Dienstag, 6. Oktober 2015

Aufruf zum Jihad gegen Russland

Putins Intervention in Syrien einigt – vorerst – Dutzende Rebellengruppen, während sie arabische Führer überwiegend in Ratlosigkeit stürzt

Von Birgit Cerha


Nur langsam vermögen sich die nahöstlichen Führer auf die neue strategische Realität einzustellen, die die russische Militärintervention in Syrien in der gesamten Region geschaffen hat. Offiziell hüllt sich ein Großteil der Herrscher in Schweigen, denn keiner will es sich mit der um neuen Einfluss kämpfenden Großmacht von vornherein verscherzen, zumal das Vertrauen in die rivalisierende Supermacht USA einen Tiefpunkt erreicht hat. Faisal al Yafai, Chefkommentator der in den Vereinigten Arabischen Emiraten erscheinenden Tageszeitung „The National“, fasst die weitverbreitete Stimmung zusammen: „Der Mittlere Osten verlässt sich nicht mehr auf (US-Präsident) Obama.“ In der Syrienkrise „scheint es, dass Amerika und seine Verbündeten die einzigen sind, die keinen Plan haben“, während „Russland und der Iran nichts weniger anstreben, als die amerikanisch-israelische Achse durch ihre zu ersetzen.“ Putin habe, so meinen auch andere Kommentatoren in der Region, „nun ein freies Feld“. 
Ibrahim al-Amin, Chefredakteur der der pro-iranischen libanesischen Hisbollah nahestehenden Zeitung „Akhbar“,  spricht schon von dem „4+1-Block“, einer neuen Allianz zwischen Iran, Irak, Syriens Assad und der Hisbollah unter russischer Führung, deren Basis jüngst in Bagdad mit dem vorerst bescheidenen Ziel des Austauschs von Geheimdienstinformationen für den Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) geschaffen wurde.
Ungeachtet der weitverbreiteten Bitterkeit über die unentschlossene US-Syrienpolitik hat bisher einzig der US-Verbündete Ägypten, das größte arabisch-sunnitische Land, die russische Syrien-Intervention begrüßt. Diktator Sisi führt einen erbitterten Kampf gegen islamischen Radikalismus im eigenen Land und Außenminister Shoukry sieht Russlands militärische Entschlossenheit in Syrien als wichtige Unterstützung, ja vielleicht entscheidende Hilfe, um den sich in der ganzen Region ausbreitenden Terror radikaler Islamisten des IS und der Al-Kaida zu stoppen.
In Syrien selbst gewinnt der jüngst bedrohlich bedrängte Diktator Assad durch Russlands Luftschläge neue Zuversicht und bereit mit Hilfe von Hisbollah und etwa 7000 iranischen Revolutionsgardisten eine neue Offensive vor. Moskaus Attacken trafen bisher überwiegend Rebellen, die nicht dem IS angehören, doch größtenteils ebenfalls radikaler islamistischer Ideologie anhängen und Assad, dank verstärkter Unterstützung durch Saudi-Arabien und Katar erstmals fatal in die Enge getrieben hatten. Nun wendet sich das Blatt nach viereinhalb Jahren Krieg wieder. Deshalb schlossen sich 41 miteinander rivalisierende Rebellengruppen, darunter auch die vom Westen unterstützte „Freie Syrische Amree“, nun zu einem gemeinsamen Hilferuf an arabische Führer zusammen.  Nur durch eine regionale Kooperation“ und verstärkte Unterstützung an sie könnte der „Syrien okkupierenden russisch-iranischen Allianz“ entgegnet werden. Die von der islamistischen „Ahrar al-Sham“ an „Reuters“ übergebene Erklärung  nennt nicht die um Hilfe gebetenen Regionalstaaten, doch die Gruppe war bisher von der Türkei, Saudi-Arabien und Katar unterstützt worden.
Saudi-Arabien, neben Katar der arabische Staat, der sich im Syrienkrieg am heftigsten mit dem Ziel engagiert, den Einfluss von Assads engsten Verbündeten Iran in der Region einzudämmen, hält sich mit Kritik an Moskaus Syrien-Intervention zurück. Nur Außenminister Adel Al-Jubeir stellt klar, dass es „keine Zukunft für Assad in Syrien“ geben könne, während Putins Militäraktionen darauf abzielen, dem Diktator – zumindest vorerst – die Macht zu retten. Für Riad ist Russlands Strategie ein gravierender Rückschlag. Sich auf eine Zukunft mit Assad einzustellen,  ist für Saudi-Arabien und Katar keine Option mehr, allzu viel haben sie in diesen blutigen Kampf investiert. Beobachter erwarten, dass die beiden Staaten nun ihre militärische und materielle Hilfe an die islamistischen Rebellen entscheidend verstärken werden.
Auch Irans Engagement im Irak in der gemeinsamen Allianz mit Russland irritiert Riad zutiefst. Zudem hat die irakische Regierung klargestellt, dass auch sie russische Luftangriffe gegen IS-Positionen im Lande begrüßen würde, da der einjährige Luftkrieg der US-Allianz längst keine Erfolge mehr brachte. Während im Irak der höchste schiitische Geistliche, Großayatollah Sistani  zu einem globalen Krieg gegen den IS aufruft, appellieren in Saudi-Arabien Dutzende islamistische Geistliche an arabische und islamische Länder, dem „Jihad gegen die syrische Regierung und ihre iranischen und russischen Unterstützer“ jede „moralische, materielle, politische und Militärische Unterstützung „ zu geben.

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