Sonntag, 2. August 2015

Barzanis Dilemma mit der PKK

Der eskalierende Konflikt zwischen Ankara und der türkisch-kurdischen Guerillaorganisation gefährdet die Zukunft des irakischen Kurdistan
 
 von Birgit Cerha

„Wir sind gefangen zwischen den beiden Seiten“, der Türkei und der türkischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK, klagt der „Außenminister“ der autonomen irakischen Kurdenregion (KRG), Falah Mustafa Bakir. Kurz zuvor hatte KRG-Präsident Massoud Barzani die in dem von ihm kontrollierten Territorium stationierten PKK-Guerillas aufgefordert, das Gebiet zu verlassen, um das Leben der Zivilbevölkerung nicht weiter zu gefährden. Die Türkei hatte Samstag im Verlauf ihrer tagelangen Luftangriffe auf PKK-Positionen im entlegenen nordirakischen Kandilgebirge ein kurdisches Dorf zerstört und  zehn Zivilisten getötet.  Insgesamt sollen laut türkischen Angaben seit Beginn der Angriffe rund 260 PKK-Kämpfer ums Leben gekommen sein.
Irakisch-Kurdistan, die einzige Oase relativer Ruhe in dieser kriegszerrissenen Region und wichtigste Basis des Westens für den Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“, zittert um ihre Zukunft, während der neuaufgeflammte Konflikt zwischen den alten Erzfeinden Ankara und der PKK weiter eskaliert.
Eindringlich drängt Barzani, der zum Ärger vieler Kurden vor offener Kritik an der Türkei zurückscheut, die Konfliktparteien zu Friedensverhandlungen. Iraks Kurdenführung steckt in der Klemme. Seit 1999 hatte Barzani nach einem stillschweigenden Übereinkommen mit dem zu jener Zeit festgenommenen  PKK-Chef Öcalan Tausenden Guerillas Zuflucht und Trainingslager in Kandil geboten und sich bis heute, ungeachtet gravierender Schwierigkeiten daran gehalten. Jahrelang hatte die Türkei teils durch Großattacken, doch weitgehend erfolglos, diese Stützpunkte, von denen aus die PKK militärische Ziele auf türkischem Territorium attackierte, zu zerstören versucht.
Doch die PKK erwies sich insbesondere für Barzanis „Demokratische Partei Kurdistans“ (KDP) als ein höchst unbequemer Gast. Ideologisch fehlt den marxistisch-nationalistisch orientierten Anhängern Öcalans jede Verständigungsbasis mit der traditionalistischen KDP. Zunehmend begann die PKK – das (unterdessen offiziell aufgegebene) Ziel eines großen kurdischen Einheitsstaates unter ihrer Führung vor Augen – sich in interne Angelegenheiten des Gastlandes einzumischen und schloss sich auch dem innerkurdischen Bürgerkrieg der 1990er der Front gegen die KDP an. Später beschränkte sie sich auf den politischen Kampf um Einfluss im Nord-Irak und unterstützt heute vor allem die politische Opposition gegen Barzani. Dieser stellte jedoch mehrmals klar: „Die Zeit, in der Kurden Kurden töten, ist vorüber.“ Eine gewaltsame Vertreibung der PKK steht nicht zur Diskussion, wohl auch nicht, weil es der Organisation gelungen ist, vor allem in der jungen Generation im Nord-Irak viele Anhänger zu gewinnen. Ihre Popularität stieg seit dem Vorjahr, als PKK-Kämpfer gemeinsam mit den mit ihnen verbündeten syrischen Kurden der „YPG“ viele der vom IS im nordirakischen Sindschar-Gebirge mit dem Tod bedrohte Yeziden zu retteten. Zudem verleiht der mutige Einsatz der YPG gegen den IS in Syrien auch der PKK im Nord-Irak unter Teilen der Bevölkerung eine Heldenaura.
Dennoch würde die KDP die PKK lieber heute als morgen loswerden, gefährdet sie doch in höchstem Maße den so erfolgreichen Aufstieg der irakischen Kurden zu einem selbständigen staatlichen Gebilde. Diesen Aufstieg verdanken die irakischen Kurden ihrem jahrzehntelangen Erzfeind Türkei. Der Preis dafür ist totale ökonomische und auch politische Abhängigkeit. So muss Barzani die Empörung vieler Kurden hinnehmen, dass die Türkei nun die Kurden, den wichtigsten Verbündeten des Westens im Kampf gegen den IS bombardiere. Offene Kritik an Ankara kann er nicht wagen. Durch Milliardeninvestitionen, Warenströme, Öl- und Gaslieferungen sind die irakischen Kurden und türkische Investoren total aufeinander angewiesen. Eine neue Pipeline in die Türkei, durch die nun täglich 600.000 Barrel Öl fließen, ist zur Lebensader der KRG-Region geworden, die mit den Einkünften aus diesen Exporten ihre Administration und den Kampf gegen den IS finanziert, da Bagdad  Zahlungen aus dem nationalen Budget seit Jahren den Kurden verweigert.
Die Verteidigung ihrer mehr als tausend Kilometer langen Grenzlinie zu dem vom IS kontrollierten Gebiet erfordert enormen Aufwand an Geld und Kämpfern. Die PKK steht  mit kleinen Einheiten mit an vorderster Front. Der Abzug dieser engagierten Kämpfer würde laut Militärkreisen die Kampfkraft der irakisch-kurdischen Einheiten in diesem kritischen Existenzkampf empfindlich schwächen.
 

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