Montag, 16. Februar 2015

Dem Jemen droht der Staatszerfall

Im wachsenden Chaos von Arabiens ärmsten, doch strategisch wichtigstem Land gewinnt Al-Kaidas gefährlichster Ableger unverhofft neue Chancen
 
von Birgit Cerha
 
Schon oft im Laufe seiner jüngeren Geschichte stand der Jemen, am „Tor der Tränen“ (der wichtigsten Schifffahrtsverbindung vom Persischen Golf, dem Indischen Ozean nach Europa) gelegen, kurz vor dem Sturz in den Abgrund. Doch nun ist die Gefahr real wie kaum zuvor. Dem ärmsten arabischen Land mit seinen 25 Millionen Menschen der Staatszerfall, nachdem die schiitische Huthi-Miliz im September die Kontrolle über die Hauptstadt Sanaa übernommen, vor zwei Wochen ihren de facto Putsch durch die Auflösung der Regierung und des gewählten Parlaments formalisiert und Präsident Hadi – einem engen Verbündeten der USA -  sowie die Kabinettsmitglieder unter Hausarrest gestellt hatte. Sie verkündeten die Gründung eines fünfköpfigen Präsidentschafts- und eines aus 551 Mitgliedern zusammen gesetzten Übergangs-Nationalrates, die das Land regieren und in eine „neue Ära“ der Stabilität und Sicherheit führen sollten. Doch die große Schar der internen und externen Gegner beginnt sich zu formieren. Das politische Chaos droht sehr rasch den Jemen in einen offenen Bürgerkrieg zu reißen, mit gravierenden Folgen weit über die Landesgrenzen hinaus.
Um die Huthis von der Macht zu drängen, haben eine Reihe westlicher Länder, darunter Deutschland und die USA, ihre Botschaften geschlossen und die arabischen Golfstaaten appellieren eindringlich an die UNO, die Huthis , wenn nötig mit schärfsten Sanktionen, zum Rückzug von der Macht zu zwingen. Doch davon wollen die Rebellen nichts wissen und zögern auch nicht, mit Härte protestierende Bürger einzuschüchtern.
Der Zeitpunkt dieser Krise könnte für die durch die sich stetig ausbreitende islamistische Terrorgefahr extrem besorgte internationale Gemeinschaft kaum schlimmer sein. Denn der Jemen beherbergt mit der „Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel“ (AKAH) den gefährlichsten Ableger dieses Terrornetzwerkes, das u.a. auch einen der Attentäter des Anschlags gegen die Redaktion von „Charlie Hebdo“ in Paris ausgebildet hatte. Der rasante Aufstieg der bis vor wenigen Jahren im Westen völlig unbekannten Huthis bedeutet einen dramatischen Rückschlag der Anti-Terrorstrategie der USA, deren Aktionen im Jemen Präsident Obama erst jüngst als das erfolgreichste Modell präsentierte. Die nun international isolierten Huthis beteuern zwar ihre Bereitschaft zur weiteren Zusammenarbeit mit US-Sondereinheiten, die in den vergangenen Jahren bei rund hundert Droneneinsätzen gegen AKAH-Ziele hunderte Menschen, darunter unzählige Zivilisten, getötet hatten. Doch Washington traut diesen Rebellen nicht, die zwar Erzfeinde der sunnitischen Terroristen sind, ihren Sieg in Sanaa aber mit Slogans „Tod den USA, Tod Israel“ – dem zentralen Wahlspruch der „Islamischen Revolution“ im Iran, gefeiert hatten.
Die Huthi-Milizionäre mit ihrer politischen Bewegung „Ansar Allah“ (Partisanen Gottes) bekennen sich zum Zaidismus, einem Zweig des schiitischen Islam, dem etwa 30 Prozent der Bevölkerung des Jemen, im Norden des Landes konzentriert, anhängen.  