Die Farce eines politischen Schauprozesses soll die soll die größte
politische Bewegung endgültig vernichten - Justiz wird zum
Vollstrecker der neuen Diktatur
von Birgit Cerha
„Eine Farce“, die auf einem ungültigen Verfahren“ beruhe und die
Menschenrechte „total“ missachte: Das Urteil von Amnesty International
über den Prozess gegen den ersten und einzigen freigewählten Präsidenten
in der Geschichte Ägyptens könnte nicht schärfer sein. Ein Kairoer
Gericht hatte Samstag den 2013 in einem vom Militär unter dem heutigen
Präsidenten Sisi inszenierten Putsch gestürzten Präsidenten Mursi mit
105 anderen, teils prominenten Mitgliedern der Moslembruderschaft (MB)
zum Tode verurteilt. Der Entscheid, der nun der höchsten sunnitischen
Autorität, dem Mufti Ägyptens, zu einer nicht bindenden Begutachtung
vorgelegt wird, kam nicht überraschend. Er löste dennoch in der
demokratischen Welt Empörung und tiefe Sorge um die Zukunft Ägyptens
aus.
Von „Hohn auf die Rechtstaatlichkeit“ ist die Rede. Zurecht. Das
Gericht fand Mursi für schuldig, zu Beginn der Rebellion gegen seinen
Vorgänger, Präsident Mubarak, im Januar 2011 gemeinsam mit der
palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah einen Ausbruch
aus einem Gefängnis organisiert zu haben, in dem er nach den damals
geltenden Notstandsgesetzen eingesessen hatte. Die Aufhebung dieser
Gesetze zählte zu den zentralen Forderungen der ursprünglich überwiegend
laizistischen und liberalen Revolutionsführer. Schon bevor Mursi und
seine Mitangeklagten den Gerichtssaal betraten sei die Fairness des
gesamten Verfahrens untergraben worden, klagt Amnesty. Verteidiger
berichten, sie hätten es aus Angst um deren Sicherheit nicht gewagt
Zeugen zur Entlastung der Angeklagten zu präsentieren. Auch die
Tatsache, dass einige der in Abwesenheit verurteilten Palästinenser
schon seit Jahren tot sind, spricht Bände über die Vorgangsweise der
Justiz.
Dennoch begrüßten viele Ägypter die scharfen Urteile. Sisi
porträtiert mit Hilfe der von ihm geknebelten Medien seit seiner
offiziellen Amtsübernahme vor einem Jahr die Moslembruderschaft als
existentielle Gefahr für Ägypten. Diese Botschaft wird von all jenen
bereitwillig aufgenommen, die nach vier Jahren teils blutiger
Turbulenzen nichts mehr ersehnen als eine Rückkehr zu Stabilität und
eine Erholung der schwer angeschlagenen Wirtschaft. MB-Anhänger, wie
Amr Darrag,einst Minister während der einjährigen Herrschaft Mursis,
hingegen sprechen von den „schwärzesten Tagen in der Geschichte
Ägyptens“ und kündigen eine Eskalation ihrer – friedlichen – Proteste
gegen die Diktatur Sisis an. Doch mit mehr als nur kleineren
Kundgebungen dieser einst größten politischen Bewegung des Landes ist
nicht zu rechnen. Schon vor den Todesurteilen war die Moslembruderschaft
empfindlich eingeschüchtert und geschwächt. Zehntausende Anhänger
sitzen in Gefängnissen, Hunderte wurden bereits in Schnellverfahren zum
Tode verurteilt, wiewohl bisher nur ein Urteil vollstreckt wurde.
Der Moslembruderschaft war es in den acht Jahrzenten seit ihrer
Gründung trotz scharfer Repressionen durch die aufeinanderfolgen
autokratischen Herrscher gelungen, ein weitverzweigtes soziales Netz
aufzubauen und dadurch, Millionen von Ägyptern hinter sich zu scharen.
Bis heute bekennt sie sich offiziell entschieden zur Gewaltlosigkeit und
dem Sisi-Regime ist es bisher auch nicht gelungen, überzeugende Beweise
für ihre Verteufelung als Terroristen nach dem Schlage der „Al-Kaida“
zu präsentieren. Dennoch sitzen alle wichtigen Führer und Aktivisten im
Gefängnis und das soziale Netzwerk ist weitgehend zerschlagen oder vom
Staat übernommen – Massnahmen, die weder Mubarak noch seine Vorgänger je
in dieser Schärfe gesetzt hatten. Und noch nie ließ sich Ägyptens
Justiz so vollständig und offen zum Werkzeug der staatlichen Repression
degradieren, gegen den MB-Erzfeind, aber ebenso gegen all jene –
Liberale, Nationalisten, Studenten, Intellektuelle - , die sich vor vier
Jahren so hoffnungsvoll gegen die Diktatur erhoben und von Freiheit,
Gerechtigkeit und menschlicher Würde geträumt hatten. Freilich dürften
auch Mursis Aktionen krassen Machtmissbrauchs während seiner Amtszeit
der Moslembruderschaft – vorerst – viele Sympathisanten gekostet haben.
Während die Justiz heute den Schutz des Staates, vor allem der
Armee und der Polizei, zu ihrer höchsten Priorität erhob und unermüdlich
harte Urteile gegen alle Regimekritiker, Menschenrechtsaktivisten,
Sozialarbeiter, Journalisten, Gewerkschafter, Studenten verhängt, gibt
Sisi der Herstellung seiner eigenen politischen Glaubwürdigkeit, der
Sicherheit im Lande und zumindest dem Anschein von Stabilität absoluten
Vorrang, um einen politischen Prozess zu ermöglichen, der dem „tiefen
Staat“ – einer Elitegruppe, lange die eigentliche Macht hinter den
Kulissen ausübte – wieder seine alte Rolle sichert.
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