Uralte Privilegien zur Nutzung dieses Lebensquells versiegen –
Andere Anrainerstaaten erheben Ansprüche, schaffen Fakten und die Basis
für gefährliche Konflikte
von Birgit Cerha
„Seht Ich habe die beiden Ufer überschwemmt….Ihr Menschen! Seht
mich: Ich bin der Nil, der vorgeburtliche, der das Seiende schafft und
das Nichtseiende entstehen läßt…. Denn ich bin der Nil der
breitgesichtige, der Schöpfer der Götter, der König der Unwesen…., der,
auf dessen Geheiß alle Götter leben. Ich ließ Beseeltheit über die
Länder kommen. Wenn sie kommt so wachsen Kräuter.“ Sprüche, wie dieser,
eingraviert auf altägyptischen Särgen drücken die Fruchtbarkeit aus, den
Inbegriff allen Lebens, aber auch des Urzeitlichen, den die Menschen
Ägyptens von alters her mit ihrem Nil verbinden. Die alten Ägypter
glaubten, der Nil komme aus dem Nun, einem Urgewässer, aus dem die Welt
entsprungen ist. „Geschenk des Nils“ nannte der Grieche Herodot Ägypten.
Der Strom inspirierte Künstler und Literaten seit Jahrtausenden und
heute auch Musiker aus den Staaten in seinem Einzugsgebiet, die durch
ein einzigartiges gemeinsames Musikprojekt explosive Konflikte um den
Fluss überwinden und eine gemeinsame Identität schaffen wollen.
Der Nil ermöglichte die Geburt einer der ältesten Zivilisationen
der Menschheit und er verschaffte Ägypten bis in die jüngste Zeit
hegemonialen Status in der Region. So verwundert es nicht, dass das
offizielle Ägypten und seine Menschen diesen Strom als den ihren
erachten, auch wenn seine Oberläufe durch zehn andere Staaten fließen,
bis sie der Erde Ägyptens Fruchtbarkeit und Leben schenken. Bis heute
drückt ein populärer ägyptischer Segensspruch den Wunsch aus, dass der
Gesegnete „stets aus dem Nil zu trinken vermag“.
Dabei sind mehr als 160 Millionen Menschen direkt vom Wasser dieses
längsten Stroms Afrikas abhängig und mehr als 400 Millionen leben in
seinen Arainerstaaten, nur knapp 85 Millionen davon in Ägypten. Einige
von ihnen zählen zu den ärmsten Ländern der Welt. Alle sind – allerdings
in unterschiedlichem Maße - für ihre ökonomische und soziale
Entwicklung auf den Nil angewiesen. Doch das Wasser reicht nicht mehr,
um allen Nahrungsmittelsicherheit zu garantieren. Internationale
Experten identifizieren das Einzugsgebiet des Nils deshalb als eine
zunehmend krisengefährdete Region, vor allem auch, weil die
Wasserressourcen höchst ungleich verteilt sind. Wie lässt sich dieser
Lebensquell auf faire Weise teilen, wenn manche Regionen mehr Wasser
haben als andere?
Seinen Besitzanspruch auf den Nil aber hat Ägypten bereits1929 in
einem Vertrag mit Großbritannien der damaligen Kolonialmacht der anderen
Anrainer, garantieren lassen. Ägypten wurden jährlich von den
insgesamt 84 Mrd. m3 Nilwasser 48 Mrd. zugesprochen, dem Sudan vier
Mrd. Vor allem aber sicherte sich Kairo das Vetorecht gegen alle
Bauvorhaben am Oberen Nil, die seinen Wasseranteil schmälern könnten.
Und von diesem Recht machte Ägypten bis heute Gebrauch. Nachdem Sudan
1959 die Unabhängigkeit erhielt, wurden die Quoten in einem bilateralen
Abkommen auf 55,5 Mrd. m3 für Ägypten und den Sudan 18,5 Mrd. erhöht,
insgesamt rund 90 Prozent der Gesamtmenge.
Die anderen Nilstaaten empfinden diese koloniale Regelung –
insbesondere das Vetorecht, das alle Bewässerungs- und Energieprojekte
in ihren Staaten blockiert - seit langem als zutiefst ungerecht und
drängen auf eine Neuregelung, insbesondere angesichts der sich
dramatisch veränderten klimatischen und demographischen Verhältnisse.
