Sonntag, 19. April 2015

Die „nützlichen Idioten“ des „Islamischen Staates“

Unter  Izzat Ibrahim Al-Douris Führung schlossen die Baath-Offiziere Saddam Husseins eine bis heute kaum besiegbare  taktische Allianz mit der islamistischen Terrormiliz im Irak

von Birgit Cerha
Sie nannten ihn wegen seiner Haarfarbe und dem buschigen Bart den „rothaarigen Teufel“. Der laut offiziellen irakischen Quellen Freitag bei einer Offensive der irakischen Armee in der Nähe der Stadt Tikrit getötete Izzat Ibrahim Al-Douri war nicht nur der prominenteste und wichtigste Handlanger des 2006 exekutierten Diktators Saddam Hussein. Er war bis zu seinem – bisher durch DNA noch nicht bestätigten - Tod einer der gefürchtetsten Männer des Iraks. Als hoher Offizier und bedingungslos treuer Stellvertreter Saddams spielte er eine zentrale Rolle bei den blutigen Repressionen von Kurden, Schiiten und arabisch-sunnitischen Oppositionellen. Doch seine eigentliche Bedeutung für das Schicksal des Iraks begann nach dem Sturz der Diktatur 2003 und dem dramatischen Verlust von Macht und Einfluss der arabisch-sunnitischen Minderheit, die über Jahrhunderte eine privilegierte Stellung im Zweistromland genossen hatte.
Als einziger aus dem engsten Führungskreis Saddam Husseins, der weder getötet noch von den Amerikanern oder den neuen irakischen Führern festgenommen wurde, erhob sich der Feldmarschall Saddams zum Drahtzieher einer blutigen Rebellion, die die US-Besatzungsmacht 2011 vorzeitig aus dem Irak vertrieb und den von Schiiten geführten Herrschern in Bagdad das Regieren unmöglich machte. Zehn Millionen Dollar hatten die Amerikaner auf seinen Kopf gesetzt, und dennoch gelang es Douri von seinem syrischen Exil aus einen äußerst effizienten Widerstand aufzubauen. Er stützte sich dabei auf ein Netz von Getreuen und Anhängern, das er über Jahrzehnte im Kreise der Sunniten gewoben hatte: den Nakschbandi-Orden. Nachdem sich Douri zu einer taktischen Allianz mit den sunnitischen Extremisten des „Islamischen Staates“ (IS) entschlossen hatte, ermöglichte dieses Netz den Siegeszug der Terrormiliz im Irak, der im Juni 2014 mit der Eroberung der zweitgrößten Stadt Mosul begonnen hatte. Dank dieses Netzwerkes schaffte der IS es seither auch, Mosul und große Teile des eroberten Gebietes im Irak bis heute zu halten. Damit wirkt Izzat Ibrahims Rolle auch über seinen Tod hinaus.
Iraks arabische Sunniten sind traditionell weit säkularer eingestellt als viele ihrer Glaubensbrüder in anderen arabischen Ländern, sind aber von einem ausgeprägten Hang zum Sufismus geprägt, der mystischen Erfahrungen größere Bedeutung beimisst als trockenem Legalismus. Damit unterscheiden sie sich krass von der vom saudischen Wahhabismus geprägten salafistischen Richtung des sunnitischen Islam, dem der IS anhängt. Dementsprechend verfolgen die radikalen Salafisten Sufi auch mit tiefer Abneigung bis zu blutigem Hass.
Unter Douris Einfluss hatte sich der Nakschbandi-Orden während der Diktatur Saddams aber zu einer mit den Freimaurern vergleichbaren politischen und ökonomischen Interessensgemeinschaft entwickelt, der sich auch seit den 1980er Jahren viele Offiziersfamilien und sunnitische Stammesführer anschlossen. Viele von ihnen hatten durch den Sturz Saddams und die anschließende diskriminierende Politik der Schiitenführung in Bagdad ihre Existenz verloren. Starken Zulauf erhielt die Bewegung, als die US-Besatzungsmacht 2003 die Streit- und Sicherheitskräfte, sowie die Baath-Partei auflöste und mehr als 400.000 Sunniten, darunter Hunderte hohe Offiziere, mit einem Schlag Arbeit, Einkommen und Zukunftschancen verloren. Viele von ihnen, wie insbesondere Soldaten von Saddams Eliteeinheit der „Republikanischen Garden“, Geheimdienstoffizier und Politiker, schlossen sich der unter Douris Führung 2007 gegründeten Widerstandsbewegung JRTN (Männer des Nakschbandi-Ordens) an.
