Neue Einigkeit der Rebellen und ihrer Förderer könnte nach vier
Jahren einen entscheidenden Wandel in Syriens blutigem Kräftemessen
einleiten
von Birgit Cerha
„Ich glaube, wir werden das Ende des Assad-Regimes erleben.“ Der
prominente saudische Journalist Jamal Khashoggi ist überzeugt, dass der
„Tag danach nahe ist“. Tatsächlich lassen so manche Entwicklungen einen
Wandel in einem ungeheuer brutalen Abnützungskrieg erkennen. Zum
erstenmal seit Beginn der Rebellion gegen Diktator Bashar el Assad 2011
erscheinen die militärischen Kräfte des Regimes empfindlich geschwächt.
Zum erstenmal erscheint den Rebellengruppen ein Sieg nicht mehr als
Illusion.
Nach zwei Jahren in der Defensive erzielten Assads militante Gegner
innerhalb der vergangenen sechs Wochen dramaqtische, strategisch
wichtige Geländegewinne in Süd- und Nord-Syrien. Sie brachten fast die
gesamte Provinz Idlib unter ihre Kontrolle, darunter auch den einzigen
Grenzübergang zu Jordanien und die strategisch wichtige Stadt Jisr al
Shughour, von der aus sie einen Angriff auf Assads Küstenhochburg um
Latakia starten könnten.
Nie zuvor – so Militärexperten – hätten Syriens untereinander
zerstrittene und mangels westlicher Hilfe demoralisierte Rebellen derart
gute strategische Planung und Koordination bewiesen wie in den
vergangenen Wochen. Das bedrängte Regime reagierte mit äußerster
Brutalität, mit Hunderten Luftangriffen, gezielten Attacken gegen
Krankenhäuser, Schulen, Märkten und Moscheen, mit dem Einsatz von
Fassbomben und Chlorgas in Idlib, Hama und Aleppo. Rebellenführer sind
überzeugt, dass eine neue, für Assad kritische Phase in diesem Krieg
begonnen habe.
Anstoß zu dieser noch vor drei Monaten unvorstellbaren Entwicklung
gab der Wechsel an der Spitze des saudischen Herrscherhauses im Januar.
Der neue König Salman ist weit entschlossener als sein Vorgänger, dem
strategischen Rivalen in der Region und Assads wichtigster Schutzmacht
Iran gewaltsam Grenzen zu setzen. So begrub Riad seine langjährigen
Differenzen mit Katar, das rivalisieren Islamistengruppen in Syrien
unterstützt hatte, um gemeinsam mit der Türkei auf einen militärischen
Sieg gegen Assad hinzuarbeiten. Einheit unter den Rebellen ist dabei
entscheidende Voraussetzung. Assad hatte jahrelang geschickt interne
Streitigkeiten zur Schwächung seiner Gegner genutzt. So schlossen sich
nun diverse kleinere Rebellengruppen, darunter die vom Westen
unterstützte „Freie Syrische Armee“, unter Führung der mit Al-Kaida
verbündeten „Nusra“-Front und der Islamisten der „Ahrar el Shams“ zur
„Jaish al Fata“ (Armee der Eroberung“) zusammen, schoben ihre teils
gravierenden ideologischen Differenzen vorerst beiseite, um sich voll
auf den Sturz Assads zu konzentrieren. Kurzfristig gewinnen sie durch
derartige Koordination die Chance auf weitere militärische Erfolge.
Diplomaten in der Region halten vor diesem Hintergrund einen
„militärischen Zusammenbruch des Regimes für nicht mehr unmöglich“.
US-Regierungskreise hingegen sehen die jüngsten Etappensiege der
Rebellen als nichts anderes als eine von vielen kurzfristigen
Veränderungen in diesem Krieg, der mehr als 200.000 Menschen tötete und
zehn Millionen in die Flucht trieb.
Tatsächlich dürfte Assads Ende noch in beträchtlicher Ferne liegen.
Der Diktator kontrolliert immerhin noch zwei Drittel des Landes, die
Hälfte der einstigen Wirtschaftsmetropole Aleppo, und alle anderen
größeren Städte . Seine wichtigste strategische Überlegenheit ist der
Besitz der Luftwaffe und eines zentralen Kommandos. Dennoch hat seine
Armee seit Dezember hohe Verluste erlitten. Desertionen nehmen zu und
immer mehr junge Syrer, zunehmend auch Angehörige von Assads
alawitischer Minderheit, weigern sich für das Regime zu kämpfen. Die
Militärführung ist mit wachsenden Rekrutierungsproblemen konfrontiert.
Nach Schätzungen von Geheimdiensten hat sich die Zahl der
Regierungssoldaten und für Assad kämpfenden Milizionären seit Beginn des
Krieges halbiert. Zunehmend wehren sich selbst regimetreue
Alewiten-Familien dagegen, dass ihre Söhne zum Kampf in Regionen
geschickt werden, die nicht mehr zu den Kerngebieten des Regimes zählen.
So ist die Armee, wie sich u.a. in Idlib gezeigt hat, nicht mehr in der
Lage erfolgreiche Militäroperationen außerhalb dieser Kerngebiete zu
führen. Als noch einschneidender dürfte sich eine zunehmende
Zersplitterung der für Assad kämpfenden Kräfte erweisen, die ihre
Aktivitäten immer weniger miteinander koordinieren und mehr und mehr
Eigeninteressen verfolgen. Immer häufiger kommt es auch zu Reibereien
zwischen Regierungssoldaten und schiitischen Milizionären aus dem Irak
und dem Libanon.
Zudem haben sich viele irakische Schiitenkämpfer, die gemeinsam mit
Hisbollah im Auftrag des Irans Assad wiederholt zu Etappensiegen gegen
die Rebellen verholfen hatten, jüngst wieder in den Irak zurückgezogen,
um sich dort dem Kampf gegen die Terrormiliz des „Islamischen Staates“
anzuschließen.
Nach Einschätzung von Militärexperten hat Assad offenbar die
Rückeroberung ganz Syriens selbst als mittelfristiges Ziel aufgegeben
und konzentriert sich auf die totale Kontrolle über Damaskus und die
Küstenregionen um Latakia – die Heimatregion der Alewiten – sowie eines
Korridors, der die beiden Kerngebiete verbindet. Selbst der Iran könnte
sich mit einer solchen Lösung begnügen, geht es ihm im Falle Syriens
doch primär um den Zugang zur libanesischen Hisbollah bis zur
israelischen Grenze. Der Fall von Außenposten wie Idlib und der anderen
jüngst von den Rebellen eroberten Gebiete ist damit für Assad durchaus
verkraftbar. Deshalb wollen führende Mitglieder der neuen
Rebellen-Allianz als nächstes den Diktator in Latakia – weit
schmerzlicher – treffen.
Die weitere Entwicklung in diesem grauenvollen Abnützungskrieg
hängt entscheidend vom Engagement der äußeren Kräfte ab – Iran und
Russland auf der einen, Türkei, Saudi-Arabien und Katar, sowie dem
Westen auf der anderen Seite. Der Kreml rückt vorsichtig von Assad ab,
während auch ein weiteres Engagement des Irans in der bisher enorm
kostenaufwendigen Form keineswegs garantiert ist. Nichts aber deutet
darauf hin, dass die Erzrivalen des Irans in der Region - Türkei,
Saudi-Arabien und Katar – von ihrer verstärkten Entschlossenheit zum
militärischen Sturz Assads abrücken könnten, gleichgültig, ob sie für
ihre neugegründete Einheitsfront größere Unterstützung des Westens,
insbesondere der USA gewinnen.
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