Mit Kultur und Sport auf dem Weg zu einer regionalen „Großmacht“ – Doch die Strategie des Zwergstaates schafft nicht nur Freunde
von Birgit Cerha
Wenn die Sonne am Horizont versinkt, wandeln sich die Türme aus
Glas und Stahl in ein atemberaubendes Leuchtfeuer. Die funkelnden
Strahlen, die sich aus den modernsten Wolkenkratzern Dohas in den Himmel
strecken symbolisieren die Kraft und den maßlosen Ehrgeiz eines
Zwergstaates, den nichts auf seinem Weg zu einer regionalen Großmacht
von internationaler Bedeutung blockieren soll. Die kaum 300.000
Nachkommen der bitterarmen Perlenfischer auf der winzigen Halbinsel im
Persischen Golf sind heute mit einem Pro--Kopf-Einkommen von 100.000
Dollar im Jahr die reichsten der Welt, während sich jene, die ihnen die
Luxusbauten schaffen (1,8 Millionen Gastarbeiter) überwiegend mit
Hungerlöhnen begnügen müssen. Dien gigantischen Aufstieg ermöglichten
die riesigen Öl- und die weltweit drittgrößten Gasvorkommen, die den
Ministaat von einem Viertel der Fläche Belgiens zum größten Exporteur
von Flüssiggas machen. Das Land sitzt auf einem Staatsfonds von 190 Mrd.
Dollar.
Feraris, Porsches und Bentleys brausen auf der Corniche entlang der
Küste, wo sich die Jugend des glitzernden Emirats mit Wettfahrten die
Zeit vertreibt. Doha gilt heute als eine der sichersten Städte der Welt.
Nach internationalem Standard herrscht hier keine Armut. Jeder
Staatsbürger lebt in klimatisierten Räumen. Neben eindrucksvollen, von
berühmten Architekten geplanten Gebäuden, wie das Museum of Islamic Art,
sind heute Teile Katars eine riesige Baustelle. Eifrig bereitet man
sich mit einem Budget von 200 Mrd. Dollar auf das größte Ereignis seiner
Geschichte vor: den Worldcup 2022. Das Zentrum der historischen Stadt
wird neu aufgebaut. Wetteifernd mit Dubai entsteht „Pearl Island“, eine
riesige künstliche Insel im Norden von Doha, die bis zu 200.000 Menschen
künftiger Generationen in einer der trockensten Regionen der Welt ein
attraktives Leben bieten soll. „Wir wollen das Monte Carlo des
Persischen Golfs werden“, schwärmen Mitglieder des Herrscherhauses.
„Der Worldcup wird einen Maßstab für Exzellenz setzen, der
unmöglich zu übertreffen sein wird“, verkündet Sportminister Salah bin
Ghanem bin Nasser. „Dieses positive Ereignis“ werde „der Jugend neue
Hoffnung geben. Und in unverkennbarem Stolz fügt der Minister hinzu:
„Gott helfe dem Land, das den World Cup nach uns beherbergen wird.“
Damit die Ausgaben nicht ins Gigantische explodieren, hat man bei
den Plänen zurück gesteckt. Zwar will man auf das erste voll
klimatisierte Stadion der Welt nicht verzichten, doch die Zahl der
anderen geplanten Stadien wurde von zwölf auf acht reduziert. Zugleich
aber wird das Herrscherhaus nicht müde, den Schutz der Traditionen in
diesem Wettstreit mit den Exzessen der Moderne zu betonen. Katars
Staatsreligion ist der puritanische Wahhabismus, der den Boden für den
blutigen Radikalismus der Al-Kaida und des Islamischen Staates (IS)
bereitete. Alkohol bleibt (ausgenommen in einigen wenigen Luxushotels)
ebenso verboten, wie außerehelicher und Sex und Homosexualität. Die
Rechte der Frauen wurden zwar ein wenig liberalisiert, sind aber immer
noch eng begrenzt. Daran soll nach den Vorstellungen des Herrscherhauses
auch nicht gerüttelt werden.