Als der heutige IS-Führer Abu Bakr al-Baghdadi 2010 die durch erfolgreiche US-Offensiven schwer angeschlagene Terrorgruppe „Al-Kaida im Irak“ neu aufzubauen begann, versuchte er intensiv arbeitslose Baath-Offiziere anzuwerben. Viele von ihnen waren, wie Douri, nach Syrien geflüchtet und die Eroberung von irakisch-syrischen Grenzgebieten durch den IS ermöglichte ihnen die Rückkehr in den Irak. So entschloss sich JRTN, ungeachtet der ideologischen Differenzen, den IS als „nützliche Idioten“ mit dem Ziel zu missbrauchen, die von Schiiten geführten Regierungsstreitkräfte und Milizen aus den sunnitischen Gebieten zu verjagen und die Macht in Bagdad zurückzuholen. In Wahrheit, so fürchten manche irakische Quellen, könnten die Baathisten aber selbst zu „nützlichen Idioten“ des IS geworden sein.
Die Rückkehr an die Macht schien in greifbare Nähe gerückt, als JRTN dank ihrer tiefen sozialen und kulturellen Bindungen mit der sunnitische Bevölkerung  IS-Kämpfern im Vorjahr die Eroberung Mosuls ermöglicht hatte. Viele Sunniten akzeptierten JRTN. In einer seiner wenigen Audio-Botschaften appellierte Douri im Vorjahr an Sunniten, sich zur Eroberung Bagdads dem IS anzuschließen.
So entschloss sich JRTN, ungeachtet der gravierenden ideologischen Differenzen zu einer „taktischen Allianz“ mit dem IS, mit dem Ziel, die von Schiiten geführten Regierungsstreitkräfte und Milizen aus den sunnitischen Gebieten zu verjagen und die Regierung in Bagdad zu stürzen. Rückkehr an die Macht war Douris Hauptziel und es schien in greifbare Nähe gerückt, als JRTN und andere Baathisten dank ihrer tiefen sozialen und kulturellen Bindungen mit der sunnitische Bevölkerung  etwa 2.000 IS-Kämpfern im Vorjahr die Eroberung Mosuls ermöglicht hatten. Viele Sunniten akzeptierten JRTN. In einer seiner wenigen Audio-Botschaften appellierte Douri im Vorjahr an Sunniten, sich zur Eroberung Bagdads dem IS anzuschließen.
Der IS profitierte von den kriegsgestählten Baath-Offizieren, die ihnen komplexe militärische Taktiken beibrachten, ebenso wie den Einsatz hochentwickelten amerikanischen Kriegsgeräts, das sie von der irakischen Armee erobert hatten. Wiewohl der IS laut Augenzeugenberichten in Mosul eine repressive Herrschaft errichtete, die auffallende Merkmale jener Saddams trägt, kam es wiederholt zu offener Konfrontation zwischen JRTN und dem IS, dessen grausige Misshandlung irakischer Minderheiten auch Douri offen verurteilte.
Der Tod von Saddams meistgesuchten Handlanger könnte, so fürchten manche, den IS in seiner dominierenden Rolle im sunnitischen Widerstand weiter stärken. Doch Tausende Soldaten und Hunderte Offiziere des alten Regimes haben entscheidende Vermittlungsmissionen zwischen dem IS und den sunnitischen Stämmen im Nord- und Ost-Irak übernommen. Ihre Rolle  bleibt ungeschmälert und damit die Bedeutung, sie für eine Zukunft in einem Irak zu gewinnen, der die Sunniten politisch voll integriert. Doch dazu sind die Bagdader Führer bis heute nicht bereit.
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