Der religiös motivierte Vandalismus in Syrien und im Irak ist eine
Katastrophe für das Kulturerbe der Menschheit – Ein teuflisches Gemisch
aus Fanatismus, Profit- und Machtgier
von Birgit Cerha
Gleich einer Fatamorgana aus einem Märchen erheben sich die Ruinen
im gleißenden Sonnenlicht aus dem syrischen Wüstensand: Palmyra, die
„Perle der Wüste“. Die Welt der Archäologie und alle ihre Liebhaber
sparen nicht mit Superlativen, wenn es um die Beschreibung dieser
„archäologischen Kostbarkeit“ von „unvergleichbarer Schönheit“ geht. Die
UNESCO nennt diese größte römische Stadt im Mittleren Osten
„Meisterwerk menschlichen kreativen Genies“ und designierte sie zum
„Weltkulturerbe“. Archäologen reihen sie ein in die Liste der weltweit
zehn besterhaltenen römischen Ruinenstätten.
Und nun hat dort der „Islamische Staat“, die grausamste Terrormiliz
der heutigen Zeit, die Herrschaft übernommen. Der 81-jährige Khaled al
Asaad, der von der internationalen Fachwelt liebevoll „Mister Palmyra“
genannte syrische Archäologe, hatte vier Jahrzehnte lang mit größter
Professionalität über diesen Wüstenschatz gewacht und hier geforscht.
Todesmutig hatte er sich den barbarischen Eindringlingen
entgegengestellt und sein Leben geopfert. So blieb ihm wenigstens das
herzzerreißende Spektakel erspart, als diese Vandalen kurz nach dem
bestialischen Mord den vor 1.900 Jahren errichteten und fast unversehrt
erhaltenen Baalschamin-Tempel, einen der wichtigsten kulturhistorischen
Monumente Syriens, mit Dynamit in die Luft jagten. Dem phönizischen Gott
der Stürme und des fruchtbaren Regens gewidmet, hatten sich in der
Architektur des Tempels die verschiedenen Kulturen verschmolzen, die
auch in anderen wundervollen Bauwerken Palmyras ihre Spuren
hinterließen, von lokalen Nomaden über Griechen, Römer, Perser, Hebräer
etc. Der dem heidnischen Gott Bal gewidmete Tempel war damit eines der
ältesten Symbole für die kulturelle, religiöse und ethnische
Verschmelzung in einem friedlichen Zusammenleben der alten Völker auf
dem heutigen Boden Syriens: Christen, Muslime, Juden und so viele
andere. Das ist ein wesentlicher Teil der Geschichte, den der IS zu
vernichten sucht. Werden seine Anhänger neben dem Irak bald auch
anderswo wüten, um das kulturelle Gedächtnis etwa in Libyen und im
jordanischen Petra zu vernichten?
Syrien und der Irak, wo der IS nun seit mehr als einem Jahr mit
seiner menschenverachtenden Ideologie wütet, zählen zu den
archäologisch reichsten Regionen der Welt, mit einzigartigen Artefakten
der Sumerer, Assyrer, Babylonier, Griechen und Römer u.a. Mit
Vorschlaghammern, Elektrobohrern, Bulldozern, Dynamit und schweren
Militärfahrzeugen ückt die Terrormiliz diesen jahrtausendalten
Kulturschätzen zu Leibe. In Syrien sind nach Schätzungen von Experten
mehr als 320 archäologische Stätten teils schwer beschädigt oder völlig
zerstört, darunter nach Angaben der UNESCO fünf der sechs Stätten des
Weltkulturerbes, die das Land birgt. Nicht nur der IS ist für diese
Verbrechen verantwortlich. Die Schäden entstanden teils durch den
Krieg, Luftangriffe der syrischen Streitkräfte und Kämpfe auf dem Boden,
aber auch durch illegale Ausgrabungen und den unterdessen im Chaos des
Landes einzigartig blühenden Schmuggel archäologischer Schätze.
Der IS vernichtete in den von ihm kontrollierten Regionen Syriens
Kirchen, christliche Klöster , Gebetsstätten anderer Religionen aber
auch fast alle zu Ehren von Verstorbenen errichteten islamischen
Heiligtümer.
Es ist ein teuflisches Gemisch aus religiösem Fanatismus, Profit-
und Machtgier, das diese selbsternannten Propheten einer neuen Ordnung
zu ihrem erbarmungslosen Kulturvandalismus treibt. Sie berufen sich
dabei auf „göttliches Gebot“ und die Beispiele Abrahams und Mohammeds,
die sie dazu verpflichteten, alles zu vernichten, was Götzenverehrung
gleichkäme. Seit Abraham den Eingottglauben annahm und die Götzen seines
Vaters zerschmetterte, hat der Nahe Osten Kulturvandalismus in einer
Intensität erlitten, wie wenige andere Regionen der Welt. Für den dem
Salafismus anhängenden IS, der sich streng an die Frühzeit des Islam
orientiert, gilt es nun, alles was zur Glorie des Heidentums, wie er es
versteht, beiträgt, zu zerstören. Denn „Schirk“ (Vielgötterei) gilt als
„die erste große von den großen Sünden“. Dabei orientiert sich der IS
an der in Saudi-Arabien bis heute vertretenen Strömung des Wahhabismus,
dessen Gründer ibn Abdel Wahhab im 18. Jahrhundert den Glauben läutern
und zu den Grundprinzipien des Islam zurückzukehren suchte. Als Folge
wurden an die 90 Prozent der islamischen Monumente, heiligen Stätten,
Grabmäler und Mausoleeen auf der Arabischen Halbinsel zerstört. 1924
besetzte der Gründer Saudi-Arabiens, Abd al-Aziz ibn Saud Mecca und
zerstörte das Grabmal von Khadijah, der Frau Mohammeds, sowie dessen
Onkels, Abu Talib. In Medine machte er das Mausoleum, das die
Grabstätten der Nachkommen Mohammeds, darunter auch dessen Tochter
Fatimah, barg, dem Erdboden gleich.
Doch der Vandalismus der IS-Vandalen entspringt keineswegs nur der
„Gottesfurcht“, sondern auch einem himmelschreienden Zynismus. Jede
Antiquität, die sich auf dem internationalen Schwarzmarkt verkaufen
lässt, trägt zur Stärkung der Macht des „Islamischen Staates“ bei. Was
nicht geschmuggelt werden kann, soll vernichtet werden. So treibt der
IS den Schmuggel zur Hochblüte und streift Erträge in Milliardenhöhe
ein. Dabei wirkt die über Video in alle Welt verbreitete Zerstörung
einzigartiger kulturhistorischer Schätze als wertvolle Propaganda in
dieser barbarischen Schlacht zum Aufbau einer neuen Ordnung.
Und in dieser Schlacht besitzt Palmyra für den IS ganz besondere
Bedeutung. Denn dieser alte Schmelztiegel der Kulturen symbolisiert die
Pluralität und Toleranz, die Syrien so lange charakterisierte. Diese
Diversität zu zerstören, zugleich auch das historische Gedächtnis der
Bewohner und damit deren Identität zu rauben, ist das Ziel, um die Basis
für das aufzubauende Kalifat bilden, einen geschichtlich völlig
befreiten Raum, das Jahr Null für die neue Ordnung. Wer kann Palmyra,
diesen einzigartigen Schatz, vor diesen Barbaren retten?
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