Die grauenhaften Morde an 21 ägyptischen Kopten zeigen die wachsende Stärke der Terrormiliz im Chaos von Nord-Afrika
von Birgit Cerha
Und wieder schockt die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS)
die zivilisierte Welt. Die grauenvollen Morde an 21 ägyptischen Kopten,
über Videoaufnahmen aus Libyen, begleitet von Hasstiraden der Täter im
Internet verbreitet, zeigen alarmierend, wie IS trotz des von einer
Internationalen Allianz unter Leitung der USA geführten Krieges im Irak
und in Syrien immer neue Schlachtfelder zu erobern vermag.
Terrorexperten sind sich einig der Massenmord an den von IS bisher
verschonten ägyptischen Christen und die unverhohlenen Drohungen gegen
Franzosen und Italiener, Europas weichem Unterleib, sollen die Eröffnung
einer neuen Front nahe an den Toren Europas signalisieren.
Etwas mehr als drei Jahre nach dem gewaltsamen Tod von Diktator
Muammar Gadafi weht die schwarze Flagge des selbsternannten „Kalifats“
über Teilen Libyens. Im gewaltsamen Chaos, das Libyen heute zu zerreißen
droht, lässt sich die gegenwärtige Präsenz und Stärke der Milizionäre
nur schwer abschätzen. Fest steht jedoch, dass IS über eine stattliche
Anzahl von Kämpfern, Sympathisanten, die erforderlichen Mittel , das
Gelände, Sicherheitsgefühle und beträchtliches Selbstbewusstsein
verfügt, um wochenlang 21 Männer gefangenzuhalten und dann den
grauenvollen Massenmord zu inszenieren.
Das alarmierende Wachstum dieser menschenverachtenden Bande ist ein
Symptom der blutigen Rechtlosigkeit, in die das von der
internationalen Gemeinschaft weitgehend ignorierte Nach-Gadafi-Libyen
immer tiefer hineinschlittert. Wie im Irak und vor allem in Syrien
verstand es IS, das Machtvakuum in Libyen und gigantische Mengen von
Waffen, sowie die Hoffnungslosigkeit der Jugend für seine Interessen zu
nutzen und dies auch gegen eine Vielzahl gleichgesinnter
Islamistengruppen.
Wann die Mitstreiter des irakischen IS-Chefs al-Baghdadi libyschen
Boden betraten, lässt sich nicht genau feststellen. Bekannt ist, dass
Libyen schon seit langem eine wichtige Quelle ausländischer Jihadis für
den Kampf gegen Syriens Diktator Assad ist und politische Analysten
deren Rückkehr in die Heimat fürchten. Die erste Gruppe von Jihadis kam
im Frühjahr 2014 heim, gefolgt von immer größeren Zahlen im Sommer, als
in Benghazi Kämpfe zwischen den diversen libyschen Milizen ausbrachen.
Im November bekannten sich drei verschiedene Islamistengruppen in drei
Regionen Libyens – Barka im Osten, Fezzan in der südlichen Wüste und
Tripolitania im Westen – erstmals zu IS und schworen Al-Baghdadi ihre
Treue. Baghdadi anerkannte sie als Mitstreiter für sein ersehntes
„Kalifat“ und rief sie zum „Kampf gegen die Säkularisten“ auf.
Amerikanische Militärquellen sprachen erstmals im Dezember von Beweisen
für Trainingslager, die der IS im Osten Libyens eingerichtet hätte.
Seither erwies sich der libysche IS-Ableger als der aktivste außerhalb
des Iraks und Syriens, bestrebt, es der Hauptorganisation in Propaganda,
Methoden und Brutalität gleich zu tun.
Die Terroristen konzentrierten ihre Gewaltakte auf die
Küstenregion. Im Januar attackierten sie das von westlichen Besuchern
frequentierte Luxushotel Corinthia in Tripoli, töteten acht Personen,
darunter einen Amerikaner und einen Franzosen und köpften mehrere
Journalisten in der ostlibyschen Stadt Derna. Anschließend brachten sie
kurzfristig das Ölfeld al-Mabruk unter ihre Kontrolle. Unterdessen
kehrten offenbar immer mehr kampferprobte Jihadis aus der Levante heim,
um in der schon zuvor von IS eroberten Hafenstadt Darna eine bewaffnete
Truppe aufzubauen, die Barka vollends unter ihre Kontrolle zwingen soll.
Mit größerem Zulauf von Terroristen auch aus der Region ist zu rechnen,
sobald die Kämpfe dort offen ausbrechen. Derzeit dürften nach
Schätzungen rund 3000 IS-Jihadis in Darna konzentriert sein. In den
vergangenen Monaten gewann IS auch Zulauf von Mitstreitern seines
größten libyschen Rivalen, „Ansar al Sharia“.
Auch in Gadafis Heimatstadt Sirte konnte IS eine Präsenz aufbauen
und – wichtig für seine Propaganda – zwei Radio- und eine TV-Station
übernehmen. 130 km östliche von Sirte versuchen die IS-Milizen nach
Aussagen lokaler Augenzeugen auch in der Stadt Nufaliya Fuss zu fassen,
mit dem Endziel, Küstenautobahn zu den größten Ölhäfen und schließlich
auch die nahegelegenen Ölanlagen zu erobern.
Das größte Hindernis im Kampf gegen die IS-Terroristen und andere
Terrorgruppen in Libyen ist das Machtvakuum , das Fehlen schlagkräftiger
nationaler Sicherheitskräfte und die Tatsache, dass zwei miteinander
rivalisierende politische Führungen den Wüstenstaat zu zerreißen drohen.
Ähnlich wie in Syrien gibt es auch in Libyen keine
vertrauenserweckenden Ansprechpartner für den Kampf gegen das Krebsübel
des „Islamischen Staates“.
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