Dienstag, 16. Dezember 2014

Katar: Getrieben vom „Napoleon-Komplex“

Mit Kultur und Sport auf dem Weg zu einer regionalen „Großmacht“ – Doch die Strategie des Zwergstaates schafft nicht nur Freunde
 
 von Birgit Cerha

Wenn die Sonne am Horizont versinkt, wandeln sich die Türme aus Glas und Stahl in ein atemberaubendes Leuchtfeuer. Die funkelnden Strahlen, die sich aus den modernsten Wolkenkratzern Dohas in den Himmel strecken symbolisieren die Kraft und den maßlosen Ehrgeiz eines Zwergstaates, den nichts auf seinem Weg zu einer regionalen Großmacht von internationaler Bedeutung blockieren soll.  Die kaum 300.000 Nachkommen der bitterarmen Perlenfischer auf der winzigen Halbinsel im Persischen Golf sind heute mit einem Pro--Kopf-Einkommen von 100.000 Dollar im Jahr die reichsten der Welt, während sich jene, die ihnen die Luxusbauten schaffen (1,8 Millionen Gastarbeiter) überwiegend mit Hungerlöhnen begnügen müssen. Dien gigantischen Aufstieg ermöglichten die riesigen Öl- und die weltweit drittgrößten Gasvorkommen, die den Ministaat von einem Viertel der Fläche Belgiens zum größten Exporteur von Flüssiggas machen. Das Land sitzt auf einem Staatsfonds von 190 Mrd. Dollar.
Feraris, Porsches und Bentleys brausen auf der Corniche entlang der Küste, wo sich die Jugend des glitzernden Emirats mit Wettfahrten die Zeit vertreibt. Doha gilt heute als eine der sichersten Städte der Welt. Nach internationalem Standard herrscht hier keine Armut. Jeder Staatsbürger lebt in klimatisierten Räumen. Neben eindrucksvollen, von berühmten Architekten geplanten Gebäuden, wie das Museum of Islamic Art, sind heute Teile Katars eine riesige Baustelle. Eifrig bereitet man sich mit einem Budget von 200 Mrd. Dollar auf das größte Ereignis seiner Geschichte vor:  den Worldcup 2022. Das Zentrum der historischen Stadt wird neu aufgebaut. Wetteifernd mit Dubai entsteht „Pearl Island“, eine riesige künstliche Insel im Norden von Doha, die bis zu 200.000 Menschen künftiger Generationen in einer der trockensten Regionen der Welt ein attraktives Leben bieten soll. „Wir wollen das Monte Carlo des Persischen Golfs werden“, schwärmen Mitglieder des Herrscherhauses.
„Der Worldcup wird einen Maßstab für Exzellenz setzen, der unmöglich zu übertreffen sein wird“, verkündet Sportminister Salah bin Ghanem bin Nasser. „Dieses positive Ereignis“ werde „der Jugend neue Hoffnung geben. Und in unverkennbarem Stolz fügt der Minister hinzu: „Gott helfe dem Land, das den World Cup nach uns beherbergen wird.“
Damit die Ausgaben nicht ins Gigantische explodieren, hat man bei den Plänen zurück gesteckt. Zwar will man auf das erste voll klimatisierte Stadion der Welt nicht verzichten, doch die Zahl der anderen geplanten Stadien wurde von zwölf  auf acht reduziert. Zugleich aber wird das Herrscherhaus nicht müde, den Schutz der Traditionen in  diesem Wettstreit mit den Exzessen der Moderne zu betonen. Katars Staatsreligion ist der puritanische Wahhabismus, der den Boden für den blutigen Radikalismus der Al-Kaida und des Islamischen Staates (IS) bereitete. Alkohol bleibt (ausgenommen in einigen wenigen Luxushotels) ebenso verboten, wie außerehelicher und Sex und Homosexualität. Die Rechte der Frauen wurden zwar ein wenig liberalisiert, sind aber immer noch eng begrenzt. Daran soll nach den Vorstellungen des Herrscherhauses auch nicht gerüttelt werden.
„Weiche Macht“ (im Gegensatz zu Militärmacht) soll den Kataris, die nur ein Siebentel  der Gesamtbevölkerung  stellen, das Überleben in einer zunehmend turbulenten Region garantieren. Diese Vision seines Vaters, Scheich Hamad bin Khalifa al Thani, der im Juni 2013 die Macht an ihn übergeben hatte, leitet auch den 34-jährigen in England ausgebildeten Herrscher Tamim.  Hinter den Kulissen ziehen der Vater, vor allem aber auch Tamims Mutter und Hamads zweite Frau, Scheicha Mousa weiterhin die Fäden.  Mit ihrer Stiftung „Qatar Foundation for Education, Science and Community Development“ übt sie weiterhin starken Einfluss im Emirat aus Sie gilt als die leuchtendste Figur am Persischen Golf, die entscheidende Kraft hinter dem spektakulären Aufschwung des Landes. Ihre Tochter Mayassa folgt als Leiterin der „Qatar Museums Authority“ in ihre Fußstapfen. Mit einem jährlichen Budget von einer Mrd. Dollar stattet sie die Museen Jahr für Jahr mit weiteren Kunstschätzen aus aller Welt aus und erwarb sich den Titel „Mächtigste Frau in der Welt der Kunst“ .
Freundschaft mit allen, Vermittler in Krisen, sind neben Kultur,Sport und Investitionen im Westen eine Säule der „weichen Macht“ Katars, die den Weg zu regionalpolitischer Bedeutung ebnen soll. Wieso dieser gigantische Ehrgeiz? Leiden die Herrscher des Ministaates, so fragen Skeptiker, etwa am „Napoleon-Komplex“   (dieser auch auf Staaten übertragene Begriff für das Verhalten von Menschen, die ihre kleine Körpergröße durch von außen sichtbare Erfolge und Statussymbole zu kompensieren suchen)?
Doch die Motive sind vielfältiger. So bietet sich Katar an als „Auffanglager für alle Unterdrückten“ Der prominenteste radikale Geistliche der Moslembruderschaft, Yusuf Abdullah al-Qaradawi, findet im Emirat ebenso eine neue Heimat, wie der Chef der islamistischen palästinensischen Hamas oder linke arabische Intellektuelle. Insgesamt leben heute an die 20 Figuren der internationalen Terrorszene in Katar, das als einziger Staat der Welt den afghanischen Taliban eine Repräsentanz eröffnete, Waffen zur islamistischen „Ansar al-Sharia“ nach Libyen flog, wo diese Extremistenorganisation 2012 den US-Botschafter ermordete, und dem Finanzfluss reicher Kataris zu „IS“ nicht Einhalt gebieten kann oder will. All dies, während die Al-Thanis das Hauptquartier der US-Truppen in Nahost beherbergen, mit Investitionen in gigantischer Höhe (allein in Deutschland 14 Mrd. Euro) um die Gunst des Westens buhlen und sich der von den USA geführten internationalen Allianz gegen IS anschlossen. In der Unterstützung radikaler Gruppen vom Schlage des „IS“ sieht das Herrscherhaus jedoch einen offenbar unverzichtbaren Schutz davor, auch eines Tages Zielscheibe dieser nach Regionalherrschaft strebenden Terrororganisation zu werden.
 
