Freitag, 15. Mai 2015

IS-Chef Baghdadi: “Ich bin wieder da”

Können Tod oder Verletzung der Führer des „Islamischen Staates“ die Terrormiliz entscheidend schwächen?
 
von Birgit Cerha
 
Seit vielen Wochen fehlte jedes Lebenszeichen von Abu Bakr al-Baghdadi.  Hat ein Luftschlag der von den USA geführten Koalition am 18. März den selbsternannte „Kalif“  des „Islamischen Staates“ (IS) so schwer verletzt, dass er, wie der britische „Guardian“ berichtete, nicht länger die Terrormiliz führen kann?  Eine Donnerstag verbreitete Audiobotschaft Baghdadis soll nun klarstellen: „Ich bin wieder da“. In aggressivem Ton rief Baghdadi alle Muslime weltweit auf, ins „Kalifat“ einzuwandern und sich dem Kampf anzuschließen „oder in ihren Ländern, wo immer diese sind, zu kämpfen“.
Die Botschaft kommt nur kurz nach einem Bericht des irakischen Verteidigungsministeriums, dass Baghdadis „rechte Hand“, Abu Alaa al-Afari, bei einem US-Luftschlag im Irak getötet worden sei. Afari soll nach Baghdadis Verletzung vorübergehend mit der Führung des IS betraut worden sein. Sowohl Zeitpunkt, als auch Inhalt und Ton von Baghdadis Botschaft lassen auf beträchtliche Nervosität in IS-Führungskreisen schließen, zumal der Kampf der Terrormiliz jüngst im Irak und in Syrien an Schwung verloren hat. Die USA hatten vor wenigen Tagen auf Al-Afari und drei andere ranghohe IS-Anführer Kopfgelder in Höhe von mehreren Millionen Dollar ausgesetzt, eine Taktik, die Konkurrenzkämpfe zwischen führenden IS-Mitgliedern verschärfen und den Zusammenhalt des IS empfindlich schwächen könnten. Schon zuvor hatte Washington angekündigt, Informationen, die zum Tod oder der Festnahme von Al-Baghdadi führen,  mit zehn Mio.Dollar zu belohnen.
Dennoch: Berichte über Anzeichen einer schweren Führungskrise oder eines beginnenden Niedergangs des IS dürften mehr Wunschdenken denn Realität entsprechen. Militärisch hat die Terrormiliz im Irak Verluste an die irakischen Regierungstruppen und Schiitenmilizen erlitten und in Syrien an ihren islamistischen Rivalen Al-Nusra. Doch seit Wochen gelingt es der irakischen Armee nicht, massive Angriffe auf die größte Raffinerie  Baiji endgültig abzuwehren. In Syrien rückt der IS auf die weltberühmte Kulturstätte Palmyra vor, ist also weiterhin der Lage in beiden Ländern gleichzeitig Militäroffensiven zu führen.
Berichte über Tod und Verwundung von Afari und Baghdadi werfen die Frage auf, ob der IS den Verlust seiner wichtigsten Führer überleben kann. Nach Einschätzung des privaten US-Geheimdienstes „Stratfor“ ist die Organisation unterdessen sehr groß und weitverzweigt, sowie stark institutionalisiert. Sie verfügt über zahlreiche „arbeitslose Kräfte“, die einspringen können  und praktiziert eine weitgehende Arbeitsteilung. Zudem haben die irakischen Islamisten jahrelange Erfahrung gesammelt, wie die Terrororganisation  die Tötung ihrer Führer verkraften kann. Baghdadi hatte den Voräufer des IS, die Al-Kaida im Irak, zu neuer Stärke aufgebaut, nachdem deren Chef, Abu Musab al-Zarkawi 2010 in einer US-Luftattacke getötet worden war. Der IS ist heute nach Einschätzung von Experten durchaus in der Lage auch nach Ausschaltung seiner Führung die organisatorische Struktur autonom weiterzuführen. Zudem hat Baghdadi ein dichtgeflochtenes Netzwerk aufgebaut, das die Organisation extrem widerstandsfähig macht.  IS gehörenviele Salafistenführer an, die jederzeit die organisatorische Leitung übernehmen können, und die wichtigsten Militärführer haben bisher den Krieg überstanden.
Dennoch wäre ein Ausscheiden Baghdadis von symbolischer und psychologischer Bedeutung.  Der selbsternannte „Kalif“ hat sich als äußerst geschickter und anpassungsfähiger Führer erwiesen, der die irakische Al-Kaida-„Tochter“ zu dem heutegefährlichsten Terrornetzwerk aufbaute. „Ohne ihm“, so ein Experte, „müßte sich IS neu erfinden“. Doch unter ihm lernte IS die Kunst rascher Anpassung an neue Gegebenheiten und Abwehr neuer Gefahren.

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