Dienstag, 14. Juli 2015

Iraner warten verzweifelt auf ein Ende der Sanktionen

Investitionen für Großprojekte in Milliardenhöhe könnten die dahinsiechende Wirtschaft neu beleben und der verarmten Bevölkerung neue Chancen bieten
 
von Birgit Cerha
 
„Ein neues Kapitel  der Hoffnung“ verheißt Irans Außenminister Zarif euphorisch seinem Volk. Das Dienstag in Wien mit den Weltmächten geschlossene Atomabkommen soll den Iran im Gegenzug zu wichtigen Zugeständnissen im Nuklearsektor von jahrelangen Wirtschaftssanktionen erlösen. Der wachsende ökonomische und soziale Druck des von den USA, der UNO, der EU und anderen Staaten dem „Gottesstaat“ auferlegten Sanktionsregimes machte der Bevölkerung zunehmend zu schaffen. Die Angst vor einer erneuten Protestwelle, wie jener von  2009, die das Regime bis ins Mark getroffen hatte, war eine der wichtigsten Motivationen des „Geistlichen Führers“ Khamenei, eine Lösung des Atom-Konflikts zu suchen. Und Präsident Rouhani verdankt seine Wahl  vor zwei Jahren dem Versprechen, durch einen Atom-Deal die Sanktionen zu beenden.
Die Tore zu den internationalen Märkten öffnen sich und damit steigt die Hoffnung auf ein Ende der bitteren Verarmung und Isolation. Preise für Konsumgüter, so schwärmen Ökonomen und einfache Bürger, würden sinken, internationale Firmen würden mit dringend nötigen Großinvestitionen ins Land ziehen und gemeinsam mit iranischen Unternehmern neue Produkte herstellen. Konsumgüter aus aller Welt würden in diesen größten unerschlossenen Markt der Welt strömen. Irans Exporteure könnten wieder, wie vor Beginn der Sanktionen, die Verkaufserlöse auf ihre Bankkonten im Iran beziehen, sobald die Sanktionen gegen den Finanzsektor aufgehoben sind. Iranische Handelsschiffe würden erneut Häfen in EU-Ländern anlaufen dürfen. Nicht nur wird der Iran seine Ölexporte erhöhen, sondern auch über den Verkaufserlös wieder direkt verfügen können. Rund 120 Mrd. Dollar aus iranischen Ölverkäufen wurden in den vergangenen Jahren aufgrund der Sanktionen in westlichen Banken blockiert.   Diese Gelder sollten nun rasch ins Land fließen und die bargeldarme Wirtschaft zu stärken.
Allen voran Deutschland, lange Irans wichtigster und hochgeschätzter Handelspartner, winkt das große Geschäft in dieser zweitgrößten Wirtschaft des Nahen Ostens mit ihrer überdurchschnittlich hochgebildeten und unternehmerischen  Bevölkerung. Experten schätzen, dass sich deutsche Exporte schon in zwei Jahren auf fünf Mrd. Euro verdoppeln und dann weiter rasch steigen könnten.
Die Iraner aber werden die ökonomische Erleichterung nicht so rasch spüren. Die Sanktionen sollen nur graduell aufgehoben werden und erste Effekte sollen sich erst Anfang nächsten Jahren zeigen.
Das wahre Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Nöte als Folge der Sanktionen und der katastrophalen achtjährigen Wirtschaftspolitik von Rouhanis Vorgänger Ahmadinedschad lässt sich vorerst nur teilweise erkennen.   Die Landeswährung stürzte seit 2012 um 57 Prozent ab, weshalb die Preise für Importwaren drastisch anstiegen.  Insgesamt schrumpfte die Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren um ein Fünftel. Die Armen und Schwachen zahlten – wie immer – den höchsten Preis. 2013 erreichte die Inflationsrate zum Zeitpunkt der Machtübernahme Rouhanis 40 Prozent und die Erträge aus dem wichtigsten Exportsektor Öl sanken als Folge eines totalen EU-Embargos um 50 Prozent. Schwache Anzeichen wirtschaftlicher Erholung setzten dieses Jahr ein. Offiziell liegt die Inflationsrate bei 15 Prozent und die Wirtschaft könnte gar um drei Prozent wachsen. Arbeitsplatzbeschaffung zählt zu den dringendsten Aufgaben des Präsidenten bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 20 Prozent.  Vor allem aber haben die Sanktionen nicht nur Klein- und Mittelbetriebe in schwere Existenznöte gestürzt. Sie haben auch die sozialen Ungleichheiten dramatisch verschärft. Während die superreichen Profiteure des Regimes verschont blieben, stieg die Zahl der Armen auf heute geschätzte 40 Prozent der 80-Millionen-Bevölkerung. Besonders dramatisch betroffen ist der Gesundheitssektor. Die Sanktionen gegen das Finanzsystem blockierten den Import überlebenswichtiger Medikamente und medizinischer Geräte.
Der Nachholbedarf ist gigantisch, vor allem auch in der seit vielen Jahren schwer vernachlässigten Ölsektor, dem Rückgrat der Wirtschaft.
 

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