Der verstorbene König prägte dem Land einen Stempel auf – Doch entscheidende demokratische Reformen wagte er nicht
von Birgit Cerha
„Wir haben heute nicht einen König verloren – wir verloren einen
Vater.“ Tausende saudische Bürger drückten über die sozialen Netzwerke
Gefühle der Liebe für ihren 91 jährigen König aus, der Freitag den
Folgen einer Lungenentzündung erlegen war. Eine Minderheit verhehlte
aber nicht ihre Enttäuschung oder gar ihren Zorn über einen absoluten
Monarchen, der Reformen versprochen und nur wenige in Kraft gesetzt
hatte und einer seit Monaten zunehmend brutalen Repression freien Lauf
ließ.
Fast 20 Jahre an der Macht in dem strategisch wichtigsten Ölreich
der Welt, hielt Abdullah ibn Abdulaziz Al Saud bis zuletzt an einem
bescheidenen Lebensstil fest. Dementsprechend wurde in seinem Auftrag
auch das Begräbnis dieses Mannes gestaltet, der sich energisch den
traditionellen Handkuss als Symbol der Verehrung verboten hatte.
Als Abdullah als 23. Sohn des Reichsgründers Abdul Aziz Al-Saud
1995 nach einem Schlaganfall König Fahds mit den höchsten Amtsgeschäften
betraut wurde, verband sich mit seiner graduellen Machtübernahme die
Hoffnung, der Kronprinz, wiewohl fromm und sittenstreng, werde seine
wiederholt bekundeten Reformversprechen umsetzen. Und er tat dies
tatsächlich, wiewohl zögernd und sehr vorsichtig. Unter seiner Führung
wandelte sich Saudi-Arabien in rasantem Tempo von tribalem
Hirtennomadentum in einen fortschrittlichen kapitalistischen Staat.
Wiewohl er die Macht der radikalen wahhabitischen Geistlichkeit, die dem
Hause Saud ihre Machtlegitimation verliehen, einzuschränken suchte,
blieben diese bis heute die entscheidende Kraft im Königreich. So
bekannte sich Abdullah zur Verteidigung der Gleichberechtigung der
Frauen, konnte diese jedoch nicht einmal im Ansatz durchsetzen. U.a.
sitzen zwei Frauen seit Monaten im Gefängnis, weil sie sich dem Verbot
ein Auto zu chauffieren widersetzt hatten. Und immer noch schlägt die
islamische „Sittenpolizei“ auf Frauen ein, die nicht „angemessen“
gekleidet sind, ganz zu schweigen vom barbarischen Vorgehen gegen
Aktivisten, die es insbesondere im Internet wagen, ihre Sehnsüchte nach
einer freien Gesellschaft, nach Achtung menschlicher Grundrechte zu
äußern.
Dennoch: Abdullah hat Saudi-Arabien Veränderungen beschert: Er
erlaubte Frauen, an der Kassa in Supermärkten zu arbeiten und ernannte
eine Frau als stellvertretende Ministerin. Er gründete die erste, die
nach ihm benannte Universität, in der Frauen neben Männern studieren
dürfen und führte 2005 Gemeinderatswahlen ein, in denen erstmals auch
Frauen ihre Stimmen abgeben dürfen. – eine Entscheidung, die allerdings
schließlich „wegen der sozialen Gebräuche des Königreiches“ wieder
gestoppt wurde.
Als sein größtes Erbe dürfte sich allerdings sein
Stipendien-Programm für Zehntausende junge – männliche, wie weibliche –
Saudis erweisen, die dadurch die Möglichkeit zu Studium an westlichen
Universitäten erhielten und die wohl eines Tages das Gesicht dieses
autokratischen Reiches radikal verändern werden.
Durch die Rebellionen des „arabischen Frühlings“ zutiefst
verängstigt, belebte er den Wohlfahrtsstaat mit einem 90 Mrd.
Dollar-Paket neu und sicherte damit Stabilität. Insgesamt meisterte er
einen äußerst heiklen Balanceakt zwischen der Politik, der radikalen
Geistlichkeit und den Wünschen und Sehnsüchten der Bevölkerung. Zugleich
betrieb er energisch die Expansion saudischen Einflusses in der Region
in einem unerbittlichen Rivalitätskampf mit dem Iran und drängte die
USA, den „Kopf der Schlange“ (einen nach Atomwaffen strebenden Iran)
abzuhacken. Nachdem radikale, mit Al-Kaida verbündete Islamisten blutig
im Königreich zugeschlagen hatten, erkannte Abdullah, dass sich das
Monster, das Königreich über die Jahre zum Kampf in anderen Regionen
aufgepäppelt hatte, schließlich gegen seine Gönner richten werde – ein
Problem, das zu den zentralen seines Nachfolgers zählen wird.
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