Der „Tag der Massenproteste“ am Freitag droht in ein Blutbad auszuarten – Ein Test für die Stärke der Radikalen am Nil
von Birgit Cerha
Gepanzerte Fahrzeuge beziehen Positionen in den Straßen von Kairo
und anderer ägyptischer Städte, spezielle Einsatztruppen der
Sicherheitskräfte stehen im ganzen Land in Alarmbereitschaft. Denn für
heute, Freitag, haben radikale Islamisten unter Führung der
„Salafistischen Front“ (SF) zum Beginn der „islamischen Revolution“ der
„muslimischen Jugend“ aufgerufen, um die „islamische Identität“ Ägyptens
„zu retten“. Die Führer der vom Regime seit dem Sturz Präsident Mursis
im Juli 2013 massiv unterdrückten Moslembruderschaft haben sich, ebenso
wie einige andere islamistische Organisationen, dem Appell zur
Massenmobilisation angeschlossen. Ein Blutbad, wie es Ägypten seit
mindestens einem Jahr nicht mehr erlebte, wird befürchtet. Denn beide
Seiten - radikale Islamisten, ebenso wie das Regime – sehen in dieser
Kraftprobe eine existenzielle Bedrohung.
„Wir werden Korane durch jede Straße tragen. Wir sind in der Lage
uns gegen jede Konfrontation der Sicherheitskräfte zu verteidigen.
Tausende Jugendliche werden unserem Aufruf folgen“, gibt sich Khaled
Said, Koordinator der „Salafistischen Front“ zuversichtlich und
ignoriert Appelle gemäßigterer Islamisten, wie jene der Sisi
unterstützenden salafistischen Nour-Partei, sich jeglicher Gewalt zu
enthalten. Ganz im Gegenteil. Offen ist von einem Plan die Rede, die
Sicherheitskräfte gleich nach dem Freitags-Morgengebet, im Schutz der
Dämmerung, zu attackieren und zu massiven Gegenschlägen zu provozieren.
Die Bilder brutal auf Demonstranten einschlagender Polizisten würden
nach den Vorstellungen der Organisatoren vor allem die westliche Welt
schockieren, Amerikaner und Europäer zu verstärkten Druck auf Staatschef
Al-Sisi unmittelbar nach seiner ersten Europareise bewegen, wo er mit
Kritik an den gravierenden Verletzungen der Menschenrechte konfrontiert
wurde, die Schraube der Repression zu lockern.
Doch alle Anzeichen lassen das Gegenteil erkennen, zumal „SF“ den
Sturz Sisis und die Rückkehr des Moslembruders Mursi offen zu ihrem
Ziel deklariert. Die radikalen Islamisten werfen dem vom Militär
gestützten Regime vor, den Islam zu „beleidigen, Morgengebete „zu
verbieten“. In den Schulen würde den Kindern „sexuelle Perversion“
gelehrt, während das Regime heute bessere Beziehungen zu Israel
unterhielte als zum eigenen Volk.
Allerdings dürfte immer noch ein beträchtlicher Teil der
Bevölkerung den sich zum neuen Diktator gemauserten einstigen General in
der Hoffnung unterstützen, dem Land nach fast vier Jahren blutiger
Turbulenzen Ruhe, Normalität und endlich die so dringend nötige
wirtschaftliche Erholung zu bescheren. Zu diesem Ziel nehmen auch viele
Ägypter gnadenlose Repressionen in Kauf.
Aus Angst vor einer blutigen Konfrontation mit den Demonstranten
wurden seit Tagen unzählige potentielle Demonstranten verhaftet. Die
Verurteilung von 78 Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren zu bis zu
fünf Jahren Gefängnis, weil sie – angeblich – in Alexandria bei einer
Kundgebung die Rückkehr Mursis an die Macht gefordert hatten, aber
schockiert nicht nur Menschenrechtsaktivisten. Zugleich zog das Regime
Mittwoch die Schraube der Repression noch fester an. Das Kabinett
billigte Mittwoch den Entwurf eines neuen Anti-Terrorgesetzes, das dem
Staat fast unumschränkte Macht zum Verbot von Gruppen und Organisationen
erteilt, die nach einer langen Liste von „Vergehen“, darunter auch
gewaltlosen, als terroristisch eingestuft werden. Auf der Basis eines
vor einem Jahr erlassenen Demonstrationsgesetzes, das Kundgebungen an
die Genehmigung durch die Polizei knüpft, wurden Tausende Menschen
verhaftet und neben Islamisten zunehmend auch Mitglieder der säkularen
und liberalen Opposition, darunter führende Vertreter der
Demokratieaktivisten, die Diktator Mubarak 2011 gestürzt hatten, zu
Gefängnis verurteilt.
Beobachter entwerfen für diese Kraftprobe zwei möglich Szenarien,
die beide Aufschluss über die Stärke radialer, gewaltbereiter Kräfte am
Nil geben:
- Islamisten drängen in großen Zahlen in die Straßen. Es kommt zu einem Blutbad mit unabsehbarem Ausgang.
- Die Massen bleiben aus, was die tiefe Spaltung der islamistischen Bewegung erkennen läßt und deren Unfähigkeit sich gegen den neuen Diktator zu mobilisieren.
Wie immer der Freitag zu Ende geht, was viele Ägypter, wie den
Journalisten Maged Atef, zutiefst irritiert ist die Tatsache, dass
„erstmals in der modernen Geschichte Ägyptens, Phrasen wie
Religionskrieg“ im politischen Aktivismus auftauchen. Atef sieht darin
einen deutlichen Einfluss der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ und
gleichgesinnter Kräfte in Syrien auf das volkreichste arabische Land.
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