Der eskalierende Konflikt zwischen Ankara und der
türkisch-kurdischen Guerillaorganisation gefährdet die Zukunft des
irakischen Kurdistan
von Birgit Cerha
„Wir sind gefangen zwischen den beiden Seiten“, der Türkei und der
türkischen „Arbeiterpartei Kurdistans“ PKK, klagt der „Außenminister“
der autonomen irakischen Kurdenregion (KRG), Falah Mustafa Bakir. Kurz
zuvor hatte KRG-Präsident Massoud Barzani die in dem von ihm
kontrollierten Territorium stationierten PKK-Guerillas aufgefordert, das
Gebiet zu verlassen, um das Leben der Zivilbevölkerung nicht weiter zu
gefährden. Die Türkei hatte Samstag im Verlauf ihrer tagelangen
Luftangriffe auf PKK-Positionen im entlegenen nordirakischen
Kandilgebirge ein kurdisches Dorf zerstört und zehn Zivilisten
getötet. Insgesamt sollen laut türkischen Angaben seit Beginn der
Angriffe rund 260 PKK-Kämpfer ums Leben gekommen sein.
Irakisch-Kurdistan, die einzige Oase relativer Ruhe in dieser
kriegszerrissenen Region und wichtigste Basis des Westens für den Kampf
gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“, zittert um ihre
Zukunft, während der neuaufgeflammte Konflikt zwischen den alten
Erzfeinden Ankara und der PKK weiter eskaliert.
Eindringlich drängt Barzani, der zum Ärger vieler Kurden vor
offener Kritik an der Türkei zurückscheut, die Konfliktparteien zu
Friedensverhandlungen. Iraks Kurdenführung steckt in der Klemme. Seit
1999 hatte Barzani nach einem stillschweigenden Übereinkommen mit dem zu
jener Zeit festgenommenen PKK-Chef Öcalan Tausenden Guerillas Zuflucht
und Trainingslager in Kandil geboten und sich bis heute, ungeachtet
gravierender Schwierigkeiten daran gehalten. Jahrelang hatte die Türkei
teils durch Großattacken, doch weitgehend erfolglos, diese Stützpunkte,
von denen aus die PKK militärische Ziele auf türkischem Territorium
attackierte, zu zerstören versucht.
Doch die PKK erwies sich insbesondere für Barzanis „Demokratische
Partei Kurdistans“ (KDP) als ein höchst unbequemer Gast. Ideologisch
fehlt den marxistisch-nationalistisch orientierten Anhängern Öcalans
jede Verständigungsbasis mit der traditionalistischen KDP. Zunehmend
begann die PKK – das (unterdessen offiziell aufgegebene) Ziel eines
großen kurdischen Einheitsstaates unter ihrer Führung vor Augen – sich
in interne Angelegenheiten des Gastlandes einzumischen und schloss sich
auch dem innerkurdischen Bürgerkrieg der 1990er der Front gegen die KDP
an. Später beschränkte sie sich auf den politischen Kampf um Einfluss im
Nord-Irak und unterstützt heute vor allem die politische Opposition
gegen Barzani. Dieser stellte jedoch mehrmals klar: „Die Zeit, in der
Kurden Kurden töten, ist vorüber.“ Eine gewaltsame Vertreibung der PKK
steht nicht zur Diskussion, wohl auch nicht, weil es der Organisation
gelungen ist, vor allem in der jungen Generation im Nord-Irak viele
Anhänger zu gewinnen. Ihre Popularität stieg seit dem Vorjahr, als
PKK-Kämpfer gemeinsam mit den mit ihnen verbündeten syrischen Kurden der
„YPG“ viele der vom IS im nordirakischen Sindschar-Gebirge mit dem Tod
bedrohte Yeziden zu retteten. Zudem verleiht der mutige Einsatz der YPG
gegen den IS in Syrien auch der PKK im Nord-Irak unter Teilen der
Bevölkerung eine Heldenaura.
Dennoch würde die KDP die PKK lieber heute als morgen loswerden,
gefährdet sie doch in höchstem Maße den so erfolgreichen Aufstieg der
irakischen Kurden zu einem selbständigen staatlichen Gebilde. Diesen
Aufstieg verdanken die irakischen Kurden ihrem jahrzehntelangen Erzfeind
Türkei. Der Preis dafür ist totale ökonomische und auch politische
Abhängigkeit. So muss Barzani die Empörung vieler Kurden hinnehmen, dass
die Türkei nun die Kurden, den wichtigsten Verbündeten des Westens im
Kampf gegen den IS bombardiere. Offene Kritik an Ankara kann er nicht
wagen. Durch Milliardeninvestitionen, Warenströme, Öl- und
Gaslieferungen sind die irakischen Kurden und türkische Investoren total
aufeinander angewiesen. Eine neue Pipeline in die Türkei, durch die nun
täglich 600.000 Barrel Öl fließen, ist zur Lebensader der KRG-Region
geworden, die mit den Einkünften aus diesen Exporten ihre Administration
und den Kampf gegen den IS finanziert, da Bagdad Zahlungen aus dem
nationalen Budget seit Jahren den Kurden verweigert.
Die Verteidigung ihrer mehr als tausend Kilometer langen Grenzlinie
zu dem vom IS kontrollierten Gebiet erfordert enormen Aufwand an Geld
und Kämpfern. Die PKK steht mit kleinen Einheiten mit an vorderster
Front. Der Abzug dieser engagierten Kämpfer würde laut Militärkreisen
die Kampfkraft der irakisch-kurdischen Einheiten in diesem kritischen
Existenzkampf empfindlich schwächen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen