Saudi-Arabien fürchtet einen aufstrebenden Iran – Doch ist das
tatsächlich das wichtigste Motiv der verheerenden Vernichtungsschläge im
jemenitischen Armenhaus?
von Birgit Cerha
Der Siegeszug der Huthis ist gestoppt. Ermutigt durch die Eroberung
der Hafenstadt Aden und anderer Regionen im Südjemen, drängt die von
Saudi-Arabien geführte arabische Koalition weiter nach Norden. Sanaa,
die von den Rebellen vor fast einem Jahr eingenommene Hauptstadt, ist
ihr Ziel. Doch dazwischen liegen Regionen, in denen die überwiegend aus
Angehörigen der schiitischen Minderheit der Zaiditen zusammengesetzte
Huthi-Miliz, im Gegensatz zum Süden, viele Anhänger besitzt. Den
Jemeniten droht eine Kriegsphase, die an Grausamkeit und Verlusten das
fünfmonatige, gnadenlose Bombardement der Koalition noch weit
übertreffen dürfte. Eindringlich drängen UNO und NGOs beide Seiten zu
einem Verhandlungskompromiss.
Während die Huthis am 9. August gegenüber UN-Vermittlern in Oman
wichtige Zugeständnisse machten, darunter u.a. den Rückzug ihrer Milizen
aus Städten, sprechen alle Anzeichen dafür, dass Saudi-Arabien
bedingungslos auf einen militärischen Sieg setzt, koste es was es wolle
und dabei weiterhin all sein geopolitisches Kapital einsetzt, damit die
mächtigen westlichen Verbündeten den Vernichtungsfeldzug weiterhin nicht
stören und die Regionalstaaten ihn unterstützen.
Was bewegt das Königreich zu einer solch radikalen Abkehr seiner
traditionellen „Zehenspitzen-Diplomatie“ in geostrategisch wichtigen
Fragen? Warum hat sich König Salman und sein 30-jähriger Sohn und
Verteidigungsminister Prinz Mohammed so voll auf die Rückkehr des im
Februar in einem Boot nach Saudi-Arabien geflüchteten Präsidenten Hadi
eingeschworen, der, zutiefst korrupt, weithin unpopulär ist? Durch
Entschlossenheit, auch wenn sie noch so viel Zerstörungen und
Menschenleben kosten mag, hofft vor allem der junge Mohammed sich mit
gierigem Blick auf den Königsthron in Saudi-Arabien eine Machtbasis
aufzubauen. Das ist die eine Theorie saudischer Kriegsmotivationen. Und
dafür braucht er absoluten Sieg. Doch Militärexperten sind sich einig:
Der Kampagne fehlte von Anfang an das Konzept. Der unerfahrene
Kriegsherr glaubte an ein leichtes Spiel. Doch selbst der massive
Einsatz gnadenlos bombender saudischer Kampfjets konnte den Vormarsch
der Huthis aus ihrer Heimatregion im hohen Norden bis zum Golf von Aden
nicht stoppen. Auch nun lassen sich keine klare Strategie und kein
überzeugendes Ziel erkennen.
Das vitale strategische Interesse Riads am bitterarmen südlichen
Nachbarn ist keineswegs neu. Die mehr als 2.000 km lange Grenze, die
sich teilweise durch die Wüste und entlegenes Gebirgsterrain, knapp an
der Kernregion der Huthis vorbei, zieht, ist die Achillesferse des
Königreichs und eine stete militärische Herausforderung. So hat sich
Riad seit Jahrzehnten eine entscheidende Mitsprache in Sanaa erzwungen.
Nun aber begründet die saudische Kriegspropaganda ihren
Vernichtungsfeldzug mit einer immer bedrohlicher erscheinenden
Einkreisungsangst durch den durch das Atomabkommen mit den Weltmächten
gestärkten Iran. Teheran habe die Huthis zu seinen gewalttätigen
Marionetten aufgebaut – eine Behauptung, die sich nicht belegen lässt.
So gilt es nun offenbar, diese schiitische Minderheit vernichtend zu
schlagen.
Doch eingeweihte diplomatische Kreise erkennen ein für das
Königshaus weit bedrohlicheres Motiv. Die, in Teilen des Zentral- und
Nordjemens sehr populären Huthis hatten bei einem politischen Dialog
über die Zukunft des Jemens eine sehr konstruktive Rolle gepsielt. Sie
forderten eine ihrem Bevölkerungsanteil von etwa 40 Prozent
entsprechende politische Mitbestimmung, ein pluralistisches
demokratisches System, in dem auch das islamische Recht nur eine von
mehreren Rechtsquellen ist. Kurz vor Beginn der saudischen Bombardements
standen die Dialogsparteien knapp vor einer Einigung. Der Jemen hätte
damit ein einzigartiges demokratisches Experiment in der Region
geglückt, ein System aufgebaut, das den gefährlichen Bazillus der
Demokratie verstärkt über die Grenze nach Saudi-Arabien tragen würde.
Eine Todesgefahr für das autoritäre Königshaus.
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