alptraum für Ägypten

Die Flugzeugkatastrophe fügt der sich langsam erholenden Tourismusbranche einen vernichtenden Schlag zu – Unabsehbare Auswirkungen für die dahinsiechende Wirtschaft
 
 
von Birgit Cerha
 
Hartnäckig weigert sich das offizielle Ägypten, die Möglichkeit eines Terroraktes auszusprechen, der am 31. Oktober eine russische Passagiermaschine nach dem Abflug aus dem Ferienparadies Sharm el Sheikh zum Absturz brachte und 224 Menschen in den Tod riss. „Sollte tatsächlich eine Bombe die Katastrophe ausgelöst haben“, wie  internationale Ermittler vermuten, würde der Tourismus in Ägypten einfach sterben“. Diese düstere Prognose eines Reiseveranstalters in Sharm el Sheikh reflektiert die Krisenstimmung am südlichen Zipfel der Sinai-Halbinsel, der sich in den so turbulenten vergangenen vier Jahren als sicherer, vom Rest des Landes abgeschirmter Ferienort erwiesen hat. Trotz Einbußen in Besucherzahlen blieb Sharm el Sheikh, das ein Drittel der ägyptischen Hotelbetten beherbergt, die stärkste Hoffnung auf Erholung der dahinsiechenden Wirtschaft.
Der Untergang dieses Ferienzentrums könnte tatsächlich dem gesamten Fremdenverkehr am Nil einen Todesstoß versetzen. Deshalb stürzt auch die abrupte Entscheidung zur Abreise Zehntausender Urlauber aus Großbritannien, Deutschland, vor allem aber auch Russland die Herrscher in Kairo in Panik. Wenn sich die Situation nicht rasch wieder entspannt, ist mit gravierenden Folgen für die gesamte Wirtschaft zu rechnen. Eilig starteten die Behörden deshalb einen internationalen Werbefeldzug, um das Vertrauen in die Sicherheit im Süd-Sinai wieder herzustellen. Eine Twitter- Kampagne „I’m going to Sharm“ wirbt um Solidarität mit dem Urlaubsort, der so ungerechtfertigt, wie viele meinen, die Rechnung für voreilige Regierungsbeschlüsse zur Heimholung von Bürgern bezahlen muss. Briten und Russen sind mit insgesamt fünf Millionen Besuchern in Spitzenzeiten die zahlreichsten Liebhaber Sharm el Sheikhs. Wenn sie wegbleiben, sieht die Zukunft düster aus.
Die Katastrophe trifft den Tourismus und die Wirtschaft insgesamt zu einem Zeitpunkt, da sich nach den blutigen Wirren als Folge der Revolution, nach dem Sturz von Diktator Mubarak 2011,jenem seines gewählten islamistischen Nachfolgers Mursi 2013, der Machtübernahme des neuen, vom Militär gestützten Diktators Sisi erste Hoffnungsschimmer auf Ruhe und wirtschaftliche Erholung erkennen ließen. Sharm el Sheikh spielte dabei eine zentrale Rolle. Erstmals seit 2011 waren die Hotels im Juni zu 70 Prozent belegt. Die Hoffnung auf eine Trendwende breitete sich aus, nachdem die Besucherzahlen von Jänner bis September erstmals seit vier Jahren um  – wiewohl nur magere – fünf Prozent auf 6,6 Millionen angestiegen sind und Einkünfte von 4,6 Mrd. Dollar erbrachten (Vergleichszeitraum 2014: 6,3 Mio. Besucher und 4,5 Mrd. Dollar).Für das gesamte Jahr 2015 wurden  vor der Flugzeugkatastrophe zehn Millionen Besucher und 7,5 bis acht Mrd. Dollar Einkünfte erwartet. Seit dem Spitzenjahr 2010 waren  die Besucherzahlen von 14,7 Millionen (12,5 Mrd. Dollar Einkünfte) bis 2015 laufend wegen anhaltender Unruhen und mehrerer Terrorakte zurückgegangen.
Tourismus ist der wichtigste Motor der Wirtschaft, zu 73 Prozent in Privathand. Er trägt mit mehr als elf Prozent zum Bruttoinlandsprodukt bei und erbringt 20 Prozent der Deviseneinkünfte. Einer von neun beschäftigten Ägyptern arbeitet in diesem Sektor. Ein radikaler Geschäftseinbruch hätte dramatische Folgen auf die Arbeitslosigkeit, die seit 2011von neun auf 13 Prozent anstieg. In der Wirtschaftsplanung konzentriert sich das Regime deshalb auf den Ausbau des Fremdenverkehrs, den sie bis 2020 mit 39 Millionen Touristen und Einkünften von 30 Mrd. Dollar im Jahr verdoppeln und damit die Basis für ein kräftiges Wirtschaftswachstum schaffen will, das auch die sozial schwachen Gesellschaftsgruppen erreicht. Auf diese Weise, so die Hoffnung, könnte die islamistische Opposition den Rückhalt in der Bevölkerung verlieren. Tourismus ist der Schlüssel zu Ägyptens Stabilität.

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