Donnerstag, 18. Dezember 2014

Sexuelle Gewalt: die Terrorwaffe des Jihad


Warum der „Islamische Staat“ die Barbareien gegen Frauen zum Exzess treibt und sich die islamische, die arabische und ein Teil der westlichen Welt in Schweigen hüllt
von Birgit Cerha

Und wieder eine Schreckensnachricht: Mindestens 150 Frauen, darunter Schwangere, wurden von der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS)in Iraks Provinz Anbar ermordet, weil sie sich geweigert hatten, Jihadis zu heiraten. Diese Meldung des Ministeriums für Menschenrechte in Bagdad fand, wie die Pein von Zehntausenden von IS gequälten Frauen, nur wenig Wiederhall in westlichen Medien, wo spektakuläre Enthauptungen einzelner westlicher – nicht syrischer, irakischer oder libanesischer - Geiseln Titelseiten beherrschen und regelmäßig empörte  Reaktionen hoher Politiker auslösen. Sind die internationalen Medien , sind die politischen Führer angesichts der weltweiten Intensität von Gewalt, Terror und Barbarei überfordert? Oder stecken andere Motive hinter diesem weitverbreiteten Schweigen?
Eine der wenigen Stimmen, die sich nun erhob, dringt aus dem Irak in die Welt. Die 2003 in Bagdad gegründete„Organization of Women's Freedom in Iraq (OWFI)”  richtet einen eindringlichen Appell an die von den USA geführte international Allianz gegen den IS, mehr als tausende versklavte Frauen zu befreien. Reaktionen blieben bisher aus. Nach Schätzungen des „UN-Population Fund“ sind an die 20.000 Frauen und Mädchen im Nord- und West-Irak ohne Schutz der Gefahr sexueller Gewalt ausgesetzt, darunter etwa 1.500 in sexueller Sklaverei. Nur sporadische Berichte über ihre Qualen dringen an die Öffentlichkeit, nachdem einigen (Schätzungen schwanken zwischen 50 und 300) teilweise dank der Hilfe irakisch-sunnitischer Stammesmitglieder die Flucht gelungen war.
Bei seinen Eroberungsfeldzügen geht IS stets nach demselben Operationsmuster vor. Wenn die Jihadis in ein Dorf oder eine Stadt eindringen , trennen sie Männer und Frauen voneinander. Die älteren Frauen werden, wie Vieh aneinander angekettet, auf Sklavenmärkten in Mosul oder in anderen von ihm kontrollierten Städten versteigert, andere zu Konkubinen verdammt, zwangsverheiratet und immer und immer wieder vergewaltigt, oft von mehreren Männer zugleich. Hauptopfer sind Frauen und Mädchen der yezidischen Minderheit, die IS – entgegen yezidischer Überzeugung – als Polytheisten verteufelt und die deshalb nach dieser radikalen Interpretation des Korans keinen Platz in dem zu errichtenden Kalifat haben dürfen. Rund 7000 yezidische Frauen und Mädchen sind seit einer Großattacke von IS auf diese Minderheit im Sommer vermisst. Ihre Pein lässt sich nur erahnen.
Sexuelle Brutalität wird als strategische Waffe im Krieg seit Menschengedenken angewendet. Schon Homer beschrieb sie um etwa 1000 v. Chr. in seiner „Ilias“. Auch das Alte Testament weist darauf hin. Der mongolische Heerführer Dschingis Khan entwarf eigene Vergewaltigungsstrategien, die seine Eroberungszüge zum Erfolg verhalfen. Die Praxis reicht bis in die Moderne. Sowohl die Armeen der Allierten, als auch der Achsenmächte wandten sie im Zweiten Weltkrieg an, um die zivile Bevölkerung zu terrorisieren und die gegnerischen Streitkräfte zu demoralisieren.  Afrikanische Kriege liefern reiche Beispiele und in den 1990er Jahren diente sie den Kriegstreibenden als wichtige Waffe zur ethnischen Säuberung auf dem Balkan. Selbst das Image der Supermacht USA ist damit befleckt.
Der US-Wissenschaftler Matthew Barber, der sich intensiv mit IS befasst,  hält das von der Terrormiliz „im 21. Jahrhundert wiederbelebte Sklavenprojekt“ für eine ausgeklügelte Terrorstrategie. Und als Beweis dafür ist das Bemühen der IS-Führung zu werten, diese Barbarei durch islamische Lehre zu rechtfertigen (der Koran und die Hadith – Überlieferung – gestattet die sexuelle Versklavung von besiegten „Ungläubigen“ ) und durch jüngst erlassene Verhaltensregeln im System des Kalifats zu verankern.
