Sonntag, 17. Mai 2015

Das Todesurteil gegen Ägyptens freigewählten Präsidenten

Die Farce eines politischen Schauprozesses soll die soll die größte politische Bewegung  endgültig vernichten -  Justiz wird zum Vollstrecker der neuen  Diktatur
 
von Birgit Cerha
 
„Eine Farce“, die auf einem ungültigen Verfahren“ beruhe und die Menschenrechte „total“ missachte: Das Urteil von Amnesty International über den Prozess gegen den ersten und einzigen freigewählten Präsidenten in der Geschichte Ägyptens könnte nicht schärfer sein. Ein Kairoer Gericht hatte Samstag den 2013 in einem vom Militär unter dem heutigen Präsidenten Sisi inszenierten Putsch gestürzten Präsidenten Mursi  mit 105 anderen, teils prominenten Mitgliedern der Moslembruderschaft (MB) zum Tode verurteilt. Der Entscheid, der nun der höchsten sunnitischen Autorität, dem Mufti Ägyptens, zu einer nicht bindenden Begutachtung vorgelegt wird, kam nicht überraschend. Er löste dennoch in der demokratischen Welt Empörung und tiefe Sorge um die Zukunft Ägyptens aus.
Von „Hohn auf die Rechtstaatlichkeit“ ist die Rede. Zurecht.  Das Gericht fand Mursi für schuldig, zu Beginn der Rebellion gegen seinen Vorgänger, Präsident Mubarak, im Januar 2011 gemeinsam mit der palästinensischen Hamas und der libanesischen Hisbollah einen Ausbruch aus einem Gefängnis organisiert zu haben, in dem er nach den damals geltenden Notstandsgesetzen eingesessen hatte. Die Aufhebung dieser Gesetze zählte zu den zentralen Forderungen der ursprünglich überwiegend laizistischen und liberalen Revolutionsführer. Schon bevor Mursi und seine Mitangeklagten den Gerichtssaal betraten sei die Fairness des gesamten Verfahrens untergraben worden, klagt Amnesty. Verteidiger berichten, sie hätten es aus Angst um deren Sicherheit nicht gewagt  Zeugen zur Entlastung der Angeklagten zu präsentieren. Auch die Tatsache, dass einige der in Abwesenheit verurteilten Palästinenser schon seit Jahren tot sind, spricht Bände über die Vorgangsweise der Justiz.
Dennoch begrüßten viele Ägypter die scharfen Urteile. Sisi porträtiert mit Hilfe der von ihm geknebelten Medien seit seiner offiziellen Amtsübernahme vor einem Jahr die Moslembruderschaft als existentielle Gefahr für Ägypten. Diese Botschaft wird von all jenen bereitwillig aufgenommen, die nach vier Jahren teils blutiger Turbulenzen nichts mehr ersehnen als eine Rückkehr zu Stabilität und eine Erholung der schwer angeschlagenen Wirtschaft. MB-Anhänger, wie Amr  Darrag,einst Minister während der einjährigen Herrschaft Mursis, hingegen sprechen von den „schwärzesten Tagen in der Geschichte Ägyptens“ und kündigen eine Eskalation ihrer – friedlichen – Proteste gegen die Diktatur Sisis an.  Doch mit mehr als nur kleineren Kundgebungen dieser einst größten politischen Bewegung des Landes ist nicht zu rechnen. Schon vor den Todesurteilen war die Moslembruderschaft empfindlich eingeschüchtert und geschwächt. Zehntausende Anhänger sitzen in Gefängnissen, Hunderte wurden bereits in Schnellverfahren zum Tode verurteilt, wiewohl bisher nur ein Urteil vollstreckt wurde.
Der Moslembruderschaft war es in den acht Jahrzenten seit ihrer Gründung trotz scharfer Repressionen durch die aufeinanderfolgen autokratischen Herrscher gelungen, ein weitverzweigtes soziales Netz aufzubauen und dadurch,  Millionen von Ägyptern hinter sich zu scharen. Bis heute bekennt sie sich offiziell entschieden zur Gewaltlosigkeit und dem Sisi-Regime ist es bisher auch nicht gelungen, überzeugende Beweise für  ihre Verteufelung als Terroristen nach dem Schlage der „Al-Kaida“ zu präsentieren. Dennoch sitzen alle wichtigen Führer und Aktivisten im Gefängnis und das soziale Netzwerk ist weitgehend zerschlagen oder vom Staat übernommen – Massnahmen, die weder Mubarak noch seine Vorgänger je in dieser Schärfe gesetzt hatten. Und noch nie ließ sich Ägyptens Justiz so  vollständig und offen zum Werkzeug der staatlichen Repression degradieren, gegen den MB-Erzfeind, aber ebenso gegen all jene – Liberale, Nationalisten, Studenten, Intellektuelle - , die sich vor vier Jahren so hoffnungsvoll gegen die Diktatur erhoben und von Freiheit, Gerechtigkeit und menschlicher Würde geträumt hatten. Freilich dürften auch Mursis Aktionen krassen Machtmissbrauchs während seiner Amtszeit der Moslembruderschaft – vorerst – viele Sympathisanten gekostet haben.
Während die Justiz heute den Schutz des Staates, vor allem der Armee und der Polizei, zu ihrer höchsten Priorität erhob und unermüdlich harte Urteile gegen alle Regimekritiker, Menschenrechtsaktivisten, Sozialarbeiter, Journalisten, Gewerkschafter, Studenten verhängt, gibt Sisi der Herstellung seiner eigenen politischen Glaubwürdigkeit, der Sicherheit im Lande und zumindest dem Anschein von Stabilität absoluten Vorrang, um einen politischen Prozess zu ermöglichen, der dem „tiefen Staat“ – einer Elitegruppe, lange die eigentliche Macht hinter den Kulissen ausübte – wieder seine alte Rolle sichert.

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