Während
sich die rivalisierenden politischen Kräfte zu einem heiklen Konsens
über ein Atomabkommen durchringen, wächst in der Bevölkerung neue
Hoffnung
von Birgit Cerha
Zwei
Wochen vor der für den Abschluss eines Atomabkommens mit der 5+1-Gruppe
aus den UN-Vetomächten und Deutschland gesetzten Frist steigt die
Spannung im Iran. Wird eine Einigung
im letzten Moment scheitern – und wenn nicht, kann ein Abkommen
tatsächlich neue Hoffnung in ihr Leben bringen, fragen sich viele durch
jahrelange Ssanktionen verarmte und frustrierte Iraner. Je näher der 30.
Juni heranrückt, desto deutlicher zeichnet sich zwischen den
mächtigsten Fraktionen des Landes ein heikler Konsens für eine Einigung mit der Welt ab. Irans
zersplittertes politisches System setzt sich aus politischen Strömungen
zusammen, die sich um einflussreiche Persönlichkeiten, Machtzentren und
Interessensgruppen scharen und immer wieder neue Allianzen eingehen.
Diese Kräfteverhältnisse lassen sich grob in zwei große Gruppen teilen:
das gemäßigte Lager der Reformer und Zentristen und das konservative der
Neo- und traditionellen Prinzipalisten.
Die
Gemäßigten stehen voll hinter den Atomverhandlungen und einer
Aussöhnung mit den USA: „Die Amerikaner brauchen Irans Unterstützung, um
die großen und kleinen Probleme (im Mittleren Osten) zu lösen“,
schreibt das Blatt der Gemäßigten „Mardom Salari“. „Der einzige
Schlüssel für dieses Schloss ist die Lösung des Atomkonflikts und die
Aufhebung aller feindseligen Sanktionen.“ Die
Diskussion über eine Aussöhnung mit dem „Großen Satan“ ist im
„Gottesstaat“ kein Tabu mehr. Auch andere Kommentatoren weisen
ungestraft auf gemeinsame Interessen mit den USA hin.
Im
konservativen Lager herrschen allerdings größere Differenzen. Führer
der politisch heute weitaus stärksten Kraft, der Revolutionsgarden, die
sich durch harte, kompromisslose Rhetorik hervorgetan
hatten, sprechen sich nun offen für ein Atomabkommen aus, wiewohl sie
auf der sofortigen Aufhebung aller Sanktionen bestehen – eine Forderung,
von der die USA vorerst nichts wissen wollen. Mit ihrer oft
kriegerischen Rhetorik haben die Garden jüngst einen zunehmenden
Pragmatismus dieser Institution markiert, die zur größten
Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist und durch Instabilität oder gar einen
Krieg viel zu verlieren hätte. Erhaltung des Status quo gilt für sie
deshalb als oberstes Gebot, eine Ansicht, die auch der „Geistliche
Führer“ Khamenei teilt.
Deshalb
forderte Khamenei das Verhandlungsteam unter Führung Präsident Rouhanis
eindringlich zu „heldenhafter Flexibilität“ auf, verteidigte energisch
Außenminister Zarif gegen den Vorwurf Radikaler, er hätte zu viele
Zugeständnisse gemacht. Doch zugleich lässt er immer wieder schwere
Zweifel an den ehrlichen Absichten des Erzfeindes USA erkennen und
reagiert auf heftige Kritik im US-Kongress an den Atomverhandlungen mit
verbaler Verhärtung seiner Position. So sei eine Befragung iranischer
Atomwissenschafter durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) –
eine der jüngsten Streitpunkte bei den Verhandlungen – ebenso undenkbar,
wie Inspektion von Militäranlagen durch IAEA-Experten. Khameneis
Ambivalenz hat mehrfache Ursachen. Sie entspringt dem Wunsch, Distanz
zur Regierung Rouhani zu halten, sollte das Abkommen im letzten Moment
scheitern und zugleich beschwichtigt er damit auch die radikalen Gegner
der Verhandlungen. Doch ein Abkommen, das ein Ende der Sanktionen
bringt, ist auch für Khamenei von höchstem Interesse, sieht er in einer
wachsenden Zufriedenheit der Bevölkerung doch eine Chance bei wichtigen
Wahlen im nächsten Jahr seine Anhänger zu stärken, während er zugleich
alles daran setzen wird, dass Rouhani aus einem Abkommen für die
Reformer kein politisches Kapital schlagen kann.
Während
über den Wunsch nach Einigung mit den Weltmächten ein heikler Konsens
herrscht, klaffen die Positionen über die Folgen einer Einigung stark
auseinander. Rouhani erklärt „die Ara der Hardliner“ im Iran für beendet
und träumt von Verständigung, Dialog und Kooperation mit der Welt. Doch
Khamenei stellt klar, dass er keine Einigung akzeptieren werde, die in
einen wachsenden Druck auf den Iran über dessen Aktivitäten in der
Region münden würde. Keine Verbindung zwischen einem Atomabkommen und
regionalpolitischen Fragen (Engagement in Syrien, Irak, Jemen und
Libanon u.a), stellt auch Khameneis außenpolitischer Berater, Velayati
energisch klar. Wie für viele Hardliner entspringt auch für Khamenei
Anti-Amerikanismus einer fundamentalen Sorge um Souveränität ihres
Heimatlandes. „As Siyasat-e Ruz“, ein Organ der Hardliner, stellt klar:
„Es ist nicht das Ziel des Atomabkommens, den Iran in einen Verbündeten
der USA zu verwandeln“ und damit „seine politische Unabhängigkeit“ zu
verlieren. „Sind die Iraner tatsächlich bereit, zu akzeptieren, dass
Amerikaner in den Straßen herumspazieren, wie sie es einst getan
hatten?“
Dennoch
steigt in weiten Bevölkerungskreisen die Sehnsucht nach Versöhnung mit
der Welt und die Hoffnung auf anhaltende Stabilität in einer von solch
grausigen Turbulenzen heimgesuchten Region.
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