Mittwoch, 29. Juli 2015

Warum sich die Kurden erneut verraten fühlen

Syriens jahrzehntelang gequälte Minderheit erwies sich als effizientester Kämpfer gegen den „Islamischen Staat“ und fühlt sich nun direkt von der Türkei bedroht
 
von Birgit Cerha
 
Während die Botschafter der 28 NATO-Staaten bei einem Sondertreffen in Brüssel der Türkei volle politische Solidarität in ihrem Anti-Terror-Kampf  bekundeten, beeilt sich Ankara, die mit den USA beschlossenen Pläne einer Sicherheitszone in Nord-Syrien abzuschließen. Wichtige Details des von der Türkei lange geplanten Projekts wurden noch nicht bekannt. Fest steht aber, dass  Ankara die Errichtung einer Flugverbotszone nicht durchsetzte, da Washington fürchtet, dadurch noch stärker in den Krieg hineingezogen zu werden. Auch der Einsatz von türkischen Bodentruppen ist vorerst nicht geplant. Laut Medienberichten könnte sich die Zone über mehr als hundert Kilometer von einem Grenzgebiet östlich der in einem heftigen monatelangen Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ zerstörten Kurdenstadt Kobane bis zu der Stadt Mare im Westen, etwa 30 bis 40 km tief erstrecken. Deklariertes Hauptziel  ist die Vertreibung von IS-Terroristen aus diesem Gebiet, die Verlagerung von Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in diese Zone. Bereits in den nächsten Wochen sollen alle IS-Terroristen aus diesem Gebiet vertrieben sein und pro-westliche sunnitische Rebellen sollen dort für Sicherheit sorgen und eine Basis für den Kampf gegen das Assad-Regime schaffen. Wohl wichtigster Teil des Planes ist die Verriegelung der Grenze, die wichtigste Verbindung des IS zur Außenwelt.
Der Plan stößt jedoch auf heftigen Widerstand der in diesem Gebiet lebenden Kurden, die diese mit den USA abgesprochenen Pläne primär gegen sich gerichtet sehen. Jüngste Drohungen türkischer Führer bekräftigen diesen Verdacht.  Erleben die Kurden, wie so oft in ihrer Geschichte, erneut ein Verrat durch Weltmächte?
Der türkische Premier Davutoglu warnte jüngst in schärfsten Worten die stärkste Kurdenpartei Syriens, PYD keinerlei „Aktivitäten zu setzen, die uns stören“, sonst würden sie „in der selben Weise behandelt wie der IS“. Die PYD, die sich seit Ausbruch des Krieges gegen Diktator Assad 2011 weitgehend neutral verhalten hatte, müsse sich nun, so Davutoglu, „den gemäßigten Rebellen“ anschließen. Zuvor hatte Präsident Erdogan gedroht, „keinen neuen Staat“ - gemeint ist ein kurdischer –  an der türkischen Grenze zu dulden, „was immer es kosten möge“.
Die marxistische PYD wurde einst von der türkischen „Kurdischen Arbeiterpartei“ PKK  gegründet und unterhält seither  enge Beziehungen zu ihr. Ihr militärischer Arm YPG versteht sich jedoch ausschließlich als Selbstverteidigungs-Organisation. Hochmotiviert gelang es ihren Kämpfern in den vergangenen Monaten , von der USA aus der Luft unterstützt, Dutzende Dörfer vom IS zu befreien und damit ihre Präsenz über einen großen Teil des Gebietes entlang der 910 km langen Grenze auszuweiten. Die Amerikaner betrachten sie als den verlässlichsten und schlagkräftigsten lokalen Partner im Kampf gegen den IS.  Aus diesem internationalen Ansehen hoffen die Kurden in einem neuen Syrien politisches Kapital zu ziehen. Ihre Forderungen beschränken sich aber auf autonome Rechte und die Anerkennung ihrer Identität und Sprache in der Verfassung. Die Türkei jedoch fürchtet, das wachsende Selbstbewusstsein der syrischen Kurden werde Unabhängigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheit im eigenen Land  starken Auftrieb geben.
Syriens Kurden, die in den von ihnen in Nord-Syrien seit Generationen bewohnten Regionen eine  Selbstverwaltung errichtet hatten, rechnen nun mit dem Ende ihres weitgehend erfolgreichen Experiments. Nicht nur werden sie Attacken der syrischen Luftwaffe ausgesetzt, die nicht mehr zwischen ihnen und den dann nach den türkischen Plänen in dieser Region  stationierten sunnitischen Rebellen unterscheiden wird. Wie ein Damoklesschwert hängt über ihrer Zukunft der Plan der Türkei, die „Sicherheit“ dieser Zone durch den Einmarsch von 18.000 Soldaten zu garantieren. Wenig Zweifel herrscht daran, dass es Ankara vor allem darum geht, die Bildung eines mehr als tausend Kilometer langen „kurdischen Korridors“ entlang der türkischen Grenze vom Nord-Irak bis zum Mittelmeer zu verhindern, und die Kurden damit erneut ins Elend zu stürzen.  „Wir werden sie als Invasoren ansehen“, warnt PYD-Führer Muslim, und dementsprechend militärisch reagieren.
 

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