Donnerstag, 7. Mai 2015

Verliert Assad den Krieg?

Neue Einigkeit der Rebellen und ihrer Förderer könnte nach vier Jahren einen entscheidenden Wandel in Syriens blutigem Kräftemessen einleiten
 
von Birgit Cerha
 
„Ich glaube, wir werden das Ende des Assad-Regimes erleben.“ Der prominente saudische Journalist Jamal Khashoggi ist überzeugt, dass der „Tag danach nahe ist“. Tatsächlich lassen so manche Entwicklungen einen Wandel in einem ungeheuer brutalen Abnützungskrieg erkennen. Zum erstenmal seit Beginn der Rebellion gegen Diktator Bashar el Assad 2011 erscheinen die militärischen Kräfte des Regimes empfindlich geschwächt. Zum erstenmal erscheint den Rebellengruppen ein Sieg nicht mehr als Illusion.
Nach zwei Jahren in der Defensive erzielten Assads militante Gegner innerhalb der vergangenen sechs Wochen dramaqtische, strategisch wichtige Geländegewinne in Süd- und Nord-Syrien. Sie brachten fast die gesamte Provinz Idlib unter ihre Kontrolle, darunter auch den einzigen Grenzübergang zu Jordanien und die strategisch wichtige Stadt Jisr al Shughour, von der aus sie einen Angriff auf Assads Küstenhochburg um Latakia starten könnten.
Nie zuvor – so Militärexperten – hätten Syriens untereinander zerstrittene und mangels westlicher Hilfe demoralisierte Rebellen derart gute strategische Planung und Koordination bewiesen wie in den vergangenen Wochen. Das bedrängte Regime reagierte mit äußerster Brutalität, mit Hunderten Luftangriffen, gezielten Attacken gegen Krankenhäuser, Schulen, Märkten und Moscheen, mit dem Einsatz von Fassbomben und Chlorgas in Idlib, Hama und Aleppo. Rebellenführer sind überzeugt, dass eine neue, für Assad kritische Phase in diesem Krieg begonnen habe.
 Anstoß zu dieser noch vor drei Monaten unvorstellbaren Entwicklung gab der Wechsel an der Spitze des saudischen Herrscherhauses im Januar. Der neue König Salman ist weit entschlossener als sein Vorgänger, dem strategischen Rivalen in der Region und Assads wichtigster Schutzmacht Iran gewaltsam Grenzen zu setzen. So begrub Riad seine langjährigen Differenzen mit Katar, das rivalisieren Islamistengruppen in Syrien unterstützt hatte, um gemeinsam mit der Türkei  auf einen militärischen Sieg gegen Assad hinzuarbeiten. Einheit unter den Rebellen ist dabei entscheidende Voraussetzung. Assad hatte jahrelang geschickt interne Streitigkeiten zur Schwächung seiner Gegner genutzt. So schlossen sich nun diverse kleinere Rebellengruppen, darunter die vom Westen unterstützte „Freie Syrische Armee“, unter Führung der mit Al-Kaida verbündeten „Nusra“-Front und der Islamisten der „Ahrar el Shams“ zur „Jaish al Fata“ (Armee der Eroberung“) zusammen, schoben ihre teils gravierenden ideologischen Differenzen vorerst beiseite, um sich voll auf den Sturz Assads zu konzentrieren. Kurzfristig gewinnen sie durch derartige Koordination die Chance auf weitere militärische Erfolge. Diplomaten in der Region halten vor diesem Hintergrund einen „militärischen Zusammenbruch des Regimes für nicht mehr unmöglich“.
US-Regierungskreise hingegen sehen die jüngsten Etappensiege der Rebellen als nichts anderes als eine von vielen kurzfristigen Veränderungen in diesem Krieg, der mehr als 200.000 Menschen tötete und zehn Millionen in die Flucht trieb.
Tatsächlich dürfte Assads Ende noch in beträchtlicher Ferne liegen. Der Diktator kontrolliert immerhin noch zwei Drittel des Landes, die Hälfte der einstigen Wirtschaftsmetropole Aleppo, und alle anderen größeren Städte . Seine wichtigste strategische Überlegenheit ist der Besitz der Luftwaffe und eines zentralen Kommandos. Dennoch hat seine Armee seit Dezember hohe Verluste erlitten. Desertionen nehmen zu und immer mehr junge Syrer, zunehmend auch Angehörige von Assads alawitischer Minderheit, weigern sich für das Regime zu kämpfen. Die Militärführung ist mit wachsenden Rekrutierungsproblemen konfrontiert.
Nach Schätzungen von Geheimdiensten hat sich die Zahl der Regierungssoldaten und für Assad kämpfenden Milizionären seit Beginn des Krieges halbiert. Zunehmend wehren sich selbst regimetreue Alewiten-Familien dagegen, dass ihre Söhne zum Kampf in Regionen geschickt werden, die nicht mehr zu den Kerngebieten des Regimes zählen. So ist die Armee, wie sich u.a. in Idlib gezeigt hat, nicht mehr in der Lage erfolgreiche Militäroperationen außerhalb dieser Kerngebiete zu führen. Als noch einschneidender dürfte sich eine zunehmende Zersplitterung der für Assad kämpfenden Kräfte erweisen, die ihre Aktivitäten immer weniger miteinander koordinieren und mehr und mehr Eigeninteressen verfolgen.  Immer häufiger kommt es auch zu Reibereien zwischen Regierungssoldaten und schiitischen Milizionären aus dem Irak und dem Libanon.
Zudem haben sich viele irakische Schiitenkämpfer, die gemeinsam mit Hisbollah im Auftrag des Irans Assad wiederholt zu Etappensiegen gegen die Rebellen verholfen hatten, jüngst wieder in den Irak zurückgezogen, um sich dort dem Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ anzuschließen.
Nach Einschätzung von Militärexperten hat Assad offenbar die Rückeroberung ganz Syriens selbst als mittelfristiges Ziel aufgegeben und konzentriert sich auf  die totale Kontrolle über Damaskus und die Küstenregionen um Latakia – die Heimatregion der Alewiten – sowie eines Korridors, der die beiden Kerngebiete verbindet. Selbst der Iran könnte sich mit einer solchen Lösung begnügen, geht es ihm im Falle Syriens doch primär um den Zugang zur libanesischen Hisbollah bis zur israelischen Grenze. Der Fall von Außenposten wie Idlib und der anderen jüngst von den Rebellen eroberten Gebiete ist damit für Assad durchaus verkraftbar. Deshalb wollen führende Mitglieder der neuen Rebellen-Allianz als nächstes den Diktator in Latakia – weit schmerzlicher – treffen.
Die weitere Entwicklung in diesem grauenvollen Abnützungskrieg hängt entscheidend vom Engagement der äußeren Kräfte ab – Iran und Russland auf der einen, Türkei, Saudi-Arabien und Katar, sowie dem Westen auf der anderen Seite. Der Kreml rückt vorsichtig von Assad ab, während auch ein weiteres  Engagement des Irans in der bisher enorm kostenaufwendigen Form  keineswegs garantiert ist. Nichts aber deutet darauf hin, dass die Erzrivalen des Irans in der Region - Türkei, Saudi-Arabien und Katar – von ihrer verstärkten Entschlossenheit zum militärischen Sturz Assads abrücken könnten, gleichgültig, ob sie für ihre neugegründete Einheitsfront größere Unterstützung des Westens, insbesondere der USA gewinnen.
 

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