„Weiche Macht“ (im Gegensatz zu Militärmacht) soll den Kataris, die
nur ein Siebentel der Gesamtbevölkerung stellen, das Überleben in
einer zunehmend turbulenten Region garantieren. Diese Vision seines
Vaters, Scheich Hamad bin Khalifa al Thani, der im Juni 2013 die Macht
an ihn übergeben hatte, leitet auch den 34-jährigen in England
ausgebildeten Herrscher Tamim. Hinter den Kulissen ziehen der Vater,
vor allem aber auch Tamims Mutter und Hamads zweite Frau, Scheicha Mousa
weiterhin die Fäden. Mit ihrer Stiftung „Qatar Foundation for
Education, Science and Community Development“ übt sie weiterhin starken
Einfluss im Emirat aus Sie gilt als die leuchtendste Figur am Persischen
Golf, die entscheidende Kraft hinter dem spektakulären Aufschwung des
Landes. Ihre Tochter Mayassa folgt als Leiterin der „Qatar Museums
Authority“ in ihre Fußstapfen. Mit einem jährlichen Budget von einer
Mrd. Dollar stattet sie die Museen Jahr für Jahr mit weiteren
Kunstschätzen aus aller Welt aus und erwarb sich den Titel „Mächtigste
Frau in der Welt der Kunst“ .
Freundschaft mit allen, Vermittler in Krisen, sind neben
Kultur,Sport und Investitionen im Westen eine Säule der „weichen Macht“
Katars, die den Weg zu regionalpolitischer Bedeutung ebnen soll. Wieso
dieser gigantische Ehrgeiz? Leiden die Herrscher des Ministaates, so
fragen Skeptiker, etwa am „Napoleon-Komplex“ (dieser auch auf Staaten
übertragene Begriff für das Verhalten von Menschen, die ihre kleine
Körpergröße durch von außen sichtbare Erfolge und Statussymbole zu
kompensieren suchen)?
Doch die Motive sind vielfältiger. So bietet sich Katar an als
„Auffanglager für alle Unterdrückten“ Der prominenteste radikale
Geistliche der Moslembruderschaft, Yusuf Abdullah al-Qaradawi, findet im
Emirat ebenso eine neue Heimat, wie der Chef der islamistischen
palästinensischen Hamas oder linke arabische Intellektuelle. Insgesamt
leben heute an die 20 Figuren der internationalen Terrorszene in Katar,
das als einziger Staat der Welt den afghanischen Taliban eine
Repräsentanz eröffnete, Waffen zur islamistischen „Ansar al-Sharia“ nach
Libyen flog, wo diese Extremistenorganisation 2012 den US-Botschafter
ermordete, und dem Finanzfluss reicher Kataris zu „IS“ nicht Einhalt
gebieten kann oder will. All dies, während die Al-Thanis das
Hauptquartier der US-Truppen in Nahost beherbergen, mit Investitionen in
gigantischer Höhe (allein in Deutschland 14 Mrd. Euro) um die Gunst des
Westens buhlen und sich der von den USA geführten internationalen
Allianz gegen IS anschlossen. In der Unterstützung radikaler Gruppen vom
Schlage des „IS“ sieht das Herrscherhaus jedoch einen offenbar
unverzichtbaren Schutz davor, auch eines Tages Zielscheibe dieser nach
Regionalherrschaft strebenden Terrororganisation zu werden.
Böse Zungen halten Katar für einen der doppelzüngigsten Staaten der
Welt: liberal, moderat und modern nach außen, traditionalistisch,
autokratisch und repressiv im Inneren. So sehr sich die Al-Thanis auch
um den Import westlichen Know-hows und westlicher Kultur bemühen, von
westlich-demokratischen, humanistischen Werten halten wenig. Fast hätte
FIFA dem Emirat für den Worldcup 2022 den Rücken gekehrt, nachdem
Amnesty International systematische Misshandlungen von asiatischen
Bauarbeitern in skandalösem Ausmaß aufgedeckt hatte und zugleich auch
Berichte über einen Bestechungsskandal bei der Vergabe des weltweit
größten Sportereignisses bekannt wurden. Reformen der Gesetze, die
Hunderttausende Arbeiter in ein lebensbedrohendes Sklavendasein zwingen,
wurden bis heute nur versprochen. Und mit heimischen Kritikern geht das
sich so modern gebende Herrscherhaus nicht weniger zimperlich um. Das
musste der Dichter Mohammed al Ajani erfahren, als er wegen
„Beleidigung des Emirs“ 2012 zu lebenslanger Haft (unterdessen auf 15
Jahre „abgemildert“) verurteilt worden war.
Dennoch: im Wohlwollen der westlichen Welt sieht Katar seine
Sicherheit verankert. Die irakische Invasion Kuwaits 1990 hat auch das
winzige Emirat traumatisiert, das seit langem Expansionsgelüste des
saudischen Nachbarn fürchtet. Sich für den Westen, der 1991 nicht vor
einem Krieg zur Befreiung Kuwait zurückgescheut war – durch
Investitionen und den Aufbau einer ökonomischen, intellektuellen,
kulturellen und sportlichen Drehscheibe in der Region - unentbehrlich
zu machen, erscheint den Al-Thanis als die sicherste Überlebensgarantie
für ihr glitzerndes Reich.
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