Unfair fühlt sich vor allem Äthiopien behandelt, dessen „Blauer Nil“
Ägypten 85 Prozent des Wassers liefert. „Die Ägypter glauben der Nil
gehört ihnen allein“ klagt der Jazzmusiker im gemeinsamen Nilprojekt,
Jorga Mesfin. „Dabei versorgt er uns alle, selbst wenn bei uns Dürre
herrscht, ernährt er die anderen Länder.“ Doch keiner der anderen
Anrainer ist so ausschließlich vom Nil abhängig wie Ägypten.
Erbittert über Kairos hegemoniale Haltung, nutzte Äthiopien die
Wirren nach dem Sturz Präsident Mubaraks in Kairo 2011, um das
außenpolitisch gelähmte Ägypten zu überrumpeln. Nahe der sudanesischen
Grenze begannen 8000 Arbeiter das lange geplante, von Kairo immer wieder
blockierte Projekt des „Great Ethopian Renaissance-Dam“ (GERD) am
Blauen Nil in Angriff zu nehmen. Es soll das größte Wasserkraftwerk des
Kontinents werden und 6000 Megawatt produzieren, das bitterarme
Äthiopien zum größten Energieproduzenten Afrikas machen und durch Export
an die Nachbarländer die magere Staatskasse füllen. 2013 begann
Äthiopien, ungeachtet unverhohlener Kriegsdrohungen des damaligen
ägyptischen Präsidenten Mursi, den Flusslauf um 500 Meter zu verlegen.
In Ägypten geht die Angst um. Der Nil ist die einzige Wasserquelle
für 40 Millionen ägyptische Farmer und sein Wasser reicht heute schon
bei weitem nicht, um die Bevölkerung zu ernähren. Laut Kairoer
Wasserministerium hat das Wasserdefizit die 20 Mrd. m3-Grenze erreicht.
Man versucht, das Problem durch Recycling zu lösen, doch Experten halten
dies langfristig nicht für ratsam. Und die Prognosen sind
schockierend. Bis 2020, warnen Experten, werde Ägypten um 20 Prozent
mehr Wasser konsumieren als es zur Verfügung hat. Regen bringt jährlich
nur zwischen 200 und 20 mm Wasser, in den vergangenen Jahren durch den
Klimawandel immer weniger. Die UNO warnte jüngst vor einem gravierenden
Wassermangel bis 2025. Hinzu kommt ein Bevölkerungswachstum, das Ägypten
bis heute nicht in den Griff bekommen hat und das nach offiziellen
ägyptischen Statistiken derzeit bei 2,5 Prozent liegt. Selbst wenn es
gelänge, diese Rate drastisch zu senken, würden nach Schätzungen der UNO
bis spätestens 2036 hundert Millionen Ägypter am Nil leben und bis 2050
mindestens 105 Millionen, was laut Experten einem „nationalen
Selbstmord“ gleichkäme. Der Staat wäre nicht mehr in der Lage so viele
Menschen zu erhalten, warnt der Chef des „Nationalen Bevölkerungsrats“,
Magued Osman.
Doch auch Äthiopien, mit 99 Millionen Menschen nach Nigeria das
bevölkerungsreichste Land Afrikas, leidet unter quälenden
Zukunftssorgen. Bis heute hat Addis Abeba den Blauen Nil weder für die
Landwirtschaft, zur Bewässerung seines reichen fruchtbaren Bodens, noch
für die so dringend nötige Energieversorgung genutzt und erlitt
jahrelang katastrophale Hungersnöte. Ein Bevölkerungswachstum von
derzeit fast drei Prozent verschlimmert die Zukunftsaussichten
dramatisch. Die Bevölkerung wird sich nach Schätzungen in den nächsten
30 Jahren verdoppeln. Schon jetzt ist Äthiopien eines der ärmsten
Länder der Welt. Und dennoch, so fragen sich manche Experten, zieht es
das gigantische Prestigeprojekt des GERD, das mindestens fünf Mrd.
Dollar verschlingt und zur Gänze aus eigenen Mitteln finanziert wird,
hartnäckig durch.
