Warum Ayatollah Khamenei eine Einigung mit den Weltmächten will
und dennoch harte Töne anschlägt – Die Machtspiele des „Geistlichen
Führers“
von Birgit Cerha
Der Poker geht weiter. Die dritte Frist zum Abschluss eines
Atomabkommens zwischen dem Iran und der Sechsergruppe (USA, Russland,
China, Großbritannien, Frankreich und Deutschland) in kaum mehr als
einer Woche läuft Freitag ab. Trotz optimistischer Töne aus der
Verhandlungsrunde ist ein Scheitern des 18-monatigen Gesprächsmarathons
auch im letzten Moment immer noch möglich. Wichtigste Knackpunkte ist
Irans Forderung nach einem Ende der Sanktionen gegen sein
Raketenprogramm und des Handelsverbots für konventionelle Waffen. Es ist
eine für den Westen politisch und emotional hochbesetzte Problematik,
geht es doch dabei um die militärische Unterstützung militanter Gruppen,
wie der libanesischen Hisbollah oder der palästinensischen Hamas durch
Teheran.
Mehrere Kompromissvarianten liegen auf dem Tisch. Das iranische
Verhandlungsteam hat wenig Spielraum, denn wie in den USA, können auch
im Iran starke politische Kräfte ein Abkommen blockieren. So gilt es nun
vor allem eine Version und eine Sprache zu finden, die die Hardliner in
Teheran nicht allzu sehr herausfordern.
Das letzte Wort hat der „Geistliche Führer“, Ayatollah Khamenei,
der nun einen äußerst heiklen Balanceakt vollführt. Khamenei findet sich
nach Ansicht von Karim Sadjapour, dem Iran-Experten der angesehenen
„Carnegie Endowment“, in einer äußerst schwierigen Position. Viele Jahre
lang hat er den Freitagspredigern den Hass-Slogan „Tod Amerika“
gestattet, der allwöchentlich vor Zehntausenden Menschen in den Moscheen
erschallte. Sich nun plötzlich für eine Aussöhnung mit dem „Großen
Satan“ zu entscheiden gleicht dem verbalen „Trunk aus dem Giftbecher“,
zu dem sich Revolutionsführer Khomeini 1988 entschloss, indem er nach
acht Kriegsjahren einem Waffenstillstand mit dem Irak zustimmte.
Starke Motivationen drängen Irans führenden Theokraten zu dieser
Kehrtwende. Zunächst waren es vor allem die ökonomischen Aspekte,
Hunderte Milliarden von Dollar, die der Iran durch die internationalen
Sanktionen verlor, verschärft durch finanzielle Einbußen in
Milliardenhöhe aufgrund des niedrigen Ölpreises und weitere Milliarden,
um dem wichtigen strategischen Verbünden, dem syrischen Diktator Assad,
die bedrohte Macht zu retten. Doch seit einem Jahr, seit die
radikal-sunnitische Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) ihren
Siegeszug in Syrien und vor allem im Irak begann, ist für Irans
schiitische Führung eine Einigung mit den Weltmächten von entscheidender
strategischer Bedeutung geworden. Denn der schiitische „Gottesstaat“
sieht den IS – zurecht - als existentielle Bedrohung. So haben sich in
den vergangenen Monaten selbst die Revolutionsgarden, die hartnäckigsten
und mächtigsten Hüter der gegen die USA und den Imperialismus
gerichteten islamischen Revolutionsideologie, für ein Atomabkommen
ausgesprochen. Es ist die „Quds-Einheit“ der Garden, die schon seit
vielen Monaten vor allem im Irak, aber auch in Syrien direkt den IS
bekämpfen. Die USA in dieser bedrohlichen Auseinandersetzung auf seiner
Seite zu wissen, ist für den Iran von entscheidender Bedeutung. Ein
Scheitern der Atomverhandlungen würde jede taktische Kooperation
blockieren.
So hat sich Khamenei nach den Worten eines iranischen
Intellektuellen zum „Schutzengel“ des iranischen Verhandlungsteams
gemausert, hat schon vor eineinhalb Jahren jegliche offene Kritik an den
Verhandlungsführern, die jedes Zugeständnis mit ihm absprechen müssen,
strikt verboten. Doch je näher eine Einigung rückt, desto mehr wagen die
Hardliner, die wichtige staatliche Institutionen und vor allem auch das
Parlament dominieren, unverblümte Attacken. Zuletzt forderte der
Abgeordnete Hamid Rasaei ein Amtsenthebungsverfahren gegen Präsident
Rouhani , da er Khameneis „rote Linien“ überschritten hätte. Und
Khameneis enger Vertrauter, Chefredakteur der radikalen Tageszeitung
Kayhan befürchtet, der Atom-Abkommensentwurf werde dem Iran
„irreparablen Schaden“ zufügen. Nur ein „gutes Abkommen“ sei akzeptable,
betonen auch andere einflußreiche Hardliner und meinen damit die
internationale Anerkennung des national-iranischen Rechts auf
Atomenergie und damit auch der atomaren Waffenproduktion – eine
Forderung, die jeglicher Einigung mit den Sechsermächten im Wege stünde.
Diese Hardliner, die keinerlei Interesse an einer Aussöhnung mit
den USA und Europa hegen, muss Khamenei beschwichtigen, will er
verhindern, dass eine Einigung im letzten Moment an inner-iranischem
Widerstand scheitert. Deshalb distanzierte er sich in den vergangenen
Wochen und Monaten wiederholt offen von diversen Zugeständnissen, die
Rouhani und Außenminister Zarif in Wien anboten, während er zugleich im
Hintergrund die Strategie seines Verhandlungsteams billigte. Seine
Macht, die sich entscheidend auf starke Gruppen von Hardlinern stützt,
ist Khamenei nicht bereit selbst für das strategisch und politisch so
schicksalhafte Atomabkommen aufs Spiel zu setzen. Deshalb übernimmt er
nach außen hin auch keine direkte Verantwortung für die Verhandlungen.
Ob er schließlich, sobald eine Einigung erzielt ist, diese billigt, oder
die letzte Entscheidung dem auch von zahlreichen Hardlinern besetzten
Höchsten Nationalen Sicherheitsrat oder dem Parlament überlässt, um sich
selbst keiner Kritik auszusetzen, ist vorerst offen.
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