Böse Zungen halten Katar für einen der doppelzüngigsten Staaten der Welt: liberal, moderat und modern nach außen, traditionalistisch, autokratisch und repressiv im Inneren. So sehr sich die Al-Thanis auch um den Import westlichen Know-hows und westlicher Kultur bemühen, von westlich-demokratischen, humanistischen  Werten halten wenig. Fast hätte FIFA dem Emirat für den Worldcup 2022 den Rücken gekehrt, nachdem Amnesty International systematische Misshandlungen von asiatischen Bauarbeitern in skandalösem Ausmaß aufgedeckt hatte und zugleich auch Berichte über einen Bestechungsskandal bei der Vergabe des weltweit größten Sportereignisses bekannt wurden. Reformen der Gesetze, die Hunderttausende Arbeiter in ein lebensbedrohendes Sklavendasein zwingen, wurden bis heute nur versprochen. Und mit heimischen Kritikern geht das sich so modern gebende Herrscherhaus nicht weniger zimperlich um. Das musste der Dichter  Mohammed al Ajani erfahren, als er wegen „Beleidigung des Emirs“ 2012 zu lebenslanger Haft (unterdessen auf 15 Jahre „abgemildert“) verurteilt worden war.
Dennoch: im Wohlwollen der westlichen Welt sieht Katar seine Sicherheit verankert. Die irakische Invasion Kuwaits 1990 hat auch das winzige Emirat traumatisiert, das seit langem Expansionsgelüste des saudischen Nachbarn fürchtet. Sich für den Westen, der 1991 nicht vor einem Krieg zur Befreiung Kuwait zurückgescheut war  – durch Investitionen und den Aufbau einer ökonomischen, intellektuellen, kulturellen und sportlichen Drehscheibe in der Region  - unentbehrlich zu machen, erscheint den Al-Thanis als die sicherste Überlebensgarantie für ihr glitzerndes Reich.

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