Die schwer irritierten Ägypter beschwichtigt Äthiopiens
Premierminister Hailemariam Desalegn Bosche: „Der Bau des GERD wird
unseren drei Staaten, vor allem Ägypten (neben Äthiopien und Sudan),
keinerlei Schaden zufügen.“ Das Wasser werde nur zur Stromgewinnung
genutzt und bliebe den Ländern am Unterlauf erhalten.
Ägyptens Präsident Sisi zeigt sich überraschend versöhnlich. In
einer offenbaren Abkehr von der bisherigen Hegemonialpolitik Kairos
unterzeichnete er im März gemeinsam mit dem Sudan und Äthiopien eine
„Grundsatzerklärung“ zur Lösung der gemeinsamen Wasserprobleme,
insbesondere in Zusammenhang mit dem Bau von GERD. Während alle seine
Vorgänger Äthiopien durch deutliche Kriegsdrohungen eingeschüchtert
hatten, reiste Sisi als erster ägyptischer Staatsführer seit 30 Jahren
nach Addis Abeba, wo er vor dem Parlament ein „neues Kapitel“ in den
Beziehungen beider Staaten verkündete und die Äthiopier aufforderte,
„gemeinsam die Grundlagen einer besseren Zukunft für unsere Kinder und
Enkel“ zu legen. Und Außenminister Sameh Shoukry stellte klar,
„niemals“ werde Ägypten Krieg über den Nil führen. Während dieser
Schritt die Spannungen zwischen beiden Staaten wesentlich entschärfte,
bleiben Einzelheiten des Abkommens unklar. Bedeutet es einen Verzicht
Sisis auf die historischen Vorrechte auf den Nil, eine Zustimmung zu
GERD und den ersten Schritt zur Neuaufteilung des Wassers zwischen allen
Anrainern?
Ägyptische Medien und zahlreiche Experten zeigen sich seit Monaten
schwer irritiert. Der Einsatz einer unabhängigen Expertenkommission zum
Studium des Dammprojekts und der möglichen Folgen für die Umwelt und die
Wirtschaft Ägyptens trägt nur wenig zur Beruhigung bei, zumal die
beiden mit der Expertise betrauten Firmen aus den Niederlanden und
Frankreich bis heute keine Ergebnisse präsentierten und sich in Kairo
der Verdacht verstärkt, Äthiopien spiele nur auf Zeit. Denn Addis Abeba
hat sich die Fortsetzung des Dammbaus ausbedungen. GERD ist heute
bereits zu 50 Prozent fertiggestellt, die ersten zwei Turbinen sollen im
September in Betrieb gehen und noch vor Ende dieses Jahrzehnts dürfte
Äthiopien mit dem Füllen des riesigen Reservoirs beginnen. Dann ist auch
die militärische Option ausgeschlossen, will Ägypten nicht eine
humanitäre Katastrophe und Umweltschäden in gigantischem Ausmaß
auslösen.
Die Auswirkungen von GERD auf Ägypten sind bisher völlig unklar.
Ahmed Abu Zeid, Afrikaexperte im Kairoer Außenministerium, hält „die
Situation für gefährlich, da zwischen Sudan, Äthiopien und Ägypten keine
technischen Studien von GERD vereinbart wurden. Ägyptische Medien und
Wasserexperten befürchten enorme Verdunstungen bei dem riesigen Stausee,
wodurch der hinter dem Assuan aufgestaute See, der den ägyptischen
Bauern seit Jahrzehnten die Bewässerung ihres Landes garantiert, nicht
mehr bis zur nötigen Höhe gefüllt werden könnte. Nader Nouredin,
Professor für Landwirtschaft an der Kairo Universität, meint gar, GERD
sei nur das erste Glied einer ganzen Kette von Staudämmen, die Äthiopien
am Blauen Nil plane. Andere beunruhigt, dass Äthiopien die Kontrolle
über Ägyptens Lebensquell an sich reiße und Kairo mit der Wasserwaffe
jederzeit erpressen könne. Hatte Äthiopien nicht in der Vergangenheit
ägyptische Kriegsdrohungen mit Warnungen beantwortet, den Nil zu
barrikadieren? In jedem Fall beginnt nun eine neue Phase, die die
Stabilität in der gesamten Region ernsthaft bedrohen könnte. Nur wenn
sich eine Vision der gemeinsamen Nutzung des Nils zum Vorteil aller
durchsetzt, kann eine Katastrophe an diesem zweitgrößten Strom der Welt
vermieden werden.
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