Freitag, 23. Januar 2015

Wie Abdullah Saudi-Arabien veränderte

Der verstorbene König prägte dem Land einen Stempel auf – Doch entscheidende demokratische Reformen wagte er nicht
von Birgit Cerha
„Wir haben heute nicht einen König verloren – wir verloren einen Vater.“  Tausende saudische Bürger drückten über die sozialen Netzwerke Gefühle der Liebe für ihren 91 jährigen König aus, der Freitag den Folgen einer Lungenentzündung erlegen war. Eine Minderheit verhehlte aber nicht ihre Enttäuschung oder gar ihren Zorn über einen absoluten Monarchen, der  Reformen versprochen und nur wenige in Kraft gesetzt hatte und  einer seit Monaten zunehmend brutalen Repression freien Lauf ließ.
Fast 20 Jahre an der Macht in dem strategisch wichtigsten Ölreich der Welt, hielt Abdullah ibn Abdulaziz Al Saud bis zuletzt an einem bescheidenen Lebensstil fest. Dementsprechend wurde in seinem Auftrag auch das Begräbnis dieses Mannes gestaltet, der sich energisch den traditionellen Handkuss als Symbol der Verehrung verboten hatte.
Als Abdullah als 23. Sohn des Reichsgründers Abdul Aziz Al-Saud 1995 nach einem Schlaganfall König Fahds mit den höchsten Amtsgeschäften betraut wurde, verband sich mit seiner graduellen Machtübernahme die Hoffnung, der Kronprinz, wiewohl fromm und sittenstreng, werde seine wiederholt bekundeten Reformversprechen umsetzen. Und er tat dies tatsächlich, wiewohl zögernd und sehr vorsichtig. Unter seiner Führung wandelte sich Saudi-Arabien in rasantem Tempo von tribalem Hirtennomadentum in einen fortschrittlichen kapitalistischen Staat. Wiewohl er die Macht der radikalen wahhabitischen Geistlichkeit, die dem Hause Saud ihre Machtlegitimation verliehen,  einzuschränken suchte, blieben diese bis heute die entscheidende Kraft im Königreich. So bekannte sich Abdullah zur Verteidigung der Gleichberechtigung der Frauen, konnte diese jedoch nicht einmal im Ansatz durchsetzen.  U.a. sitzen zwei Frauen seit Monaten im Gefängnis, weil sie sich dem Verbot ein Auto zu chauffieren widersetzt hatten.  Und immer noch schlägt die islamische „Sittenpolizei“ auf Frauen ein, die nicht „angemessen“ gekleidet sind, ganz zu schweigen vom barbarischen Vorgehen gegen Aktivisten, die es insbesondere im Internet wagen, ihre Sehnsüchte nach einer freien Gesellschaft, nach Achtung menschlicher Grundrechte zu äußern.
Dennoch: Abdullah hat Saudi-Arabien Veränderungen beschert: Er erlaubte Frauen, an der Kassa in Supermärkten zu arbeiten und ernannte eine Frau als stellvertretende Ministerin.  Er gründete die erste, die nach ihm benannte Universität, in der Frauen neben Männern studieren dürfen und führte 2005 Gemeinderatswahlen ein, in denen erstmals auch Frauen ihre Stimmen abgeben dürfen. – eine Entscheidung, die allerdings schließlich „wegen der sozialen Gebräuche des Königreiches“ wieder gestoppt wurde.
Als sein größtes Erbe dürfte sich allerdings sein Stipendien-Programm für Zehntausende junge – männliche, wie weibliche – Saudis erweisen, die dadurch die Möglichkeit zu Studium an westlichen Universitäten erhielten und die wohl eines Tages das Gesicht dieses autokratischen Reiches radikal verändern werden.
Durch die Rebellionen des „arabischen Frühlings“ zutiefst verängstigt, belebte er den Wohlfahrtsstaat mit einem 90 Mrd. Dollar-Paket neu und sicherte damit Stabilität. Insgesamt meisterte er einen äußerst heiklen Balanceakt zwischen der Politik, der radikalen Geistlichkeit und den Wünschen und Sehnsüchten der Bevölkerung. Zugleich betrieb er energisch die Expansion saudischen Einflusses in der Region in einem unerbittlichen Rivalitätskampf mit dem Iran und drängte die USA, den „Kopf der Schlange“ (einen nach Atomwaffen strebenden Iran) abzuhacken. Nachdem radikale, mit Al-Kaida verbündete Islamisten blutig im Königreich zugeschlagen hatten, erkannte Abdullah, dass sich das Monster, das Königreich über die Jahre zum Kampf in anderen Regionen aufgepäppelt hatte, schließlich gegen seine Gönner richten werde – ein Problem, das zu den zentralen seines Nachfolgers zählen wird.

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