Wie das boomende Waffengeschäft Konflikte entfacht und eine ohnedies instabile Region vollends aus dem Gleichgewicht bringt – „Krieg ist gut für das Geschäft“
Birgit Cerha
Ägypten massiere Bodentruppen und seine Luftwaffe an der Grenze zu Libyen. Ziel sei die militärische Eroberung Ost-Libyens, das die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) unter ihre Kontrolle gebracht hatte. Der Nahe Osten, so alarmiert das israelische Militärportal „DEBKAfile“, stehe am Rande seines vierten Krieges, nach Syrien, Irak und dem Jemen. Eine Frohbotschaft für die internationale Waffenindustrie.
Schon lange boten sich der Mittlere Osten und Nord-Afrika mit ihren diversen, manchmal zur selben Zeit tobenden Kriegen Waffenproduzenten und –händlern weltweit als lukrativste Märkte an. Doch nun erreicht der Durst arabischer Potentaten nach immer mehr Tötungsgerät einen Höhepunkt nach dem anderen. Er erscheint schier unstillbar. Der Arabische Frühling, Stellvertreterkriege zwischen arabisch-sunnitischen Staaten und dem Iran, der gewaltsamen Aufstieg radikaler Jihadisten steigern in der gesamten Region existentielle Ängste. Diese Phänomene entspringen zu einem großen Teil der seit Jahrzehnten praktizierten Politik der Repression und werden bis heute weitgehend mit denselben Methoden bekämpft: Unterdrückung durch militärische Macht und nicht Liberalisierung, Reformen, Achtung von Menschenrechten. So boomt die Rüstungsindustrie wie schon lange nicht mehr, denn – so der amerikanische Rüstungsexperte und Friedensforscher William Hartung – „Krieg ist gut für das Geschäft jener, die mit Krieg Geschäfte machen.“ Ebenso „gut“ ist die Angst.
Laut Experten werden Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate (VAE), Algerien, Ägypten und der Irak allein in diesem Jahr Waffen für 18 Mrd. Dollar kaufen, um sechs Mrd. Dollar mehr als 2014. Zu den bestellten Systemen zählen Kampfjets, Raketen, Panzerfahrzeuge, Drohnen und Helikopter. Und noch mehr Milliarden-Aufträge werden erwartet. Hauptlieferanten sind die USA, die den Nahen Osten mit etwa der Hälfte aller Waffenimporte versorgen, gefolgt von Russland und Großbritannien. Zwei Drittel der amerikanischen Waffenexporte flossen in den vergangenen Jahren in die arabische Golfregion, deren Waffenkäufe im Westen binnen fünf Jahren um 71 Prozent in die Höhe schnellten. Allein Saudi-Arabien kaufte zwischen 2010 und 2014 Rüstungsgüter für 90 Mrd. Dollar. Das Königreich wetteifert mit Indien um den weltweit ersten Platz der Waffenimporteure.
Auch die VAE sind entschlossen, trotz niedriger Ölerträge der Modernisierung ihrer Waffenarsenale allerhöchste Priorität einzuräumen. 23 Mrd. Dollar ließen sie sich dies im Vorjahr kosten, mehr als dreimal so viel wie 2006. So sind die Emirate mit ihren etwa fünf Millionen Einwohnern heute der weltweit viertgrößte Waffenimporteur.
„Gerade jene Staaten“, klagt der arabische Analyst Sharif Nashashibi, die lautstark „regionale Konflikte beklagen – die USA, Russland, China und europäische Länder – heizen sie an und erhalten sie aufrecht, indem sie enthusiastisch Waffen für Milliarden von Dollar an Kriegsparteien liefern.“ Eindrucksvoll hatten die Amerikaner, aber auch europäische Staaten dies während des achtjährigen Iran-Irak-Krieges (1980-88) bewiesen, als sie jahrelang beide Kriegsparteien mit Rüstungsgütern versorgten. Heute vermag die amerikanische Rüstungsindustrie von Präsident Obama verkündete Einsparungen des Verteidigungsbudgets durch gesteigerte Exporte in den Mittleren Osten auszugleichen.
