Syriens
jahrzehntelang gequälte Minderheit erwies sich als effizientester
Kämpfer gegen den „Islamischen Staat“ und fühlt sich nun direkt von der
Türkei bedroht
von Birgit Cerha
Während
die Botschafter der 28 NATO-Staaten bei einem Sondertreffen in Brüssel
der Türkei volle politische Solidarität in ihrem Anti-Terror-Kampf bekundeten,
beeilt sich Ankara, die mit den USA beschlossenen Pläne einer
Sicherheitszone in Nord-Syrien abzuschließen. Wichtige Details des von
der Türkei lange geplanten Projekts wurden noch nicht bekannt. Fest
steht aber, dass Ankara die
Errichtung einer Flugverbotszone nicht durchsetzte, da Washington
fürchtet, dadurch noch stärker in den Krieg hineingezogen zu werden.
Auch der Einsatz von türkischen Bodentruppen ist vorerst nicht geplant.
Laut Medienberichten könnte sich die Zone über mehr als hundert
Kilometer von einem Grenzgebiet östlich der in einem heftigen
monatelangen Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“
zerstörten Kurdenstadt Kobane bis zu der Stadt Mare im Westen, etwa 30
bis 40 km tief erstrecken. Deklariertes Hauptziel ist
die Vertreibung von IS-Terroristen aus diesem Gebiet, die Verlagerung
von Hunderttausenden syrischen Flüchtlingen aus der Türkei in diese
Zone. Bereits in den nächsten Wochen sollen alle IS-Terroristen aus
diesem Gebiet vertrieben sein und pro-westliche sunnitische Rebellen
sollen dort für Sicherheit sorgen und eine Basis für den Kampf gegen das
Assad-Regime schaffen. Wohl wichtigster Teil des Planes ist die
Verriegelung der Grenze, die wichtigste Verbindung des IS zur Außenwelt.
Der
Plan stößt jedoch auf heftigen Widerstand der in diesem Gebiet lebenden
Kurden, die diese mit den USA abgesprochenen Pläne primär gegen sich
gerichtet sehen. Jüngste Drohungen türkischer Führer bekräftigen diesen
Verdacht. Erleben die Kurden, wie so oft in ihrer Geschichte, erneut ein Verrat durch Weltmächte?
Der
türkische Premier Davutoglu warnte jüngst in schärfsten Worten die
stärkste Kurdenpartei Syriens, PYD keinerlei „Aktivitäten zu setzen, die
uns stören“, sonst würden sie „in der selben Weise behandelt wie der
IS“. Die PYD, die sich seit Ausbruch des Krieges gegen Diktator Assad
2011 weitgehend neutral verhalten hatte, müsse sich nun, so Davutoglu,
„den gemäßigten Rebellen“ anschließen. Zuvor hatte Präsident Erdogan
gedroht, „keinen neuen Staat“ - gemeint ist ein kurdischer – an der türkischen Grenze zu dulden, „was immer es kosten möge“.
Die marxistische PYD wurde einst von der türkischen „Kurdischen Arbeiterpartei“ PKK gegründet und unterhält seither enge
Beziehungen zu ihr. Ihr militärischer Arm YPG versteht sich jedoch
ausschließlich als Selbstverteidigungs-Organisation. Hochmotiviert
gelang es ihren Kämpfern in den vergangenen Monaten , von der USA aus
der Luft unterstützt, Dutzende Dörfer vom IS zu befreien und damit ihre
Präsenz über einen großen Teil des Gebietes entlang der 910 km langen
Grenze auszuweiten. Die Amerikaner betrachten sie als den
verlässlichsten und schlagkräftigsten lokalen Partner im Kampf gegen den
IS. Aus diesem internationalen
Ansehen hoffen die Kurden in einem neuen Syrien politisches Kapital zu
ziehen. Ihre Forderungen beschränken sich aber auf autonome Rechte und
die Anerkennung ihrer Identität und Sprache in der Verfassung. Die
Türkei jedoch fürchtet, das wachsende Selbstbewusstsein der syrischen
Kurden werde Unabhängigkeitsbestrebungen der kurdischen Minderheit im
eigenen Land starken Auftrieb geben.
Syriens Kurden, die in den von ihnen in Nord-Syrien seit Generationen bewohnten Regionen eine Selbstverwaltung
errichtet hatten, rechnen nun mit dem Ende ihres weitgehend
erfolgreichen Experiments. Nicht nur werden sie Attacken der syrischen
Luftwaffe ausgesetzt, die nicht mehr zwischen ihnen und den dann nach
den türkischen Plänen in dieser Region stationierten
sunnitischen Rebellen unterscheiden wird. Wie ein Damoklesschwert hängt
über ihrer Zukunft der Plan der Türkei, die „Sicherheit“ dieser Zone
durch den Einmarsch von 18.000 Soldaten zu garantieren. Wenig Zweifel
herrscht daran, dass es Ankara vor allem darum geht, die Bildung eines
mehr als tausend Kilometer langen „kurdischen Korridors“ entlang der
türkischen Grenze vom Nord-Irak bis zum Mittelmeer zu verhindern, und
die Kurden damit erneut ins Elend zu stürzen. „Wir werden sie als Invasoren ansehen“, warnt PYD-Führer Muslim, und dementsprechend militärisch reagieren.
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