Investitionen für Großprojekte in Milliardenhöhe könnten die
dahinsiechende Wirtschaft neu beleben und der verarmten Bevölkerung neue
Chancen bieten
von Birgit Cerha
„Ein neues Kapitel der Hoffnung“ verheißt Irans Außenminister
Zarif euphorisch seinem Volk. Das Dienstag in Wien mit den Weltmächten
geschlossene Atomabkommen soll den Iran im Gegenzug zu wichtigen
Zugeständnissen im Nuklearsektor von jahrelangen Wirtschaftssanktionen
erlösen. Der wachsende ökonomische und soziale Druck des von den USA,
der UNO, der EU und anderen Staaten dem „Gottesstaat“ auferlegten
Sanktionsregimes machte der Bevölkerung zunehmend zu schaffen. Die Angst
vor einer erneuten Protestwelle, wie jener von 2009, die das Regime
bis ins Mark getroffen hatte, war eine der wichtigsten Motivationen des
„Geistlichen Führers“ Khamenei, eine Lösung des Atom-Konflikts zu
suchen. Und Präsident Rouhani verdankt seine Wahl vor zwei Jahren dem
Versprechen, durch einen Atom-Deal die Sanktionen zu beenden.
Die Tore zu den internationalen Märkten öffnen sich und damit
steigt die Hoffnung auf ein Ende der bitteren Verarmung und Isolation.
Preise für Konsumgüter, so schwärmen Ökonomen und einfache Bürger,
würden sinken, internationale Firmen würden mit dringend nötigen
Großinvestitionen ins Land ziehen und gemeinsam mit iranischen
Unternehmern neue Produkte herstellen. Konsumgüter aus aller Welt würden
in diesen größten unerschlossenen Markt der Welt strömen. Irans
Exporteure könnten wieder, wie vor Beginn der Sanktionen, die
Verkaufserlöse auf ihre Bankkonten im Iran beziehen, sobald die
Sanktionen gegen den Finanzsektor aufgehoben sind. Iranische
Handelsschiffe würden erneut Häfen in EU-Ländern anlaufen dürfen. Nicht
nur wird der Iran seine Ölexporte erhöhen, sondern auch über den
Verkaufserlös wieder direkt verfügen können. Rund 120 Mrd. Dollar aus
iranischen Ölverkäufen wurden in den vergangenen Jahren aufgrund der
Sanktionen in westlichen Banken blockiert. Diese Gelder sollten nun
rasch ins Land fließen und die bargeldarme Wirtschaft zu stärken.
Allen voran Deutschland, lange Irans wichtigster und
hochgeschätzter Handelspartner, winkt das große Geschäft in dieser
zweitgrößten Wirtschaft des Nahen Ostens mit ihrer überdurchschnittlich
hochgebildeten und unternehmerischen Bevölkerung. Experten schätzen,
dass sich deutsche Exporte schon in zwei Jahren auf fünf Mrd. Euro
verdoppeln und dann weiter rasch steigen könnten.
Die Iraner aber werden die ökonomische Erleichterung nicht so rasch
spüren. Die Sanktionen sollen nur graduell aufgehoben werden und erste
Effekte sollen sich erst Anfang nächsten Jahren zeigen.
Das wahre Ausmaß der wirtschaftlichen und sozialen Nöte als Folge
der Sanktionen und der katastrophalen achtjährigen Wirtschaftspolitik
von Rouhanis Vorgänger Ahmadinedschad lässt sich vorerst nur teilweise
erkennen. Die Landeswährung stürzte seit 2012 um 57 Prozent ab,
weshalb die Preise für Importwaren drastisch anstiegen. Insgesamt
schrumpfte die Wirtschaft in den vergangenen fünf Jahren um ein Fünftel.
Die Armen und Schwachen zahlten – wie immer – den höchsten Preis. 2013
erreichte die Inflationsrate zum Zeitpunkt der Machtübernahme Rouhanis
40 Prozent und die Erträge aus dem wichtigsten Exportsektor Öl sanken
als Folge eines totalen EU-Embargos um 50 Prozent. Schwache Anzeichen
wirtschaftlicher Erholung setzten dieses Jahr ein. Offiziell liegt die
Inflationsrate bei 15 Prozent und die Wirtschaft könnte gar um drei
Prozent wachsen. Arbeitsplatzbeschaffung zählt zu den dringendsten
Aufgaben des Präsidenten bei einer Arbeitslosigkeit von mehr als 20
Prozent. Vor allem aber haben die Sanktionen nicht nur Klein- und
Mittelbetriebe in schwere Existenznöte gestürzt. Sie haben auch die
sozialen Ungleichheiten dramatisch verschärft. Während die superreichen
Profiteure des Regimes verschont blieben, stieg die Zahl der Armen auf
heute geschätzte 40 Prozent der 80-Millionen-Bevölkerung. Besonders
dramatisch betroffen ist der Gesundheitssektor. Die Sanktionen gegen das
Finanzsystem blockierten den Import überlebenswichtiger Medikamente und
medizinischer Geräte.
Der Nachholbedarf ist gigantisch, vor allem auch in der seit vielen
Jahren schwer vernachlässigten Ölsektor, dem Rückgrat der Wirtschaft.
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