Ein Land im Würgegriff – Den Jemeniten droht eine humanitäre
Katastrophe gigantischen Ausmaßes, während Kämpfe und Bombardements aus
der Luft anhalten
von Birgit Cerha
„In den Spitälern und Gesundheitszentren, die einen Strom von
Verwundeten aus weiten Gebieten des Jemens aufnehmen, gehen
lebensrettende Medikamente und medizinische Geräte zur Neige. In vielen
Teilen des Landes leidet die Bevölkerung unter Mangel an Treibstoff und
Wasser, während die Lebensmittelvorräte rasch verbraucht werden.
Dutzende Menschen werden täglich getötet und verwundet. Die Straßen von
Aden sind mit Leichen übersät und die Menschen fürchten sich, ihre
Häuser zu verlassen.“
Mit dieser dramatischen Schilderung der Situation im Jemen nach
zwölf tägigen Luftangriffen durch eine von Saudi-Arabien geführten
arabischen Allianz und einwöchigen intensiven Verhandlungen erreichte
das „Internationale Komitee vom Roten Kreuz“ endlich die Genehmigung
Riads zur Landung eines Flugzeugs mit Medikamenten und einem
medizinischen Team in der Hauptstadt Sanaa. Der Anfang für eine
umfangreichere internationale Hilfsaktion? Die Not der 24 Millionen
Jemeniten könnte kaum verzweifelter sein.
Seit dem 26. März attackieren vor allem saudische Jets das
Hauptquartier ihres Führers Abdel-Malik al-Houthi, die militärischen
Anlagen seiner Milizen und der mit ihnen verbündeten Truppen des 2012
gestürzten Präsidenten Saleh. Diese aggressiven Schläge sollen die
Rebellen aus dem Süd-Jemen und insbesondere der strategisch wichtigen
Hafenstadt Aden verjagen und dem nach Saudi-Arabien geflüchteten
legitimen Präsidenten Hadi die Rückkehr ins Land zu ermöglichen. Doch
dieses Ziel ist weiter denn je entfernt. Trotz intensiver Bombardements
konnten die Houthis weiter nach Aden und immer näher zu dem für die
internationale Schifffahrt so bedeutenden Hafen vordringen.
Die Offensive, unterstützt durch Raketenangriffe von ägyptischen
Kriegsschiffen vor der jemenitischen Küste, hat die bereits ohnedies
zusammenbrechende Infrastruktur des Landes - neben Militärbasen,
Waffendepots auch Flughäfen und Straßen, schwer beschädigt, aber auch
wiederholt von Zivilisten bewohnte Stadtviertel und andere zivile
Einrichtungen, wie eine Milchfabrik in Hodeidah, getroffen. Niemand
kann die Toten zählen. Nach Schätzungen der UNO dürften in den
vergangenen zwei Wochen mehr als hundert Zivilisten ums Leben gekommen
und 1.700 verwundet worden sein. Tausende Menschen versuchen dem Grauen
zu entkommen. Der einzige Weg bleibt das Meer, in kleinen Booten oder
verrosteten und ausrangierten Öltankern nach Dschibuti oder Somalia.
Über die sozialen Medien verbreiten Jemeniten herzzerreißende Bilder
ziviler Opfer, darunter Frauen und Kinder die in einem Feuer des
bombardierten Flughafens von Sanaa ums Leben gekommen waren.
In Aden bilden die Menschen auf der Suche nach Nahrungsmitteln und
Treibstoff lange Schlagen, die Wasserversorgung ist durch die Kämpfe
zusammengebrochen. In Sanaa wagen sich aus Angst vor Luftschlägen die
Menschen kaum noch auf die Straßen. Lebensmittel gelangen kaum mehr ins
Land, da saudische Jets den Luftraum über dem Jemen sperrten und die
verbündeten Araber die Häfen des Landes blockieren. Der Jemen hat bisher
90 Prozent seines Nahrungsmittelbedarfs importiert. „Ein paar Flugzeuge
mit Hilfsgütern helfen wenig“, klagt ein Bürger Sanaas über Telefon.
„Wir brauchen dringend eine Luftbrücke.“
Schon vor Beginn dieses jüngsten Krieges stand der Jemen am Rande
einer humanitären Katastrophe – die Folge jahrelanger interner
Konflikte, und einer durch Rivalitäten und Korruption gelähmten
Regierung. 335.000 Menschen hatten aufgrund interner Kämpfe ihre Häuser
verlassen, hinzu kommen 245.000 Flüchtlinge aus dem Horn von Afrika.
Internationale Hilfsorganisationen veröffentlichten alarmierende
Zahlen: Das Pro-Kopf-Einkommen dieses ärmsten arabischen Landes liegt
bei 1.270 Dollar, jenes des Nachbarn Oman bei 19.110, und Saudi-Arabiens
bei 21.210. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung hat keinen Zugang zu
sauberem Wasser und zu Gesundheitszentren. 4,5 Mio. Jemeniten sind
unterernährt, 60 Prozent der Kinder chronisch, eine Zahl, die nur noch
von Afghanistan übertroffen wird. 2,5 Mio. Kinder haben keinen Zugang zu
Grundschulen. Die Wasserreserven des Landes gehen nicht zuletzt
aufgrund sträflicher Vernachlässigung und des Anbaus von Kat – einem
milden Suchtmittel – mehr und mehr zur Neige. Seit dem Vormarsch der
Houthis hat Saudi-Arabien seine jährliche Hilfe von ein bis zwei Mrd.
Dollar an die Regierung eingestellt. Das Geld für Lebensmittelimporte
fehlt. Den Jemeniten bleibt nur die Hoffnung, der Krieg werde die
internationale Gemeinschaft aufrütteln und Millionen Menschen
schließlich durch einen Marschall-Plan retten.
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