Dienstag, 24. Februar 2015

In den Fußstapfen von Dschinghis Khan

In rasantem Tempo zerstört der „Islamische Staat“ einzigartige Zeugnisse des größten Kulturerbes der Menschheit, um den „Untertanen des Kalifats“ ihre Identität zu rauben
 
 von Birgit Cerha

[Bild: Stadtmauer von Niniveh]
 
Die humanitären Tragödien, das Grauen, das islamistische Fanatiker in Syrien und im Irak verbreiten, schockiert eine weitgehend ohnmächtige Welt. Die damit einhergehende Vernichtung einzigartiger Zeugnisse des größten Kulturerbes der Menschheit findet vor dem Hintergrund von Massenmord und unendlichem Leid von Millionen Menschen nur geringe Beachtung.  Wiewohl das volle Ausmaß der Zerstörungen in den vom „Islamischen Staat“ (IS) kontrollierten Regionen Syriens und des Iraks nicht erkennbar ist, solange die Terrormiliz dort wütet, stimmen Experten mit UNESCO-Generaldirektorin Irina Bokova überein, dass  noch nie seit Beginn der Zeitrechnung ganze Kulturen in dieser „Wiege der Menschheit“ von solch totaler Zerstörung bedroht gewesen seien, wie heute. „Das gesamte immaterielle Kulturerbe der antiken christlichen Gemeinden, der Yeziden und anderer Minderheiten, deren alte Traditionen mit dem Land verwurzelt sind“, sei in höchstem Maße gefährdet.
In weniger als einem Jahr, nachdem er Iraks zweitgrößte Stadt Mosul und ein Drittel des Landes unter seine blutige Kontrolle gezwungen hatte, begann der IS mit der Vernichtung von Zeugnissen jahrhundertealter Kulturen, wie er es bereits zuvor in Syrien getan hatte. Der chaldäisch-katholische Patriarch von Bagdad, Louis Raphael Sako, vergleicht den Vormarsch der Jihadisten mit dem Mongolensturm. Die Kämpfer des IS seien aber noch grausamer als Dschinghis Khans und dessen Enkel Hulagu, der 1258 mit seinen Heerscharen Bagdad geplündert und vollends zerstört hatte. Schätzungen der Toten reichen von 100.000 bis zu einer Million. Bibliotheken mit reichen Schätzen antiker Manuskripte über historische, medizinische und andere wissenschaftliche Forschungen, wurden geplündert und die Werke im Tigris versenkt, dessen Wasser sich nach der Überlieferung durch die aufgelöste Tinte schwarz verfärbte.
Wie einst Hudalgus Kämpfer drangen IS-Schergen vor wenigen Tagen in die Zentralbibliothek von Mosul ein, schafften Tausende Bücher, darunter Märchen, Poesie, philosophische, kulturelle und wissenschaftliche Publikationen in sechs Kastenwagen, ließen nur islamisch-religiöse Werke zurück. „Die Bücher sind verboten, da sie Unglauben und Ungehorsam gegenüber Allah fördern“, begründete laut Nachrichtenagentur „AP“ einer der Militanten gegenüber Anrainern die Aktion.
 
[Bild: Nabi Younis]
 
