Donnerstag, 12. März 2015

Was bleibt von Assads Staat?

Vier Jahre nach Kriegsbeginn droht Syrien von innen zu erodieren – Eine Bilanz des Grauens
 
von Birgit Cerha
 
Die Bilanz kann kaum grauenvoller sein: Als am 12. März 2011 der „Arabische Frühling“ auch die lange so stabile Diktatur Baschar el Assads erfasste, ahnte niemand, dass in diesem kleinen, doch strategisch so wichtigen arabischen Staat unvorstellbare menschliche Qualen begannen, deren Ende auch vier Jahre später nicht abzusehen ist, während die zivilisierte Welt mit schockierender Ohnmacht zusieht.
Internationale und unabhängige syrische Institutionen, wie die UNO und das „Syrian Centre for Policy Research“ (SCPR), präsentieren eine Bilanz systematischer Vernichtung unvorstellbaren Ausmaßes: 210.000 Tote, 840.000 Verwundete, das entspricht zusammen sechs Prozent der Bevölkerung. Humanitäre Organisationen sprechen von der größten humanitären Katastrophe seit Jahrzehnten. Der Krieg trieb mehr als zehn Millionen Menschen in die Flucht, davon schafften es rund drei Millionen ins Ausland. Die Statistik ist schockierend: die Bevölkerung schrumpfte von 20,87 Mio. 2010 auf 17,65 Mio., 80 Prozent davon stürzte in totale Armut.
In seinem verzweifelten Ringen um das politische Überleben des Assad-Clans und mit ihm des Regimes, verpfändet der schwerbedrängte Präsident die Zukunft des Staates, der nach vier Kriegsjahren von innen erodiert. Die nördlichen und östlichen Regionen, insgesamt etwa die Hälfte des syrischen Territoriums, hat das Regime vollends verloren und mit ihm, sowie durch Flucht aus anderen Landesteilen, rund ein Drittel der Bevölkerung. Lokale Milizen und Komitees, darunter auch die Terror-Organisation des „Islamischen Staates“ (IS) liefern sich erbitterte, für die Zivilbevölkerung extrem verlustreiche Kämpfe, um das Machtvakuum zu füllen. Doch der dichtbesiedelte Rumpfstaat steht immer noch voll unter Kontrolle des Regimes. Er erstreckt sich von der nordwestlichen Küstenstadt Lattakia über das von den Regierungstruppen zurückeroberte Homs nach Damaskus und bis Suwaida im Süden. Doch an zwei strategisch bedeutenden Fronten, bei der einst blühenden Wirtschaftsmetropole Aleppo und südlich? Von Damaskus toben seit Monaten heftige Kämpfe.
Selbst dort aber, wo in Assads Rumpfstaat der Krieg  die Menschen weitgehend verschont, wird das Leben immer verzweifelter. Die Wirtschaft ist durch die Gewalt, den Verlust der Ölfelder und der entscheidenden Handelsrouten in den Irak und in die Türkei, total zusammengebrochen.  Nach einem UN-Bericht übersteigen die ökonomischen Verluste seit Kriegsbeginn 200 Mrd. Dollar. Das Regime hat keine internen Einnahmequellen mehr und versucht die ohnehin bitterarme Bevölkerung durch Steuererhöhungen und Senkung von Subventionen für lebenswichtige Güter noch mehr zu belasten. Laut SCPR haben drei Millionen Syrer ihre Arbeit verloren, die Arbeitslosigkeit liegt bei fast 60 Prozent. Das Bildungssystem ist zusammengebrochen: Mehr als die Hälft der schulpflichtigen Kinder geht nicht mehr zum Unterricht und der Großteil von ihnen bereits seit drei Jahren.
Nur die materielle und militärische Hilfe aus Russland und dem Iran ermöglicht dem Assad-Regime das Überleben.  Moskaus Unterstützung aber dürfte sich weitgehend auf Waffen beschränken, für die Assads engster Verbündeter Iran 2013 vier Mrd. Dollar gezahlt hatte.  Im Mai 2013 gab die syrische Zentralbank bekannt, dass der Iran dem Land einen Kredit von vier Mrd. Dollar gewährt hätte. Im Dezember 2014 sucht Syrien um ein neues Darlehen in derselben Höhe an.
Assad steht heute in totaler Abhängigkeit von Teheran, nicht nur finanziell, sondern auch militärisch. Die „Al-Quds“-Brigaden der iranischen Revolutionsgarden kontrollieren die Regierungsstreitkräfte und für Assad kämpfende schiitische Milizen und finanzieren die libanesischen Hisbollah-Kämpfer, die dem Regime bereits zu entscheidenden Gewinnen verhalfen. „Assad hat Syrien den Iranern verkauft“, klagt der abgesprungene General Manaf Tlass. „Bashar hat sich niemals zu ernsthaften Reformen durchgerungen, sondern entschied sich stattdessen, das Land zu zerstören, um nicht die Macht zu verlieren.“
Bis heute verstand es der Diktator, die Minderheiten – seine Alawiten, ebenso wie die Christen und Drusen – mit der Warnung vor Todesgefahr im Falle seines Sturzes bei der Stange zu halten, - ein Argument, das durch das blutige Wüten des IS noch an Dramatik gewann.  Und dennoch zeigen sich selbst unter den Alawiten, die die Säule der staatlichen und militärischen Strukturen des Landes bilden, Anzeichen wachsender Frustration und Unzufriedenheit. Alarmierendes Signal für Assad  ist die schwindende Bereitschaft junger Syrer, ihren Militärdienst zu absolvieren. Dass das Regime mit Repression, totaler Ausreisesperre und Gefängnis  antwortet, steigert noch das Unbehagen, das sich in sozialen Netzwerken erkennen lässt. Hier liegt die größte Gefahr für Assad und seinen Clan.
Militärisch könnte sich der Krieg noch lange hinziehen. Assad setzt auf eine Abnützungsstrategie und intensive Verteidigung seine Positionen, die ihm in den vergangenen Monaten kleine, aber stetige Erfolge gebracht hat. Damit wäre tatsächlich, so meinen Militärexperten – irgendwann – ein Sieg des Diktators zumindest über einen zentralen Teil des Landes gar nicht ausgeschlossen. Sicher aber ist, dass selbst dann der syrische Staat in seiner einstigen Form nicht mehr existieren wird. Assad wird über ein schwaches Gebilde mit unzureichenden Ressourcen herrschen, das schwerstens verschuldet ist und nicht mehr, wie jahrzehntelang, über das Gewaltmonopol verfügt, um eine zunehmend   verärgerte   Bevölkerung zu kontrollieren, die enorme Opfer an Menschenleben und materiellen Werten  für die kleine Assad-Clique gebracht hat.
 

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