Teheran
wagt offene Militäraktion im Irak und „stillschweigende Partnerschaft“
mit dem Erzfeind USA, um seinen Machtanspruch zu demonstrieren
von Birgit Cerha
Die Mitglieder der „Ummah (islamische Gemeinschaft) sollten sich nicht gegenseitig befehden, sondern einander in wichtigen globalen Fragen unterstützen.“ Solch eindringliche Ermahnungen, in bemerkenswerter Häufigkeit jüngst von Irans „Geistlichem Führer“, Ayatollah Khamenei, ausgesprochen, lassen die steigende Nervosität der Herrscher im schiitischen “Gottesstaat“ angesichts der wachsenden Radikalität sunnitischer Extremisten nahe ihrer Staatsgrenzen erkennen. Ein halbes Jahr, seit die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ (IS) Iraks zweitgrößte Stadt, Mosul, erobert hatte, bleiben diese barbarischen Gewalttäter trotz mancher Rückschläge, im Irak, wie auch in Syrien fest verankert und rückendem Iran immer näher. Der mehrfache Einsatz eines F-4 Phantom Kampfflugzeuges aus der in den 1970er Jahren von den Amerikanern dem Schah gelieferten Flotte, gegen IS-Positionen in der ostirakischen Provinz Diyala ist Ausdruck dieser Nervosität, zugleich aber eine Demonstration iranischen Machtanspruchs in dem mehrheitlich von Schiiten bewohnten Nachbarstaat.
Alle
Seiten, Bagdad, Washington und Teheran, vermeiden klare Stellungnahmen
zu einer Entwicklung, die die Erzfeinde USA und Iran nach 35 Jahren
erstmals an eine gemeinsame Front bringt. Beide betonen, es gäbe keine
direkten Absprachen. Koordination zur Vermeidung einer auch nur
unbeabsichtigten direkten Konfrontation zwischen amerikanischen und
iranischen Flugzeugen, die angesichts der kritischen Phase in den
Atomgesprächen dramatische Auswirkungen haben könnte, findet allerdings
zweifellos über die Bagdader Führung statt. Wiewohl US-Außenminister
Kerry offen iranische Attacken gegen IS begrüßt, birgt ein größeres
Militärengagement Teherans die enorme Gefahr, Iraks Sunniten wieder
verstärkt in die Arme von IS zu treiben und Washingtons wichtige
sunnitische Verbündete, insbesondere Saudi-Arabien, zu erzürnen. Doch
Teheran will nun angesichts der Präsenz von Tausenden
US-Militärberatern, des Einsatzes amerikanischer und anderer NATO-Jets
im Nachbarstaat und in dem Land seines Bündnispartners Syrien seine
entscheidende Rolle bei der Gestaltung der Zukunft dieser beiden
strategisch so wichtigen Staaten dokumentieren. Zugleich geht es Irans
Führung auch darum, Iraks Premier Abadi, der jüngst bei Personalrochaden
enge Verbündete des Irans aus der Administration und der Militärführung
entlassen hatte, eine unmissverständliche Warnung zu erteilen.
Doch
Teherans Sorge geht weit über die Entwicklungen in Syrien und im Irak
hinaus. Der Iran sieht den mörderischen Aufstieg von IS als Teil eines
die gesamte Region umfassenden „Gegenschlags“ der Sunniten (die weltweit
80 Prozent der 1,6 Milliarden Muslime stellen) gegen das unter seiner
Führung jahrzehntelang betriebene Vormachtstreben der schiitischen
Minderheit (von höchstens 15 Prozent). Ein Alptraum der die Geistlichen
im Iran seit langem quält.
Die
Gefahr droht nicht nur aus Irak und Syrien. Sie droht auch aus ferneren
Ländern wie dem Jemen, wo eben der iranische Botschafter nur knapp
einem Terroranschlag entging, dem
Libanon, wo ebenfalls die diplomatische Mission jüngst attackiert wurde,
sondern aus den östlichen Nachbarstaaten Pakistan und Afghanistan.
Mehrere in Pakistan stationierte Kommandanten der afghanischen
radikal-sunnitischen Taliban bezeugten IS ihre Loyalität, während IS
eine „Tochtergruppe“ in Pakistan („Ansar Daulat-e Islamia fil Pakistan“ )
gründete und eifrig um Mitglieder wirbt. Pakistan ist seit drei
Jahrzehnten wichtigstes Zentrum des vom saudischen Wahabismus
beeinflussten sunnitischen Extremismus, der Schiiten als mit dem Tode zu
bestrafenden „Häretiker“ verteufelt. Tausende Schiiten wurden in den
vergangenen Jahren in Pakistan getötet. Besonders beunruhigen den Iran
die Entwicklungen in der Nachbarprovinz Belutschistan, wo sich
sunnitische Belutschen zunehmend gegen die Schiiten radikalisieren. Rund
zehn Millionen Belutschen leben in Pakistan und in der bitterarmen
iranischen Grenzprovinz Sistan-Belutschistan. Dort verbreitet eine
jüngst neugebildete Terrorgruppe ‚“Jaish al-Adl“ Terror insbesondere
gegen iranische Sicherheitskräfte. Sie sympathisiert mit IS und findet
Nährboden unter der bitterarmen, unter der krassen Diskriminierung durch das schiitische Regime leidenden sunnitischen Bevölkerung.
Ein Krieg an allen Fronten könnte den unter internationalen Sanktionen schwer leidenden Iran bald völlig überfordern.
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