Samstag, 15. August 2015

Existenzängste treiben den reichsten Ölstaat

Saudi-Arabien fürchtet einen aufstrebenden Iran – Doch ist das tatsächlich das wichtigste Motiv der verheerenden Vernichtungsschläge im jemenitischen Armenhaus?

von Birgit Cerha
Der Siegeszug der Huthis ist gestoppt. Ermutigt durch die Eroberung der Hafenstadt Aden und anderer Regionen im Südjemen, drängt die von Saudi-Arabien geführte arabische Koalition weiter nach Norden. Sanaa, die von den Rebellen vor fast einem Jahr eingenommene Hauptstadt, ist ihr Ziel. Doch dazwischen liegen Regionen, in denen die überwiegend aus Angehörigen der schiitischen Minderheit der Zaiditen zusammengesetzte Huthi-Miliz, im Gegensatz zum Süden, viele Anhänger besitzt. Den Jemeniten droht eine Kriegsphase, die an Grausamkeit und Verlusten das fünfmonatige, gnadenlose Bombardement der Koalition noch weit übertreffen dürfte. Eindringlich drängen UNO und NGOs beide Seiten zu einem Verhandlungskompromiss.
Während die Huthis am 9. August gegenüber UN-Vermittlern in Oman wichtige Zugeständnisse machten, darunter u.a. den Rückzug ihrer Milizen aus Städten, sprechen alle Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien bedingungslos auf einen militärischen Sieg setzt, koste es was es wolle und dabei weiterhin all sein geopolitisches Kapital einsetzt, damit die mächtigen westlichen Verbündeten den Vernichtungsfeldzug weiterhin nicht stören und die Regionalstaaten ihn unterstützen.
Was bewegt das Königreich zu einer solch radikalen Abkehr seiner traditionellen „Zehenspitzen-Diplomatie“ in geostrategisch wichtigen Fragen? Warum hat sich König Salman und sein 30-jähriger Sohn und Verteidigungsminister Prinz Mohammed so voll auf die Rückkehr des im Februar in einem Boot nach Saudi-Arabien geflüchteten Präsidenten Hadi eingeschworen, der, zutiefst korrupt, weithin unpopulär ist? Durch Entschlossenheit, auch wenn sie noch so viel Zerstörungen und Menschenleben kosten mag, hofft vor allem der junge Mohammed sich mit gierigem Blick auf den Königsthron in Saudi-Arabien eine Machtbasis aufzubauen. Das ist die eine Theorie saudischer Kriegsmotivationen. Und dafür braucht er absoluten Sieg. Doch Militärexperten sind sich einig: Der Kampagne fehlte von Anfang an das Konzept. Der unerfahrene Kriegsherr glaubte an ein leichtes Spiel. Doch selbst der massive Einsatz gnadenlos bombender saudischer Kampfjets konnte den Vormarsch der Huthis aus ihrer Heimatregion im hohen Norden bis zum Golf von Aden nicht stoppen. Auch nun lassen sich keine klare Strategie und kein überzeugendes Ziel erkennen.
Das vitale strategische Interesse Riads am bitterarmen südlichen Nachbarn ist keineswegs neu. Die mehr als 2.000 km lange Grenze, die sich teilweise durch die Wüste und entlegenes Gebirgsterrain, knapp an der Kernregion der Huthis vorbei,  zieht, ist die Achillesferse des Königreichs und eine stete militärische Herausforderung. So hat sich Riad seit Jahrzehnten eine entscheidende Mitsprache in Sanaa erzwungen. Nun aber begründet die saudische Kriegspropaganda ihren Vernichtungsfeldzug mit einer immer bedrohlicher erscheinenden Einkreisungsangst durch den durch das Atomabkommen mit den Weltmächten gestärkten  Iran. Teheran habe die Huthis zu seinen gewalttätigen Marionetten aufgebaut – eine Behauptung, die sich nicht belegen lässt. So gilt es nun offenbar, diese schiitische Minderheit vernichtend zu schlagen.
Doch eingeweihte diplomatische Kreise erkennen ein für das Königshaus weit bedrohlicheres Motiv. Die, in Teilen des Zentral- und Nordjemens sehr populären Huthis hatten bei einem politischen Dialog über die Zukunft des Jemens eine sehr konstruktive Rolle gepsielt. Sie forderten eine ihrem Bevölkerungsanteil von etwa 40 Prozent entsprechende politische Mitbestimmung, ein pluralistisches demokratisches System, in dem auch das islamische Recht nur eine von mehreren Rechtsquellen ist. Kurz vor Beginn der saudischen Bombardements standen die Dialogsparteien knapp vor einer Einigung. Der Jemen hätte damit ein einzigartiges demokratisches Experiment in der Region geglückt, ein System aufgebaut, das den gefährlichen Bazillus der Demokratie verstärkt über die Grenze nach Saudi-Arabien tragen würde. Eine Todesgefahr für das autoritäre Königshaus.

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