Montag, 6. April 2015

„Die Straßen sind mit Leichen übersät“

Ein Land im Würgegriff – Den Jemeniten droht eine humanitäre Katastrophe gigantischen Ausmaßes, während Kämpfe und Bombardements aus der Luft anhalten
 
von Birgit Cerha
 
„In den Spitälern und Gesundheitszentren, die einen Strom von Verwundeten aus weiten Gebieten des Jemens aufnehmen, gehen lebensrettende Medikamente und medizinische Geräte zur Neige. In vielen Teilen des Landes leidet die Bevölkerung unter Mangel an Treibstoff und Wasser, während die Lebensmittelvorräte rasch verbraucht werden. Dutzende Menschen werden täglich getötet und verwundet. Die Straßen von Aden sind mit Leichen übersät und die Menschen fürchten sich, ihre Häuser zu verlassen.“
Mit dieser dramatischen Schilderung der Situation im Jemen nach zwölf tägigen Luftangriffen durch eine von Saudi-Arabien geführten arabischen Allianz und einwöchigen intensiven Verhandlungen  erreichte das „Internationale Komitee vom Roten Kreuz“ endlich die Genehmigung Riads zur Landung eines Flugzeugs mit Medikamenten und einem medizinischen Team in der Hauptstadt Sanaa. Der Anfang für eine umfangreichere internationale Hilfsaktion?  Die Not der  24 Millionen Jemeniten könnte kaum verzweifelter sein.
Seit dem 26. März attackieren vor allem saudische Jets das Hauptquartier ihres Führers Abdel-Malik al-Houthi, die militärischen Anlagen seiner Milizen  und der mit ihnen verbündeten Truppen des 2012 gestürzten Präsidenten Saleh. Diese aggressiven Schläge sollen die Rebellen aus dem Süd-Jemen und insbesondere der strategisch wichtigen Hafenstadt Aden  verjagen und dem nach Saudi-Arabien geflüchteten legitimen Präsidenten Hadi die Rückkehr ins Land zu ermöglichen. Doch dieses Ziel ist weiter denn je entfernt. Trotz intensiver Bombardements konnten die Houthis weiter nach Aden und immer näher zu dem für die internationale Schifffahrt so bedeutenden Hafen vordringen.
Die Offensive, unterstützt durch Raketenangriffe von ägyptischen Kriegsschiffen vor der jemenitischen Küste,  hat die bereits  ohnedies zusammenbrechende Infrastruktur des Landes  - neben Militärbasen, Waffendepots auch Flughäfen und Straßen, schwer beschädigt,  aber auch wiederholt von Zivilisten bewohnte Stadtviertel und andere zivile Einrichtungen, wie eine Milchfabrik in Hodeidah,  getroffen. Niemand kann die Toten zählen. Nach Schätzungen der UNO dürften in den vergangenen zwei Wochen mehr als hundert Zivilisten ums Leben gekommen und 1.700 verwundet worden sein. Tausende Menschen versuchen dem Grauen zu entkommen. Der einzige Weg bleibt das Meer, in kleinen Booten oder verrosteten  und ausrangierten Öltankern nach Dschibuti oder Somalia. Über die sozialen Medien verbreiten Jemeniten herzzerreißende Bilder ziviler Opfer, darunter Frauen und Kinder die in einem Feuer des bombardierten Flughafens von Sanaa ums Leben gekommen waren.
In Aden bilden die Menschen auf der Suche nach Nahrungsmitteln und Treibstoff lange Schlagen, die Wasserversorgung ist durch die Kämpfe zusammengebrochen. In Sanaa wagen sich aus Angst vor Luftschlägen die Menschen kaum noch auf die Straßen. Lebensmittel gelangen kaum mehr ins Land, da saudische Jets den Luftraum über dem Jemen sperrten und die verbündeten Araber die Häfen des Landes blockieren. Der Jemen hat bisher 90 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs importiert. „Ein paar Flugzeuge mit Hilfsgütern helfen wenig“, klagt ein Bürger Sanaas über Telefon. „Wir brauchen dringend eine Luftbrücke.“
Schon vor Beginn dieses jüngsten Krieges stand der Jemen am Rande einer humanitären Katastrophe – die Folge jahrelanger interner Konflikte, und einer durch Rivalitäten und Korruption gelähmten Regierung. 335.000 Menschen hatten aufgrund interner Kämpfe ihre Häuser verlassen, hinzu kommen 245.000 Flüchtlinge aus dem Horn von Afrika.
Internationale Hilfsorganisationen veröffentlichten alarmierende Zahlen:  Das Pro-Kopf-Einkommen dieses ärmsten arabischen Landes liegt bei 1.270 Dollar, jenes des Nachbarn Oman bei 19.110, und Saudi-Arabiens bei 21.210. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu sauberem Wasser und zu Gesundheitszentren. 4,5 Mio. Jemeniten sind unterernährt, 60 Prozent der Kinder chronisch, eine Zahl, die nur noch von Afghanistan übertroffen wird. 2,5 Mio. Kinder haben keinen Zugang zu Grundschulen. Die Wasserreserven des Landes gehen nicht zuletzt aufgrund sträflicher Vernachlässigung und des Anbaus von Kat – einem milden Suchtmittel – mehr und mehr zur Neige. Seit dem Vormarsch der Houthis hat Saudi-Arabien seine jährliche Hilfe von ein bis zwei Mrd. Dollar an die Regierung eingestellt. Das Geld für Lebensmittelimporte fehlt. Den Jemeniten bleibt nur die Hoffnung, der Krieg werde die internationale Gemeinschaft aufrütteln und Millionen Menschen schließlich durch einen Marschall-Plan retten.
 

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