Friedensaktivisten beklagen, dass Regierungen der Produzentenländer Waffenexporte stets als interne ökonomische Frage zur Förderung der heimischen Industrie behandelten und dabei regionalpolitische und humanitäre Auswirkungen dieser Geschäfte vernachlässigten. Eines von vielen Beispielen ist Bahrain. Die Briten verkündeten im Januar, die Eröffnung der ersten britische Marinebasis „Östlich von Suez“ seit 1971 in dieser kleinen Golfmonarchie, mit der sie zugleich ein richtungsweisendes Übereinkommen schlossen. Bahrain soll London künftig als strategischer Vorposten im Nahen Osten dienen. Starke Proteste in der Bevölkerung wurden dabei ebenso ignoriert, wie verschärfte Repressionen und Menschenrechtsverletzungen. Ein neues Gesetz sieht sieben Jahre Haft für „Beleidigung“ des Königs vor und ein prominenter Menschenrechtsaktivist wurde zu einer dreijährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er ein Foto des Königs zerrissen hatte. London, so klagen humanitäre Organisationen, schließt nicht nur die Augen vor der Unterdrückung durch das Königshaus, sondern unterstützt mit solchen Verträgen aktiv ein repressives Regime.
Tatsächlich sind es ja die Autokraten der Region, die von den meisten aktuellen Waffengeschäften profitieren. Damit rückt ein friedlicher, demokratischer Naher Osten in immer weitere Ferne. Zugleich heizen die westlichen Exporte, überwiegend an sunnitische Golfstaaten, einen gefährlichen Rüstungswettlauf an. So kündigte Russlands Präsident Putin Mitte April die Lieferung von S-300 Luftabwehrraketen an den Iran an, die der Kreml 2010 blockiert hatte. Kurz zuvor hatte US-Außenminister Kerry den Golfstaaten „Beistand“ (durch noch mehr Waffen) versprochen, sollte der Iran die Region destabilisieren. Amerikanischer Altruismus? Neben ökonomischen Profiten garantieren Waffenexporte vor allem auch längerfristig politischen Einfluss auf die Empfängerländer. Diese Motivation bewog denn auch Obama im März den wegen des Militärputsches gegen den demokratische gewählten Präsidenten Mursi 2013 verhängten teilweisen Stopp von Waffenlieferungen an Ägypten wieder aufzuheben, wiewohl Repressionen politischer Gegner des Regimes unvermindert anhalten. Zuvor hatte sich Präsident Sisi auch in Moskau nach neuen Waffen umgesehen. Die Wiederbelebung der militärischen Allianz mit den USA stärkt Sisi in seiner Entschlossenheit, Ägypten wieder zu seiner führenden Stellung in der Region zu verhelfen und dies durch einen neuen Militarismus. So engagiert sich der neue Diktator am Nil gemeinsam mit Saudi-Arabien für die Gründung einer panarabischen Eingreiftruppe, deren Vorreiter in den vergangenen Wochen im Jemen 2000 Lufteinsätze gegen die Houthi-Rebellen flog und den Luftkrieg einer arabischen Allianz unter Führung Saudi-Arabiens mit amerikanischen und britischen Jets trotz katastrophaler humanitärer Folgen für das bitterarme Land weiter fortsetzt. Schon lässt Sisi erkennen, dass das Mandat dieser Allianz auch ausgeweitet werden könnte.
Analysten alarmiert der neue Trend arabischer Potentaten, die teuren Kriegsgeräte nicht wie bisher nur als „kostbare Spielzeuge“ in ihren Arsenalen zu bewundern, sondern tatsächlich auch einzusetzen, zutiefst. Denn die Ziele der „arabischen NATO“ aus sunnitischen Arabern sind nicht Demokratie oder Schutz der Menschenrechte, wiewohl sie sich., wie etwa im Falle Libyens, durchaus gegen Gefahr durch den radikalen Terror des „IS“ und deren Sympathisanten richten. Primär aber geht es den Geburtshelfern dieser Eingreiftruppe darum, in einem sich ausweitenden Stellvertreterkrieg zwischen Saudi-Arabien und dem Iran eine neue schlagkräftige Einsatzkraft zu schaffen.
„Der Aufstieg militärischer Koalitionen“ arabischer Länder beunruhigt Sicherheitsexperten wie Omar Ashour von der Universität Exeter. Es sei höchst unwahrscheinlich, dass sie zur Stabiltität beitragen würden. „Im Moment richten sich (militärische) Interventionen gegen weiche Ziele – Saudi-Arabien attackiert Guerillas im Jemen; Ägypten (islamistische) Beduinen im Sinai oder Milizen in Libyen. Aber wenn weiche Ziele hart angegriffen werden, bleiben sie nicht mehr weich. Sie werden ihre eigenen Schutzmächte und Stellvertreter finden und hart zurückschlagen. „ Ein Teufelskreis der Gewalt ist unvermeidlich.“
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