Können Tod oder Verletzung der Führer des „Islamischen Staates“ die Terrormiliz entscheidend schwächen?
von Birgit Cerha
Seit vielen Wochen fehlte jedes Lebenszeichen von Abu Bakr al-Baghdadi. Hat ein Luftschlag der von den USA geführten Koalition am 18. März den selbsternannte „Kalif“ des
„Islamischen Staates“ (IS) so schwer verletzt, dass er, wie der
britische „Guardian“ berichtete, nicht länger die Terrormiliz führen
kann? Eine Donnerstag verbreitete
Audiobotschaft Baghdadis soll nun klarstellen: „Ich bin wieder da“. In
aggressivem Ton rief Baghdadi alle Muslime weltweit auf, ins „Kalifat“
einzuwandern und sich dem Kampf anzuschließen „oder in ihren Ländern, wo
immer diese sind, zu kämpfen“.
Die
Botschaft kommt nur kurz nach einem Bericht des irakischen
Verteidigungsministeriums, dass Baghdadis „rechte Hand“, Abu Alaa
al-Afari, bei einem US-Luftschlag im Irak getötet worden sei. Afari soll
nach Baghdadis Verletzung vorübergehend mit der Führung des IS betraut
worden sein. Sowohl Zeitpunkt, als auch Inhalt und Ton von Baghdadis
Botschaft lassen auf beträchtliche Nervosität in IS-Führungskreisen
schließen, zumal der Kampf der Terrormiliz jüngst im Irak und in Syrien
an Schwung verloren hat. Die USA hatten vor wenigen Tagen auf Al-Afari
und drei andere ranghohe IS-Anführer Kopfgelder in Höhe von mehreren
Millionen Dollar ausgesetzt, eine Taktik, die Konkurrenzkämpfe zwischen
führenden IS-Mitgliedern verschärfen und den Zusammenhalt des IS
empfindlich schwächen könnten. Schon zuvor hatte Washington angekündigt,
Informationen, die zum Tod oder der Festnahme von Al-Baghdadi führen, mit zehn Mio.Dollar zu belohnen.
Dennoch:
Berichte über Anzeichen einer schweren Führungskrise oder eines
beginnenden Niedergangs des IS dürften mehr Wunschdenken denn Realität
entsprechen. Militärisch hat die Terrormiliz im Irak Verluste an die
irakischen Regierungstruppen und Schiitenmilizen erlitten und in Syrien
an ihren islamistischen Rivalen Al-Nusra. Doch seit Wochen gelingt es
der irakischen Armee nicht, massive Angriffe auf die größte Raffinerie Baiji
endgültig abzuwehren. In Syrien rückt der IS auf die weltberühmte
Kulturstätte Palmyra vor, ist also weiterhin der Lage in beiden Ländern
gleichzeitig Militäroffensiven zu führen.
Berichte
über Tod und Verwundung von Afari und Baghdadi werfen die Frage auf, ob
der IS den Verlust seiner wichtigsten Führer überleben kann. Nach
Einschätzung des privaten US-Geheimdienstes „Stratfor“ ist die
Organisation unterdessen sehr groß und weitverzweigt, sowie stark
institutionalisiert. Sie verfügt über zahlreiche „arbeitslose Kräfte“,
die einspringen können und
praktiziert eine weitgehende Arbeitsteilung. Zudem haben die irakischen
Islamisten jahrelange Erfahrung gesammelt, wie die Terrororganisation die
Tötung ihrer Führer verkraften kann. Baghdadi hatte den Voräufer des
IS, die Al-Kaida im Irak, zu neuer Stärke aufgebaut, nachdem deren Chef,
Abu Musab al-Zarkawi 2010 in einer US-Luftattacke getötet worden war.
Der IS ist heute nach Einschätzung von Experten durchaus in der Lage
auch nach Ausschaltung seiner Führung die organisatorische Struktur
autonom weiterzuführen. Zudem hat Baghdadi ein dichtgeflochtenes
Netzwerk aufgebaut, das die Organisation extrem widerstandsfähig macht. IS
gehörenviele Salafistenführer an, die jederzeit die organisatorische
Leitung übernehmen können, und die wichtigsten Militärführer haben
bisher den Krieg überstanden.
Dennoch wäre ein Ausscheiden Baghdadis von symbolischer und psychologischer Bedeutung. Der
selbsternannte „Kalif“ hat sich als äußerst geschickter und
anpassungsfähiger Führer erwiesen, der die irakische Al-Kaida-„Tochter“
zu dem heutegefährlichsten Terrornetzwerk aufbaute. „Ohne ihm“, so ein
Experte, „müßte sich IS neu erfinden“. Doch unter ihm lernte IS die
Kunst rascher Anpassung an neue Gegebenheiten und Abwehr neuer Gefahren.
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