Montag, 12. Oktober 2015

Wen kann der Westen noch in Syrien unterstützen?

Die USA setzen auf die „Demokratischen Kräfte Syriens“  - Wer steckt hinter diesem Konglomerat von Kämpfern und was sind ihre Ziele
 
von Birgit Cerha
 
Die ersten Abwürfe von leichten Waffen, Munition und Kommunikationsgeräten für ausgesuchte syrische Milizen könnten sofort beginnen, verkündet das US-Verteidigungsministerium, nachdem  es  offiziell das Scheitern seines  500 Mio.Dollar Programms zur Ausbildung „gemäßigter Rebellen“ für den Kampf gegen Diktator Assad eingestand  und die Schließung der Trainingslager in der Türkei und Jordanien  anordnete. Im Konglomerat von mehr als 40 rivalisierenden  Gruppen entsteht nun eine neue Allianz, die sich nach US-Wünschen in erster Linie dem Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) verschreiben soll und dabei mit US-Luftunterstützung rechnen kann. Sie  soll eine Alternative zu den USA  lange geplanten, ideologisch geprüften und ausgebildeten Bodentruppen schaffen. Dieses US-Projekt ist kläglich gescheitert, weil viele der Rekruten mit ihren Waffen rasch zu islamistischen Gruppen, vor allem dem im Kampf gegen die Regierungssoldaten besonders erfolgreichen „Al-Kaida“-Ableger, „Jabhat al Nusra“, überliefen.
Zugleich hatte jüngst der ehemalige US-Geheimdienstchef Petraeus unumwunden festgestellt, dass es nach mehr als vierjährigem Krieg in Syrien keine „gemäßigten Rebellen“ mehr gäbe, auf die sich Washington stützen könnte. Wer steht nun hinter dieser neuen Allianz, auf die die USA noch zu hoffen wagen?
Washingtons neues Engagement konzentriert sich auf Nord-Syrien, in der Hoffnung auf eine erfolgreiche Offensive gegen die „Hauptstadt“ des IS, Rakka, die seine syrischen Verbündeten nicht erobern, aber durch Belagerung zermürben sollen. Diese Allianz nennt sich „Demokratische Kräfte Syriens“ (DKS) und ihre weitaus stärkste und in ihrem Engagement gegen den IS verlässlichste Fraktion sind die kurdischen „Volksverteidigungseinheiten“ (YPG), die seit ihrem dramatischen Kampf um die kurdische Grenzstadt Kobane gegen den IS vor einem Jahr in einer Art militärischer Koordination mit den USA agieren und, durch Washington aus der Luft unterstützt, die radikalen Jihadis aus strategisch wichtigen Punkten in Nordost-Syrien vertreiben konnten.
YPGs Sonntag verkündete Beteiligung an DKS erhöht die militärischen Erfolgschancen dieser Allianz gegen den IS entscheidend. Denn diese Kurdenkämpfer sind trainiert und motiviert und damit militärisch effizient wie kaum andere syrische Rebellengruppe und sie konnten, mit US-Unterstützung dem IS wiederholt empfindliche Niederlagen zufügen. So vertrieben sie die Jihadis u.a. im Juni  aus der für deren Verbindung zur Türkei entscheidenden Grenzstadt Tal Abayad.  Im Gegensatz zu anderen Rebellengruppen besitzt YPG einen effizienten militärischen Geheimdienstapparat, der sich insbesondere auf Informationen über den IS konzentriert, eine „Spezialeinheit“, die hinter der feindlichen Front operiert, sowie eine Anti-Terror Einheit. Jeder dieser  Abteilungen gehören Hunderte Kämpfer an. Insgesamt kann YPG nach eigenen Angaben 45.000 Kämpfer einsetzen, mehr als 80 Prozent davon Kurden. Damit ist YPG auch numerisch die stärkste Fraktion innerhalb von DKS, deren arabische Fraktionen nach Schätzungen über 3000 bis 5000 Kämpfer verfügen. Und als Kurden zählen sie zu den Erzfeinden der radikalen arabischen Jihadisten. Ihr Engagement gegen den IS ist für sie ein Überlebenskampf und zugleich Garantie dafür, dass Kurden nicht zu radikalen Islamistengruppen, wie Nusra, überlaufen.
Dennoch bleibt Washingtons Unterstützung begrenzt, insbesondere seit die USA im Frühsommer die türkische Bedingung zur Benutzung der NATO-Basisi Incirlik in der Südosttürkei für Einsätze gegen den IS akzeptierte: keine Hilfe an die syrischen Kurden, damit diese nicht gestärkt würden und das gesamte syrische Grenzgebiet zur Türkei unter ihre Kontrolle brächten. Und auf türkischen Druck schloss Washington in das neue von ihm geförderte Bündnis neben christlichen Assyrern auch arabische Gruppen mit ein, deren  Zuverläßlichkeit höchst zweifelhaft ist. So hatte die größte arabische Fraktion im neuen Bündnis, „Liwa Thuwwar al-Raqqa“,mit Nusra eng kollaboriert, bevor der IS dort sein Hauptquartier einrichtete und sich dem „Euphrat Vulkan“ angeschlossen hatte, einer Koalition arabischer Gruppen, die nun den Kern des arabischen Elements von DKS bilden. Zu ihnen zählt auch „Jaysh al-Qasas“, die 2014 mit dem IS kooperiert hatten und deren Kämpfer laut der einst vom Westen unterstützten und inzwischen auseinandergebrochenen „Freien Syrischen Armee“ (FSA), sich weniger vor allem durch  Plünderung hervorgetan hatten.
Washington versucht auch andere arabische Gruppen für die neue Allianz zu gewinnen, darunter die von Saudi-Arabien unterstützte „Islamische Front“ (IS), die Gebiete im Norden, aber auch in Süd-Syrien kontrolliert und sich zum radikalen Salafismus bekennt. Auch Mitglieder des in Ost-Syrien stark verbreiteten arabischen Shammar-Stammes, die wiederholt Massaker durch den IS erlitten hatten, schlossen sich DKS an. Die neue Gruppe, so die Hoffnung, könnte deshalb mehr arabische Stämme für den gemeinsamen Kampf gegen den IS gewinnen.
Doch tiefes Misstrauen zwischen Arabern und Kurden droht, neben den die YPG schwächenden Manipulationen der Türkei die Effizienz von DKS zu stören. Arabische Gruppen lehnen entschieden das Streben der Kurden, die bereits jetzt mit geschätzten mehr als 3000 Toten große Opfer im Kampf gegen den IS gebracht hatten, nach Selbstverwaltung in Nord-Syrien ab. Ein militärische Kooperation dürfte damit bestenfalls nur kurzfristige Erfolge bringen.
 

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