Warum der „Islamische Staat“ die Barbareien gegen Frauen zum Exzess
treibt und sich die islamische, die arabische und ein Teil der
westlichen Welt in Schweigen hüllt
von Birgit Cerha
Und wieder eine Schreckensnachricht: Mindestens 150 Frauen,
darunter Schwangere, wurden von der Terrormiliz des „Islamischen
Staates“ (IS)in Iraks Provinz Anbar ermordet, weil sie sich geweigert
hatten, Jihadis zu heiraten. Diese Meldung des Ministeriums für
Menschenrechte in Bagdad fand, wie die Pein von Zehntausenden von IS
gequälten Frauen, nur wenig Wiederhall in westlichen Medien, wo
spektakuläre Enthauptungen einzelner westlicher – nicht syrischer,
irakischer oder libanesischer - Geiseln Titelseiten beherrschen und
regelmäßig empörte Reaktionen hoher Politiker auslösen. Sind die
internationalen Medien , sind die politischen Führer angesichts der
weltweiten Intensität von Gewalt, Terror und Barbarei überfordert? Oder
stecken andere Motive hinter diesem weitverbreiteten Schweigen?
Eine der wenigen Stimmen, die sich nun erhob, dringt aus dem Irak
in die Welt. Die 2003 in Bagdad gegründete„Organization of Women's
Freedom in Iraq (OWFI)” richtet einen eindringlichen Appell an die von
den USA geführte international Allianz gegen den IS, mehr als tausende
versklavte Frauen zu befreien. Reaktionen blieben bisher aus. Nach
Schätzungen des „UN-Population Fund“ sind an die 20.000 Frauen und
Mädchen im Nord- und West-Irak ohne Schutz der Gefahr sexueller Gewalt
ausgesetzt, darunter etwa 1.500 in sexueller Sklaverei. Nur sporadische
Berichte über ihre Qualen dringen an die Öffentlichkeit, nachdem einigen
(Schätzungen schwanken zwischen 50 und 300) teilweise dank der Hilfe
irakisch-sunnitischer Stammesmitglieder die Flucht gelungen war.
Bei seinen Eroberungsfeldzügen geht IS stets nach demselben
Operationsmuster vor. Wenn die Jihadis in ein Dorf oder eine Stadt
eindringen , trennen sie Männer und Frauen voneinander. Die älteren
Frauen werden, wie Vieh aneinander angekettet, auf Sklavenmärkten in
Mosul oder in anderen von ihm kontrollierten Städten versteigert, andere
zu Konkubinen verdammt, zwangsverheiratet und immer und immer wieder
vergewaltigt, oft von mehreren Männer zugleich. Hauptopfer sind Frauen
und Mädchen der yezidischen Minderheit, die IS – entgegen yezidischer
Überzeugung – als Polytheisten verteufelt und die deshalb nach dieser
radikalen Interpretation des Korans keinen Platz in dem zu errichtenden
Kalifat haben dürfen. Rund 7000 yezidische Frauen und Mädchen sind seit
einer Großattacke von IS auf diese Minderheit im Sommer vermisst. Ihre
Pein lässt sich nur erahnen.
Sexuelle Brutalität wird als strategische Waffe im Krieg seit
Menschengedenken angewendet. Schon Homer beschrieb sie um etwa 1000 v.
Chr. in seiner „Ilias“. Auch das Alte Testament weist darauf hin. Der
mongolische Heerführer Dschingis Khan entwarf eigene
Vergewaltigungsstrategien, die seine Eroberungszüge zum Erfolg
verhalfen. Die Praxis reicht bis in die Moderne. Sowohl die Armeen der
Allierten, als auch der Achsenmächte wandten sie im Zweiten Weltkrieg
an, um die zivile Bevölkerung zu terrorisieren und die gegnerischen
Streitkräfte zu demoralisieren. Afrikanische Kriege liefern reiche
Beispiele und in den 1990er Jahren diente sie den Kriegstreibenden als
wichtige Waffe zur ethnischen Säuberung auf dem Balkan. Selbst das Image
der Supermacht USA ist damit befleckt.
Der US-Wissenschaftler Matthew Barber, der sich intensiv mit IS
befasst, hält das von der Terrormiliz „im 21. Jahrhundert wiederbelebte
Sklavenprojekt“ für eine ausgeklügelte Terrorstrategie. Und als Beweis
dafür ist das Bemühen der IS-Führung zu werten, diese Barbarei durch
islamische Lehre zu rechtfertigen (der Koran und die Hadith –
Überlieferung – gestattet die sexuelle Versklavung von besiegten
„Ungläubigen“ ) und durch jüngst erlassene Verhaltensregeln im System
des Kalifats zu verankern.
