Krieg
gegen die Houthi-Rebellen im Jemen verdammt vor den Augen einer
gleichgültigen Welt Millionen Jemeniten zu „beispiellosem Leid“
von Birgit Cerha
Vertreter
humanitärer Organisationen sind zutiefst schockiert. „Das Leid der
Zivilbevölkerung hat beispiellose Ausmaße erreicht“, versucht Antoine
Grand, Missionschef des „Internationalen Komitees vom Roten Kreuz“
(IKRK) im Jemen die Welt aufzurütteln. „Jede Familie ist betroffen. Die
Menschen erleiden extreme Not und die Situation wird mit jedem Tag
schlimmer“, stellt IKRK-Präsident Peter Maurer nach einem Kurzbesuch im
kriegsgeplagten Land fest.
Seit
Saudi-Arabien, aktiv unterstützt von den Vereinigten Arabischen
Emiraten (VAE) und Ägypten, im März einen massiven Luftkrieg gegen
Huthi-Rebellen der zaiditischen (schiitischen) Minderheit begann, zahlt
die Zivilbevölkerung einen gigantischen Preis. Fast 4000 Menschen, die
Mehrheit Zivilisten, starben in Wellen gnadenloser Attacken, die die
Rückkehr des von den Huthis von der Macht vertriebenen und nun im
saudischen Exil lebenden Präsidenten Hadi nach Sanaa ermöglichen soll.
Mehr als 15.000 Menschen wurden verwundet. Der Krieg trieb eine Million
Menschen in die Flucht. Gravierende Zerstörungen der zivilen
Infrastruktur und Grenzblockaden lähmen die Wirtschaft. Das
Gesundheitssystem steht am Rande des Zusammenbruchs, Seuchen brachen
aus und drohen sich immer mehr auszuweiten. Vor allem aber fehlt es in
alarmierendem Maße an Nahrungsmitteln und Trinkwasser. Zahllose
Wasserpumpen sind entweder durch Bomben zerstört oder können wegen
Treibstoffmangels nicht betrieben werden. Humanitäre Organisationen rufen Alarm: Die Hälfte der 25-Millionen-Bevölkerung ist von Hunger bedroht.
Bis zu Beginn des Krieges importierte der Jemen, einst das „Arabia felix“ der Römer, 90
Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs. Auf diese Achillesferse zielt die
von Saudi-Arabien geführte arabische Koalition seit fünf Monaten. Es
ist ihre tödlichste Waffe, die sie nun, seit sie Ende Juli die wichtige
Hafenstadt Aden eroberte, weit wirkungsvoller einsetzen kann und dies
auch will.
Die
Vertreibung der Huthis aus Aden ist der erste wichtige militärische
Erfolg der Koalition in diesem Krieg der reichsten Araber gegen die
Ärmsten in ihren Reihen. Die in der nördlichen Provinz Saada
konzentrierten Huthis hatten, unterstützt von Anhängern des 2012
gestürzten Präsidenten Saleh, vor fast einem Jahr Sanaa erobert und von
dort weite Teile des Zentral- und Südjemens bis zur strategisch so
wichtigen Stadt Aden unter ihre Kontrolle gebracht. Riad versucht mit
Hilfe ägyptischer Kriegsschiffe seit April, den Jemen vom Meer her zu
blockieren. Nun bereitet die Koalition von Aden aus den Vormarsch
Richtung Norden vor und stützt sich dabei erstmals auf eine etwa 3000
Mann starke Bodentruppe, die zur Hälfte von den VAE und Saudi-Arabien
gestellt wird.
Hauptstrategie
aber ist offenbar, Sanaa auszuhungern und damit die Houthis und Saleh
zur Kapitulation zu zwingen. „Die Wirtschaftsblockade ist unter den jemenitischen
Verhältnissen weit gefährlicher als ein Krieg“ mit Waffen, erläutert
Ahmed Said Shammkh, Ökonom der jemenitischen Zentralbank. Und die ersten
Anzeichen dafür lösen Panik in der Hauptstadt aus. So hat Hadi die
Arbeit der Regierungsangestellten in allen Häfen, ausgenommen Aden,
gestoppt. Nur Privathändler können deshalb die anderen Häfen des Landes,
insbesondere den für Sanaa so wichtigen Rotmeer-Hafen Hodeida,
benützen, doch auch diese werden von der Koalition weitgehend blockiert.
Zugleich leitet die Exil-Regierung den gesamten Zivilluftverkehr von
Sanaa zum Flughafen in Aden um und verstärkt damit die
Wirtschaftsblockade drastisch. Denn der Landweg ist wegen des Krieges
höchst gefährlich. Sanaa ist total isoliert. Die Geschäftswelt fürchtet
um ihre Existenz. Der Dollarkurs ist dramatisch angestiegen und damit
auch die Preise für Treibstoff und andere lebenswichtige Importwaren,
deren Vorrat allmählich zur Neige geht. Waren wie Benzin, Kochgas,
Weizen, Reis und andere Nahrungsmitteln sind bedrohlich knapp.
Die
internationale Gemeinschaft sieht dieser sich dramatisch verschärfenden
humanitären Katastrophe tatenlos zu, während sich die USA zur
Verstärkung ihrer Waffenlieferungen an die Golfstaaten verpflichten, die
die Jemeniten durch ihre Luft- und Seeblockade ins Elend stürzen.
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