Montag, 25. Mai 2015

Teherans riskante Strategie gegen den IS im Irak

Schiitenmilizen rüsten sich zur Rückeroberung Ramadis  und versetzen damit die Sunniten in der Region in Panik – Ist der IS das „kleinere Übel“?
 
von Birgit Cerha
 
„Innerhalb von Tagen“, beteuert Iraks Premier Abadi gegenüber der BBC, würden die irakischen Streitkräfte Ramadi, die am 17. April von der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) eroberte Hauptstadt der überwiegend von arabischen Sunniten bewohnten West-Provinz Anbar, zurückgewinnen. Empört weist Abadi den Vorwurf des US-Verteidigungsministers Ashton Carter zurück, dass die irakischen Regierungssoldaten nicht kampfwillig seien. Vielmehr habe die „Schock-Strategie“ der nur 200 IS-Kämpfer, die mit Sprengstoff beladenen Lkws in die Stadt eingezogen waren, die Verteidiger in die Flucht getrieben. Nachdem die 2000 Mann starke Polizeieinheit rasch und kampflos ihre Positionen aufgegeben hatte, brach die gesamte Verteidigung zusammen. Die Elite-Einheit der Armee, „Goldene Brigaden“ flüchtete ebenso, wie die tausend Mann starke Truppe sunnitischer Stämme. Sie überließen für die Verteidigung Ramadis entscheidende, von den USA gelieferte Panzer und schwere Waffen dem IS.
Der dem Fall Ramadis unmittelbar folgende offizielle Besuch des iranischen Verteidigungsministers in Bagdad, der dort erstmals offen die Koordination einer Gegenoffensive schiitischer Milizen der  „Volks-Mobilisierungs-Truppen“ (VMT)  übernahm, gibt dem Krieg gegen den IS im Irak eine neue – durchaus nicht ungefährliche – Richtung. Erstmals zeigt sich auch der zunehmend bedrängte Premier Abadi bereit, die Führung einer Gegenoffensive gegen den IS vom Iran gelenkten Schiitenmilizen zu überlassen.  Der Verlust Ramadis und damit fast der gesamten Provinz Anbar ist für Abadi und  vor allem auch für die USA eine so schwere Schlappe, dass sie sich nun gezwungen fühlen, den Einsatz der Schiiten unter Führung des iranischen Meisterstrategen, Generalmajor der „Quds-Brigaden“ der iranischen Revolutionsgarden, Qasem Suleimani, zu akzeptieren.
Unter Suleimanis Anleitung hatte die VMT, der auch einige wenige Sunniten angehören,  im April die strategisch wichtige Sunniten-Stadt Tikrit vom IS zurückerobert. Doch brutale Racheakte und Massenmorde durch siegreiche VMT-Kämpfer steigerten die Ängste der Sunniten vor den fanatischen Milizionären, die schon in der Vergangenheit  schwere  Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen hatten. Ausschlaggebend für einen erfolgreichen Kampf gegen den IS ist die volle Einbindung der jahrelang schwer diskriminierten arabischen Sunniten in den von Schiiten in Bagdad dominierten politischen Prozess, eine Strategie, zu der die USA Abadi intensiv – doch bisher ohne Erfolg –  drängen. Vielmehr konnten starke radikale Schiitengruppen in Bagdad ihre Position durchsetzen: Eine von den USA geforderte Bewaffnung sunnitischer Stämme für den Kampf gegen den IS wäre ein gravierender Fehler. Der IS bedrohe nicht die von schiitischen Milizen geschützten Schiitenregionen des Iraks. Hingegen könnten stark bewaffnete Sunniten-Stämme längerfristig die Macht der Schiiten gefährden. So appellierten vom IS bedrängte sunnitische Stämme unzählige Male vergeblich an Abadi endlich die von ihm und den USA versprochenen Waffen zu liefern.
Der Fall von Ramadi verstärkt dramatisch die Gefühle der Sunniten, Bagdad, aber auch die USA ließen sie kläglich im Stich. Zugleich aber gerät auch Abadi zunehmend in die Schusslinie radikaler Schiitengruppen, die ihm die Schuld am Verlust von Ramadi zuschieben, da er sie so beharrlich an der Verteidigung der Stadt gehindert hatte. Die Entwicklungen geben der These Nahrung, Ramadi sei ein Opfer eines vom Iran gesteuerten Komplotts. Danach sollte der Fall der Stadt Abadi und seine amerikanischen Verbündeten in Schock versetzen, dass sie ihren Widerstand gegen ein offenes Militärengagement des Irans und der mit ihm verbündeten schiitischen Milizen aufgeben. Immerhin dominieren in der aus Ramadi so rasch geflüchteten Polizeieinheit radikale pro-iranische Schiiten, die zudem dem von Schiiten geführten Innenministerium unterstehen. Folgten sie Suleimanis Anordnung?  Jedenfalls kann Teheran nun seinen Einfluss im Irak entscheidend ausbauen. Schon seit Monaten haben die Iraner Zug um Zug Bodentruppen für den Kampf gegen den IS eingeschleust und sind tatsächlich in der Lage, der Terrormiliz empfindliche Niederlagen zuzufügen.
Dennoch könnte sich diese Strategie als Bumerang erweisen. Die Angst vor den radikalen Schiitenmilizen, die wegen echter oder vermeintlicher Kollaboration mit dem IS brutale Racheakte verüben würden, droht viele Sunniten in die Arme der Terrormiliz zu treiben. Zudem empfinden die meisten Sunniten die zunehmende Dominanz des schiitischen Irans als Alptraum. Ja selbst nationalistisch orientierte Schiitengruppen, wie jene höchst einflussreiche des Geistlichen Muqtada Sadr, lehnen den wachsenden Einfluss Teherans entschieden ab. In diesem Hickhack triumphiert der IS.

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