Die Sklavinnen werden als Kriegstrophäen tapferen Kämpfern
aufgezwungen oder jüngeren Männern, um sie für den IS zu gewinnen. Der
sexuelle Terror ist aber vor allem auch, betont die internationale
Expertin für Frauen- und Kinderrechte Dyan Mazurana, eine wirkungsvolle
Waffe zur Zerstörung des „gesamten Gesellschaftsgefüges“. Frauen
gelten insbesondere in den konservativen orientalischen Gesellschaften
als Hort der Moral und geistiger Werte. Systematisch angewendete
sexuelle Gewalt werde, so Mazurana, deshalb auch als Waffe bei
ethnischen Säuberungen eingesetzt, wie etwa im Balkankrieg. „Die
„Zerstörung des Gefüges von Gesellschaften, Gemeinden, Familien“ könne
manchmal wirkungsvoller erreicht werden, „wenn man Frauen vergewaltigt
und sie am Leben lässt“, als auf andere Weise.
Systematische sexuelle Barbarei gegen Frauen erzeugt weithin Panik,
die umso größer ist, je konservativer eine Gesellschaft. Das muss die
yezidische Minderheit, eine der konservativsten in der Region, nun
bitter erfahren. Die Angst vor dem Grauen, das ihre kleinen Töchter
erleiden könnten, trieb in die Berge von Sindschar vergangenen Sommer
vor IS geflüchtete yezidische Mütter dazu, ihre Mädchen von Felsen zu
stoßen? Eine Umfrageunter jüngst im Libanon angekommenen Syrerinnen
zeigte, dass die Mehrheit der Frauen Angst vor Vergewaltigung (nicht nur
durch IS) in die Flucht getrieben hatte.
Für Yeziden, noch mehr als für den Rest der irakischen
Gesellschaft, ist die „Reinheit“ der Frau eine Frage der „Ehre“.
Vergewaltigung verletzt nach yezidischer Vorstellung diese „Ehre“
ebenso, wie freiwilliger außerehelicher Sex. Damit ist das Leid der
yezidischen Sklavinnen keineswegs zuende, wenn sie ihre Freiheit
erlangen. Vorerst versprechen yezidische Stammesführer, Heimkehrerinnen
nicht – wie es die Tradition will – zu stigmatisieren, sondern sie voll
in die Gesellschaft aufzunehmen. Ob sie zu ihrem Wort stehen, wenn
Hunderte Geschändete wieder den Schutz der Familien suchen, bleibt
ebenso dahingestellt, wie die Frage was mit Schwangeren geschieht. „Es
wird sehr schwierig sein, Kinder von Terroristen zu Kinder von
Terroristen in der Gemeinschaft zu haben“, meint Khalida Khalil,
yezidische Beraterin des Parlamentssprechers in Kurdistan. „Die Leute
können das nicht akzeptieren.“ In der yezidischen Gesellschaft, wie im
Irak insgesamt ist aber Abtreibung nur bei Gefahr für das Leben der
Mutter gestattet. Das Parlament des autonomen Kurdistan, wo ein
Großteil der Flüchtlinge Unterschlupf fand, erwägt nun eine
Gesetzesänderung, die Abtreibung nach Vergewaltigung gestatten soll.
Die durch Massenvertreibung selbst traumatisierten yezidischen
Familien fühlen sich zerrissen zwischen dem Mitgefühl für ihre gequälten
Frauen und Töchter und den ihr Leben bis heute regelnden Stammeskodexe
von „Ehre“ und „Familienschande“, die jetzt in einer Intensität infrage
gestellt werden wie nie zuvor.
„Die Frauen brauchen Schutz“, betont „OWFI“ und eröffnete
„Frauenhäuser“ in von IS besetzten Gebieten, um den Opfern mit Rat und
praktischer Hilfe beizustehen. Zugleich beklagt die Organisation, dass
die Diskussion über sexuelle Gewalt als Kriegswaffe in der gesamten arabischen und
islamischen Welt immer noch als Tabu gilt. Appelle an hohe islamische
Institutionen, darunter Al Azhar in Kairo, eine „Fetwa“ (ein islamisches
Rechtsgutachten) gegen sexuelle Sklaverei zu erlassen, blieben
unbeantwortet.
Um die Menschheit im 21. Jahrhundert von dieser uralten Schande des
Einsatzes der „Kriegswaffe Sex“, die Terroristen ebenso anwenden, wie
hochehrbare Strategen, endlich zu befreien, bedarf es einer
internationalen Initiative. Die kurdische Menschenrechtsaktivistin
Nazand Begikhani drängt auf den Einsatz einer internationalen
Kommission, die den von IS verübten systematischen Terror gegen Frauen
und die yezidische Gemeinschaft im Irak insgesamt dokumentiert. Sie
müsste damit beginnen, endlich das Schweigen zu durchbrechen, sexuelle
Gewalt als „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ anzuprangern.
Vergewaltigung und sexueller Missbrauch an Frauen überdauert seit
Jahrtausenden. Gleichgültigkeit fördert ihren Fortbestand.
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