Die Bewegung benennt sich nach Hussein Badr al-Din al-Huthi, der 2004 den ersten Aufstand der Zaiditen gegen die Zentralregierung leitete, um Autonomie für ihr Kernland, die nördliche Provinz Saada und den Schutz der religiösen und kulturellen Traditionen angesichts des sich ausbreitenden sunnitischen Islamisten zu erringen. Nachdem das jemenitische Militär 2004 Badr al-Din getötet hatte, übernahm die Familie die Führung von fünf weiteren Rebellionen, bis sie 2010 einen Waffenstillstand mit Sanaa schloss. Im Jahr darauf nahmen die Houthis an monatelangen Demonstrationen gegen Präsident Saleh teil und nutzten das durch die Unruhen entstandene Machtvakuum, um ihre Kontrolle in Saada und der Nachbarprovinz Amran auszuweiten und zu stärken. Nach dem Sturz Salehs 2012 nahmen sie an der  „Nationalen Dialogkonferenz“ teil. Als Präsident Hadi im Februar 2014 Pläne zur Gründung einer staatlichen Föderation von sechs Regionen verkündete, lehnten die Huthis diese Reformen ab, da sie ihrer Überzeugung nach die Minderheit im jemenitischen Staat schwächen würden. Sodann versuchten sie wieder, ihre Interessen durch militärischen Druck durchzusetzen. Sie verbündeten sich mit dem immer noch insbesondere unter den Stämmen, aber auch im Militär sehr einflußreichen Ex-Präsidenten Saleh und drangen in rasantem Tempo in das sunnitische Kernland Zentral- und Südjemens vor, bis sie schließlich im September die Hauptstadt eroberten.
Die Sympathie, die diese disziplinierten Kämpfer, die sich, wie viele Jemeniten für ökonomische und politische Reformen und vor allem gegen die seit Hadi noch schlimmer wütende Korruption engagieren, verspielten sie aber zunehmend durch arrogantes Siegesgehabe, Brutalitäten und den wachsenden Verdacht insbesondere unter konservativen sunnitischen Stämmen, die Huthis würden vom Iran unterstützt. Wieweit die Bindungen mit Teheran tatsächlich gehen, bleibt Spekulation. Doch iranische Politiker und Militärs feiern die Machtübernahme der Huthis  offen als Erfolg ihrer Expansionspolitik.
Welche Ziele die Huthis nun verfolgen ist unklar. Vorerst zeigen sie keine Bereitschaft, dem wachsenden internationalen Druck nachzugeben und Hadi die Rückkehr an die Macht zu gestatten. Vielmehr dürfte die Eroberung der Ölprovinz Marib ihr nächstes Ziel sein. Dort verkündet der Gouverneur Sultan Al-Arada Selbstverwaltung und Entschlossenheit, die Provinz und den größten Reichtum des bitterarmen Landes nach Kräften zu verteidigen.  Es könnte ein bitterer Kampf werden, denn die sunnitischen Stämme werden von Saudi-Arabien, das die Huthis als noch gefährlicher einstuft als al-Kaida, vor allem auch mit Waffen unterstützt.  Riad sieht in ihnen die Handlanger des Irans in einem harten Rivalitätskampf um die Vorherrschaft in der Region. Deshalb haben die Saudis auch keine Zeit verloren, um die Milliarden-Dollar-Unterstützung für die Regierung in Sanaa zu stoppen, die Beamtenlöhne nicht mehr bezahlen kann. Und nun droht in Marib ein neuer Stellvertreterkrieg?
Auch die drittgrößte Stadt Taif verwaltet sich bereits selbst und die südjemenitische Unabhängigkeitsbewegung wittert durch den Vormarsch der Huthis den besten Vorwand für die ersehnte Selbständigkeit.
Während Bemühungen um eine Verhandlungslösung mit den diversen politischen Fraktionen des Landes – bisher ohne geringsten Erfolg – fortgesetzt werden, dürfte – wie es im Jemen Tradition ist -  eine Einigung kaum ohne militärischen Druck erreicht werden.
In diesem Chaos besitzt die in Teilen des Südens bereits verankerte AKAH große Chance ihre Macht weiter auszubauen. In den vergangenen Tagen eroberten die Jihadis einen Armeetützpunkt in Baihan, mit vielen Waffen und rückten damit nur 50 km an die Grenze zu Marib heran.  Ein Krieg gegen die Huthis treibt immer mehr sunnitische Stämme in die Arme der kampferprobten AKAH. Aber auch dem mit Al-Kaida rivalisierende „Islamische Staat“ dürfte sich das wachsende Chaos im Jemen als einzigartige Gelegenheit bieten, um sein Herrschaftsgebiet weiter auszudehnen.
 

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