Mittwoch, 12. August 2015

Saudi-Arabien setzt die Hungerwaffe ein

Krieg gegen die Houthi-Rebellen im Jemen verdammt vor den Augen einer gleichgültigen Welt Millionen Jemeniten zu „beispiellosem Leid“
 
von Birgit Cerha
 
Vertreter humanitärer Organisationen sind zutiefst schockiert. „Das Leid der Zivilbevölkerung hat beispiellose Ausmaße erreicht“, versucht Antoine Grand, Missionschef des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“ (IKRK) im Jemen die Welt aufzurütteln. „Jede Familie ist betroffen. Die Menschen erleiden extreme Not und die Situation wird mit jedem Tag schlimmer“, stellt IKRK-Präsident Peter Maurer nach einem Kurzbesuch im kriegsgeplagten Land fest.
Seit Saudi-Arabien, aktiv unterstützt von den Vereinigten Arabischen Emiraten (VAE) und Ägypten, im März einen massiven Luftkrieg gegen Huthi-Rebellen der zaiditischen (schiitischen) Minderheit begann, zahlt die Zivilbevölkerung einen gigantischen Preis. Fast 4000 Menschen, die Mehrheit Zivilisten, starben in Wellen gnadenloser Attacken, die die Rückkehr des von den Huthis von der Macht vertriebenen und nun im saudischen Exil lebenden Präsidenten Hadi nach Sanaa ermöglichen soll. Mehr als 15.000 Menschen wurden verwundet. Der Krieg trieb eine Million Menschen in die Flucht. Gravierende Zerstörungen der zivilen Infrastruktur und Grenzblockaden lähmen die Wirtschaft.  Das Gesundheitssystem steht am Rande des Zusammenbruchs, Seuchen brachen aus und drohen sich immer mehr auszuweiten. Vor allem aber fehlt es in alarmierendem Maße an Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Zahllose Wasserpumpen sind entweder durch Bomben zerstört oder können wegen Treibstoffmangels nicht betrieben werden.  Humanitäre Organisationen rufen Alarm: Die Hälfte der 25-Millionen-Bevölkerung ist von Hunger bedroht.
Bis zu Beginn des Krieges importierte der Jemen, einst das „Arabia felix“ der Römer,  90 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs. Auf diese Achillesferse zielt die von Saudi-Arabien geführte arabische Koalition seit fünf Monaten. Es ist ihre tödlichste Waffe, die sie nun, seit sie Ende Juli die wichtige Hafenstadt Aden eroberte, weit wirkungsvoller einsetzen kann und dies auch will.
Die Vertreibung der Huthis aus Aden ist der erste wichtige militärische Erfolg der Koalition in diesem Krieg der reichsten Araber gegen die Ärmsten in ihren Reihen. Die in der nördlichen Provinz Saada konzentrierten Huthis hatten, unterstützt von Anhängern des 2012 gestürzten Präsidenten Saleh, vor fast einem Jahr Sanaa erobert und von dort weite Teile des Zentral- und Südjemens bis zur strategisch so wichtigen Stadt Aden unter ihre Kontrolle gebracht. Riad versucht mit Hilfe ägyptischer Kriegsschiffe seit April, den Jemen vom Meer her zu blockieren. Nun bereitet die Koalition von Aden aus den Vormarsch Richtung Norden vor und stützt sich dabei erstmals auf eine etwa 3000 Mann starke Bodentruppe, die zur Hälfte von den VAE und Saudi-Arabien gestellt wird.
Hauptstrategie aber ist offenbar, Sanaa auszuhungern und damit die Houthis und Saleh zur Kapitulation zu zwingen. „Die Wirtschaftsblockade ist unter den  jemenitischen Verhältnissen weit gefährlicher als ein Krieg“ mit Waffen, erläutert Ahmed Said Shammkh, Ökonom der jemenitischen Zentralbank. Und die ersten Anzeichen dafür lösen Panik in der Hauptstadt aus. So hat Hadi die Arbeit der Regierungsangestellten in allen Häfen, ausgenommen Aden, gestoppt. Nur Privathändler können deshalb die anderen Häfen des Landes, insbesondere den für Sanaa so wichtigen Rotmeer-Hafen Hodeida, benützen, doch auch diese werden von der Koalition weitgehend blockiert. Zugleich leitet die Exil-Regierung den gesamten Zivilluftverkehr von Sanaa zum Flughafen in Aden um und verstärkt damit die Wirtschaftsblockade drastisch. Denn der Landweg ist wegen des Krieges höchst gefährlich. Sanaa ist total isoliert. Die Geschäftswelt fürchtet um ihre Existenz. Der Dollarkurs ist dramatisch angestiegen und damit auch die Preise für Treibstoff und andere lebenswichtige Importwaren, deren Vorrat allmählich zur Neige geht. Waren wie Benzin, Kochgas, Weizen, Reis und andere Nahrungsmitteln sind bedrohlich knapp.
Die internationale Gemeinschaft sieht dieser sich dramatisch verschärfenden humanitären Katastrophe tatenlos zu, während sich die USA zur Verstärkung ihrer Waffenlieferungen an die Golfstaaten verpflichten, die die Jemeniten durch ihre Luft- und Seeblockade ins Elend stürzen.

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