Die von IS kontrollierten Regionen beherbergen  mehr als 4.000 archäologische Stätten, darunter  Ninive, Nimrud, Dur  Šarrukin und Assur, die Hauptstädte des assyrischen Reiches, das von 1800 bis 609 v. Chr. über dieses Land herrschte. Minarette aus dem frühen 20 Jahrhundert bis zu jahrtausendealte Kulturschätze, Grabstätten, Statuen, für Christen, Juden und Muslime bedeutende Heiligtümer hat der IS bereits zerstört oder beschädigt. Gnadenlose Besessenheit, dem von ihnen erstrebten Reich „religiöse Reinheit“, wie sie sie verstehen,  aufzuzwingen, alle Spuren des „Unglaubens“ auszumerzen treibt die Jihadis. Alle Gedenkstätten für Verstorbene sind ebenso Ziel dieser „kulturell-historischen Säuberung“, wie Statuen von Dichtern oder anderen vom Volk verehrten Persönlichkeiten. Denn nach ihrer radikal-salafistischen Überzeugung kommt die Verehrung von Toten „teuflischem“ Polytheismus gleich. Schiitische und Sufi-Heiligtümer dienten ebenso der „Götzenverehrung“ wie die Relikte aus assyrischer und  babylonischer Zeit. Zunehmend werden auch sunnitische Stätten attackiert, wenn sie vom IS nicht akzeptierten religiösen Praktiken dienen.
Der Feldzug gegen die antiken Kulturgüter dient auch der Propaganda, sollen doch Sprengungen von Moscheen, Kirchen und antiken Palästen die Macht und Unbesiegbarkeit des IS und seiner Ideologie untermauern und damit junge Kämpfer aus aller Welt anziehen.
 
IS „beraubt die Menschen ihrer Kultur, ihrer Geschichte und ihres Kulturerbes“, klagt Irina Bokova. Ziel ist die Bande zu durchtrennen, die Gemeinschaften zusammenhalten. Ziel ist der Verlust der Identität.
Doch zugleich nutzt der IS den gigantischen Reichtum an antiken Schätzen als Einkommensquelle zur Finanzierung seines barbarischen Machtstrebens.  Schon im Juni 2014 konnte der irakische Geheimdienst Beweise liefern. Hunderte Computersticks, die er einem festgenommenen IS-Jihadi abgenommen hatte enthielten Informationen, dass die Organisation – wie andere Rebellengruppen und Regierungssoldaten -  seit Beginn des Krieges in Syrien 2011 intensiv Antiquitätenschmuggel betreibt und allein mit in den Qalamoun-Bergen bei Damaskus versteckten Objekten u.a. aus dem Museum in Aleppo 36 Mio. Dollar eingenommen hatte. Seither bedient sich der IS eifrig an den reichen Schätzen im Mosul und anderen irakischen Museen, zunehmend auch an archäologischen Stätten.
Nach der Eroberung Mosuls und eines Drittels des irakischen Territoriums überließen die Jihadis zunächst Raubgrabungen Freiwilligen – häufig von Hunger bedrohten Bürgern -  und zwangen diese  zur Abgabe von „khums“ einer 20-prozentigen Steuer, die nach alter islamischer Tradition,  moslemische Soldaten auf Kriegsbeute zu entrichten hatten. Doch vor einigen Monaten nahm der IS laut Berichten aus der Region das höchst lukrative Schmuggelgeschäft direkt in die Hand, engagiert Fahrer für Lkw und Bulldozer,  die Ausgrabungsstätten nach unschätzbaren Reichtümern durchwühlen.   Das Gefundene wird dann Mittelsmännern übergeben, die gleich bezahlen und die Schätze in die Nachbarländer – insbesondere Türkei und Libanon – schmuggeln. Endziele sind Europa, die USA und Superreiche am Persischen Golf. Bürger, die jahrelang im irakischen Chaos aus eigener Kraft wertvolle Kulturgüter geschützt hatten,  werden zunehmend von IS ermordet.
 
[Bild: Buckliges Minarett in Mosul]
 
Raubgrabungen sind nichts neues in der Region, insbesondere seit Beginn der Turbulenzen nach dem Sturz des irakischen Diktators Saddam Hussein . Doch nun hat diese Form des Diebstahls nach Einschätzung von Experten ein „einzigartiges Ausmaß“ erreicht. „Diese Region“, klagt Candida Moss, Professor für Neues Testament, gegenüber der „New York Times“, „bildete seit Beginn der Geschichtsschreibung für alle großen Reiche das Zentrum der Welt.  Wir sprechen von der Geschichte zahlreicher aufeinanderfolgender Generationen an einem Ort, die nun mit einem Schlag zerstört wird.“

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