Samstag, 13. Juni 2015

Irans Sehnsucht nach Versöhnung mit der Welt

Während sich die rivalisierenden politischen Kräfte zu einem heiklen Konsens über ein Atomabkommen durchringen, wächst in der Bevölkerung neue Hoffnung
 
von Birgit Cerha
 
Zwei Wochen vor der für den Abschluss eines Atomabkommens mit der 5+1-Gruppe aus den UN-Vetomächten und Deutschland gesetzten Frist steigt die Spannung im Iran.  Wird eine Einigung im letzten Moment scheitern – und wenn nicht, kann ein Abkommen tatsächlich neue Hoffnung in ihr Leben bringen, fragen sich viele durch jahrelange Ssanktionen verarmte und frustrierte Iraner. Je näher der 30. Juni heranrückt, desto deutlicher zeichnet sich zwischen den mächtigsten Fraktionen des Landes ein heikler Konsens  für eine Einigung mit der Welt ab.  Irans zersplittertes politisches System setzt sich aus politischen Strömungen zusammen, die sich um einflussreiche Persönlichkeiten, Machtzentren und Interessensgruppen scharen und immer wieder neue Allianzen eingehen. Diese Kräfteverhältnisse lassen sich grob in zwei große Gruppen teilen: das gemäßigte Lager der Reformer und Zentristen und das konservative der Neo- und traditionellen Prinzipalisten.
Die Gemäßigten stehen voll hinter den Atomverhandlungen und einer Aussöhnung mit den USA: „Die Amerikaner brauchen Irans Unterstützung, um die großen und kleinen Probleme (im Mittleren Osten) zu lösen“, schreibt das Blatt der Gemäßigten „Mardom Salari“. „Der einzige Schlüssel für dieses Schloss ist die Lösung des Atomkonflikts und die Aufhebung aller feindseligen Sanktionen.“  Die Diskussion über eine Aussöhnung mit dem „Großen Satan“ ist im „Gottesstaat“ kein Tabu mehr. Auch andere Kommentatoren weisen ungestraft auf gemeinsame Interessen mit den USA hin.
Im konservativen Lager herrschen allerdings größere Differenzen. Führer der politisch heute weitaus stärksten Kraft, der Revolutionsgarden, die sich durch harte, kompromisslose Rhetorik  hervorgetan hatten, sprechen sich nun offen für ein Atomabkommen aus, wiewohl sie auf der sofortigen Aufhebung aller Sanktionen bestehen – eine Forderung, von der die USA vorerst nichts wissen wollen. Mit ihrer oft kriegerischen Rhetorik haben die Garden jüngst einen zunehmenden Pragmatismus dieser Institution markiert, die zur größten Wirtschaftsmacht aufgestiegen ist und durch Instabilität oder gar einen Krieg viel zu verlieren hätte. Erhaltung des Status quo gilt für sie deshalb als oberstes Gebot, eine Ansicht, die auch der „Geistliche Führer“ Khamenei teilt.
Deshalb forderte Khamenei das Verhandlungsteam unter Führung Präsident Rouhanis eindringlich zu „heldenhafter Flexibilität“ auf, verteidigte energisch Außenminister Zarif gegen den Vorwurf Radikaler, er hätte zu viele Zugeständnisse gemacht. Doch zugleich lässt er immer wieder schwere Zweifel an den ehrlichen Absichten des Erzfeindes USA erkennen und reagiert auf heftige Kritik im US-Kongress an den Atomverhandlungen mit verbaler Verhärtung seiner Position. So sei eine Befragung iranischer Atomwissenschafter durch die Internationale Atomenergiebehörde (IAEA) – eine der jüngsten Streitpunkte bei den Verhandlungen – ebenso  undenkbar, wie Inspektion von Militäranlagen durch IAEA-Experten. Khameneis Ambivalenz hat mehrfache Ursachen. Sie entspringt dem Wunsch, Distanz zur Regierung Rouhani zu halten, sollte das Abkommen im letzten Moment scheitern und zugleich beschwichtigt er damit auch die radikalen Gegner der Verhandlungen. Doch ein Abkommen, das ein Ende der Sanktionen bringt, ist auch für Khamenei von höchstem Interesse, sieht er in einer wachsenden Zufriedenheit der Bevölkerung doch eine Chance bei wichtigen Wahlen im nächsten Jahr seine Anhänger zu stärken, während er zugleich alles daran setzen wird, dass Rouhani aus einem Abkommen für die Reformer kein politisches Kapital schlagen kann.
Während über den Wunsch nach Einigung mit den Weltmächten ein heikler Konsens herrscht, klaffen die Positionen über die Folgen einer Einigung stark auseinander. Rouhani erklärt „die Ara der Hardliner“ im Iran für beendet und träumt von Verständigung, Dialog und Kooperation mit der Welt. Doch Khamenei stellt klar, dass er keine Einigung akzeptieren werde, die in einen wachsenden Druck auf den Iran über dessen Aktivitäten in der Region münden würde. Keine Verbindung zwischen einem Atomabkommen und regionalpolitischen Fragen (Engagement in Syrien, Irak, Jemen und Libanon u.a), stellt auch Khameneis außenpolitischer Berater, Velayati energisch klar. Wie für viele Hardliner entspringt auch für Khamenei Anti-Amerikanismus einer fundamentalen Sorge um Souveränität ihres Heimatlandes. „As Siyasat-e Ruz“, ein Organ der Hardliner, stellt klar: „Es ist nicht das Ziel des Atomabkommens, den Iran in einen Verbündeten der USA zu verwandeln“ und damit „seine politische Unabhängigkeit“ zu verlieren. „Sind die Iraner tatsächlich bereit, zu akzeptieren, dass Amerikaner in den Straßen herumspazieren, wie sie es einst getan hatten?“
Dennoch steigt in weiten Bevölkerungskreisen die Sehnsucht nach Versöhnung mit der Welt und die Hoffnung auf anhaltende Stabilität in einer von solch grausigen Turbulenzen heimgesuchten Region.

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