Montag, 16. Februar 2015

IS eröffnet mit Libyen eine neue Front

Die grauenhaften Morde an 21 ägyptischen Kopten zeigen die wachsende Stärke der Terrormiliz im Chaos von Nord-Afrika
 
von Birgit Cerha
 
Und wieder schockt die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) die zivilisierte Welt. Die grauenvollen Morde an 21 ägyptischen Kopten, über Videoaufnahmen aus Libyen, begleitet von Hasstiraden der Täter im Internet verbreitet, zeigen alarmierend, wie IS trotz des von einer Internationalen Allianz unter Leitung der USA geführten Krieges im Irak und in Syrien immer neue Schlachtfelder zu erobern vermag. Terrorexperten sind sich einig der Massenmord an den von IS bisher verschonten ägyptischen Christen und die unverhohlenen Drohungen gegen Franzosen und Italiener, Europas weichem Unterleib, sollen die Eröffnung einer neuen Front nahe an den Toren Europas signalisieren.
Etwas mehr als drei Jahre nach dem gewaltsamen Tod von Diktator Muammar Gadafi weht die schwarze Flagge des selbsternannten „Kalifats“ über Teilen Libyens. Im gewaltsamen Chaos, das Libyen heute zu zerreißen droht, lässt sich die gegenwärtige Präsenz und Stärke der Milizionäre nur schwer abschätzen. Fest steht jedoch, dass IS über eine stattliche Anzahl von Kämpfern, Sympathisanten, die erforderlichen Mittel , das Gelände, Sicherheitsgefühle und beträchtliches Selbstbewusstsein verfügt, um wochenlang 21 Männer gefangenzuhalten und dann den grauenvollen Massenmord zu inszenieren.
Das alarmierende Wachstum dieser menschenverachtenden Bande ist ein Symptom  der blutigen Rechtlosigkeit, in die das von der internationalen Gemeinschaft weitgehend ignorierte Nach-Gadafi-Libyen immer tiefer hineinschlittert. Wie im Irak und vor allem in Syrien verstand es IS, das Machtvakuum in Libyen und gigantische Mengen von Waffen, sowie die Hoffnungslosigkeit der Jugend  für seine Interessen zu nutzen und dies auch gegen eine Vielzahl gleichgesinnter Islamistengruppen.
Wann die Mitstreiter des irakischen IS-Chefs al-Baghdadi libyschen Boden betraten, lässt sich nicht genau feststellen.  Bekannt ist, dass Libyen schon seit langem eine wichtige Quelle ausländischer Jihadis für den Kampf gegen Syriens Diktator Assad ist und politische Analysten deren Rückkehr in die Heimat fürchten. Die erste Gruppe von Jihadis kam im Frühjahr 2014 heim, gefolgt von immer größeren Zahlen im Sommer, als in Benghazi Kämpfe zwischen den diversen libyschen Milizen ausbrachen.  Im November bekannten sich  drei verschiedene Islamistengruppen in drei Regionen Libyens – Barka im Osten, Fezzan in der südlichen Wüste und Tripolitania im Westen – erstmals zu IS und schworen Al-Baghdadi ihre Treue.  Baghdadi anerkannte sie als Mitstreiter für sein ersehntes „Kalifat“ und rief sie zum „Kampf gegen die Säkularisten“ auf. Amerikanische Militärquellen sprachen erstmals im Dezember von Beweisen für Trainingslager, die der IS im Osten Libyens eingerichtet hätte. Seither erwies sich der libysche IS-Ableger als der aktivste außerhalb des Iraks und Syriens, bestrebt, es der Hauptorganisation in Propaganda, Methoden und Brutalität gleich zu tun.
Die Terroristen konzentrierten ihre Gewaltakte auf die Küstenregion. Im Januar attackierten sie das von westlichen Besuchern frequentierte Luxushotel Corinthia in Tripoli, töteten acht Personen, darunter einen Amerikaner und einen Franzosen und köpften mehrere Journalisten in der ostlibyschen Stadt Derna. Anschließend brachten sie kurzfristig das Ölfeld al-Mabruk unter ihre Kontrolle. Unterdessen kehrten offenbar immer mehr kampferprobte Jihadis aus der Levante heim, um in der schon zuvor von IS eroberten Hafenstadt Darna eine bewaffnete Truppe aufzubauen, die Barka vollends unter ihre Kontrolle zwingen soll. Mit größerem Zulauf von Terroristen auch aus der Region ist zu rechnen, sobald die Kämpfe dort offen ausbrechen. Derzeit dürften nach Schätzungen rund 3000 IS-Jihadis in Darna konzentriert sein. In den vergangenen Monaten gewann IS auch Zulauf von Mitstreitern seines größten libyschen Rivalen, „Ansar al Sharia“.
Auch in Gadafis Heimatstadt Sirte konnte IS eine Präsenz aufbauen und – wichtig für seine Propaganda – zwei Radio- und eine TV-Station übernehmen. 130 km östliche von Sirte versuchen die IS-Milizen nach Aussagen lokaler Augenzeugen auch in der Stadt Nufaliya Fuss zu fassen, mit dem Endziel, Küstenautobahn zu den größten Ölhäfen und schließlich auch die nahegelegenen Ölanlagen zu erobern.
Das größte Hindernis im Kampf gegen die IS-Terroristen und andere Terrorgruppen in Libyen ist das Machtvakuum , das Fehlen schlagkräftiger nationaler Sicherheitskräfte und die Tatsache, dass zwei miteinander rivalisierende politische Führungen den Wüstenstaat zu zerreißen drohen. Ähnlich wie in Syrien gibt es auch in Libyen keine vertrauenserweckenden Ansprechpartner für den Kampf gegen das Krebsübel des „Islamischen Staates“.
 

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