Die Sklavinnen werden als Kriegstrophäen tapferen Kämpfern aufgezwungen oder jüngeren Männern, um sie für den IS zu gewinnen. Der sexuelle Terror ist aber vor allem auch, betont die internationale Expertin für Frauen- und Kinderrechte Dyan Mazurana,  eine wirkungsvolle Waffe zur Zerstörung des  „gesamten Gesellschaftsgefüges“. Frauen gelten insbesondere in den konservativen orientalischen Gesellschaften als Hort der Moral und geistiger Werte. Systematisch angewendete sexuelle Gewalt werde, so Mazurana, deshalb auch als Waffe bei ethnischen Säuberungen eingesetzt, wie etwa im Balkankrieg. „Die „Zerstörung des Gefüges von Gesellschaften, Gemeinden, Familien“ könne manchmal  wirkungsvoller erreicht werden, „wenn man Frauen vergewaltigt und sie am Leben lässt“, als auf andere Weise.
Systematische sexuelle Barbarei gegen Frauen erzeugt weithin Panik, die umso größer ist, je konservativer eine Gesellschaft. Das muss die yezidische Minderheit, eine der konservativsten in der Region, nun bitter erfahren. Die Angst vor dem Grauen, das ihre kleinen Töchter erleiden könnten, trieb in die Berge von Sindschar vergangenen Sommer vor IS geflüchtete yezidische Mütter dazu, ihre Mädchen von Felsen zu stoßen?  Eine Umfrageunter jüngst im Libanon angekommenen Syrerinnen zeigte, dass die Mehrheit der Frauen Angst vor Vergewaltigung (nicht nur durch IS) in die Flucht getrieben hatte.
Für Yeziden, noch mehr als für den Rest der irakischen Gesellschaft, ist die „Reinheit“ der Frau eine Frage der „Ehre“. Vergewaltigung verletzt nach yezidischer Vorstellung diese „Ehre“ ebenso, wie freiwilliger außerehelicher Sex. Damit ist das Leid der yezidischen Sklavinnen keineswegs zuende, wenn sie ihre Freiheit erlangen. Vorerst versprechen yezidische Stammesführer, Heimkehrerinnen  nicht – wie es die Tradition will – zu stigmatisieren, sondern sie voll in die Gesellschaft aufzunehmen. Ob sie zu ihrem Wort stehen, wenn Hunderte Geschändete wieder den Schutz der Familien suchen, bleibt ebenso dahingestellt, wie die Frage was mit Schwangeren geschieht. „Es wird sehr schwierig sein, Kinder von Terroristen zu Kinder von Terroristen in der Gemeinschaft zu haben“, meint Khalida Khalil, yezidische Beraterin des Parlamentssprechers in Kurdistan. „Die Leute können das nicht akzeptieren.“ In der yezidischen Gesellschaft, wie im Irak insgesamt ist aber Abtreibung nur bei Gefahr für das Leben der Mutter gestattet.  Das Parlament des autonomen Kurdistan, wo ein Großteil der Flüchtlinge Unterschlupf fand, erwägt nun eine Gesetzesänderung, die Abtreibung nach Vergewaltigung gestatten soll.
Die durch Massenvertreibung selbst traumatisierten yezidischen Familien fühlen sich zerrissen zwischen dem Mitgefühl für ihre gequälten Frauen und Töchter und den ihr Leben bis heute regelnden Stammeskodexe von „Ehre“ und „Familienschande“, die jetzt in einer Intensität infrage gestellt werden wie nie zuvor.
„Die Frauen brauchen Schutz“, betont „OWFI“ und eröffnete „Frauenhäuser“ in von IS besetzten Gebieten, um den Opfern mit Rat und praktischer Hilfe beizustehen. Zugleich beklagt die Organisation, dass die Diskussion über sexuelle Gewalt als Kriegswaffe in der gesamten arabischen und islamischen Welt immer noch als Tabu gilt. Appelle an hohe islamische Institutionen, darunter Al Azhar in Kairo, eine „Fetwa“ (ein islamisches Rechtsgutachten) gegen sexuelle Sklaverei  zu erlassen, blieben unbeantwortet.
Um die Menschheit im 21. Jahrhundert von dieser uralten Schande des Einsatzes der „Kriegswaffe Sex“, die Terroristen ebenso anwenden, wie hochehrbare Strategen, endlich zu befreien, bedarf es einer internationalen Initiative. Die kurdische Menschenrechtsaktivistin Nazand Begikhani  drängt auf den Einsatz einer internationalen Kommission, die den von IS verübten systematischen Terror gegen Frauen und die yezidische Gemeinschaft im Irak insgesamt dokumentiert. Sie müsste damit beginnen, endlich das Schweigen zu durchbrechen, sexuelle Gewalt als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anzuprangern. Vergewaltigung und sexueller Missbrauch an Frauen überdauert seit Jahrtausenden. Gleichgültigkeit fördert ihren Fortbestand.

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