Mittwoch, 26. August 2015

Was treibt die Vernichtungswut des „Islamischen Staates“?


Der religiös motivierte Vandalismus in Syrien und im Irak ist eine Katastrophe für das Kulturerbe der Menschheit – Ein teuflisches Gemisch aus Fanatismus, Profit- und Machtgier

von Birgit Cerha
Gleich einer Fatamorgana aus einem Märchen erheben sich die Ruinen im gleißenden Sonnenlicht aus dem syrischen Wüstensand: Palmyra, die  „Perle der Wüste“. Die Welt der Archäologie und alle ihre Liebhaber sparen nicht mit Superlativen, wenn es um die Beschreibung dieser „archäologischen Kostbarkeit“ von „unvergleichbarer Schönheit“ geht. Die UNESCO nennt diese größte römische Stadt im Mittleren Osten „Meisterwerk  menschlichen kreativen Genies“ und designierte sie zum „Weltkulturerbe“. Archäologen reihen sie ein in die Liste der weltweit zehn besterhaltenen römischen Ruinenstätten.
Und nun hat dort der „Islamische Staat“, die grausamste Terrormiliz der heutigen Zeit, die Herrschaft übernommen. Der 81-jährige Khaled al Asaad, der von der internationalen Fachwelt liebevoll „Mister Palmyra“ genannte syrische Archäologe, hatte vier Jahrzehnte lang mit größter Professionalität über diesen Wüstenschatz gewacht und hier geforscht. Todesmutig hatte er sich den barbarischen Eindringlingen entgegengestellt und sein Leben geopfert. So blieb ihm wenigstens das herzzerreißende Spektakel erspart, als diese Vandalen kurz nach dem bestialischen Mord den vor 1.900 Jahren errichteten und fast unversehrt erhaltenen Baalschamin-Tempel, einen der wichtigsten kulturhistorischen Monumente Syriens, mit Dynamit in die Luft jagten. Dem phönizischen Gott der Stürme und des fruchtbaren Regens gewidmet, hatten sich in der Architektur des Tempels die verschiedenen Kulturen verschmolzen, die auch in anderen wundervollen Bauwerken Palmyras ihre Spuren hinterließen, von lokalen Nomaden über Griechen, Römer, Perser, Hebräer etc.  Der dem heidnischen Gott Bal gewidmete Tempel war damit eines der ältesten Symbole für die kulturelle, religiöse und ethnische Verschmelzung in einem friedlichen Zusammenleben der alten Völker auf dem heutigen Boden Syriens: Christen, Muslime, Juden und so viele andere. Das ist ein wesentlicher Teil der Geschichte, den der IS zu vernichten sucht. Werden seine Anhänger neben dem Irak bald auch anderswo wüten, um das kulturelle Gedächtnis etwa in Libyen und im jordanischen Petra zu vernichten?
Syrien und der Irak, wo der IS nun seit mehr als einem Jahr mit seiner menschenverachtenden Ideologie wütet,  zählen zu den archäologisch reichsten Regionen der Welt, mit einzigartigen Artefakten der Sumerer, Assyrer, Babylonier, Griechen und Römer u.a. Mit Vorschlaghammern, Elektrobohrern, Bulldozern, Dynamit und schweren Militärfahrzeugen ückt die Terrormiliz diesen jahrtausendalten Kulturschätzen zu Leibe. In Syrien sind nach Schätzungen von Experten mehr als 320 archäologische Stätten teils schwer beschädigt oder völlig zerstört, darunter nach Angaben der UNESCO fünf der sechs Stätten des Weltkulturerbes, die das Land birgt.  Nicht nur der IS ist für diese Verbrechen verantwortlich.  Die Schäden entstanden teils durch den Krieg, Luftangriffe der syrischen Streitkräfte und Kämpfe auf dem Boden, aber auch durch illegale Ausgrabungen und den unterdessen im Chaos des Landes einzigartig blühenden Schmuggel archäologischer Schätze.
Der IS vernichtete in den von ihm kontrollierten Regionen Syriens Kirchen, christliche Klöster , Gebetsstätten anderer Religionen aber auch fast alle zu Ehren von Verstorbenen errichteten islamischen Heiligtümer.
Es ist ein teuflisches Gemisch aus religiösem Fanatismus, Profit- und Machtgier, das diese selbsternannten Propheten einer neuen Ordnung zu ihrem erbarmungslosen Kulturvandalismus treibt. Sie berufen sich dabei auf „göttliches Gebot“ und die Beispiele Abrahams und Mohammeds, die sie dazu verpflichteten, alles zu vernichten, was Götzenverehrung gleichkäme. Seit Abraham den Eingottglauben annahm und die Götzen seines Vaters zerschmetterte, hat der Nahe Osten  Kulturvandalismus in einer Intensität erlitten, wie wenige andere Regionen der Welt. Für den dem Salafismus anhängenden IS, der sich streng an die Frühzeit des Islam orientiert, gilt es nun, alles was zur Glorie des Heidentums, wie er es versteht, beiträgt, zu zerstören.  Denn „Schirk“ (Vielgötterei) gilt als „die erste große von den großen Sünden“.  Dabei orientiert sich der IS an der in Saudi-Arabien bis heute vertretenen Strömung des Wahhabismus, dessen Gründer ibn Abdel Wahhab im 18. Jahrhundert den Glauben läutern und zu den Grundprinzipien des Islam zurückzukehren suchte. Als Folge wurden an die 90 Prozent der islamischen Monumente, heiligen Stätten, Grabmäler und Mausoleeen auf der Arabischen Halbinsel zerstört. 1924 besetzte der Gründer Saudi-Arabiens, Abd al-Aziz ibn Saud Mecca und zerstörte das Grabmal von Khadijah, der Frau Mohammeds, sowie dessen Onkels, Abu Talib. In Medine machte er das Mausoleum, das die Grabstätten der Nachkommen Mohammeds, darunter auch dessen Tochter Fatimah, barg, dem Erdboden gleich.
Doch der Vandalismus der IS-Vandalen  entspringt keineswegs nur der „Gottesfurcht“, sondern auch einem himmelschreienden Zynismus. Jede Antiquität, die sich auf dem internationalen Schwarzmarkt verkaufen lässt, trägt zur Stärkung der Macht des „Islamischen Staates“ bei. Was nicht geschmuggelt werden kann, soll vernichtet werden.  So treibt der IS den Schmuggel zur Hochblüte und streift Erträge in Milliardenhöhe ein. Dabei wirkt die über Video in alle Welt verbreitete Zerstörung einzigartiger kulturhistorischer Schätze als wertvolle Propaganda in dieser barbarischen Schlacht zum Aufbau einer neuen Ordnung.
Und in dieser Schlacht besitzt Palmyra für den IS ganz besondere Bedeutung. Denn dieser alte Schmelztiegel der Kulturen symbolisiert die Pluralität und Toleranz, die Syrien so lange charakterisierte. Diese Diversität zu zerstören, zugleich auch das historische Gedächtnis der Bewohner und damit deren Identität zu rauben, ist das Ziel, um die Basis für das aufzubauende Kalifat bilden, einen geschichtlich völlig befreiten Raum, das Jahr Null für die neue Ordnung. Wer kann Palmyra, diesen einzigartigen Schatz, vor diesen Barbaren retten?

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