Donnerstag, 27. November 2014

Islamisten rufen zur „Islamischen Revolution“ in Ägypten

Der „Tag der Massenproteste“ am Freitag droht in ein Blutbad auszuarten – Ein Test für die Stärke der Radikalen am Nil
 
von Birgit Cerha

Gepanzerte Fahrzeuge beziehen Positionen in den Straßen von Kairo und anderer ägyptischer Städte, spezielle Einsatztruppen der Sicherheitskräfte stehen im ganzen Land in Alarmbereitschaft. Denn für heute, Freitag, haben radikale Islamisten unter Führung der  „Salafistischen Front“ (SF) zum Beginn der „islamischen Revolution“ der „muslimischen Jugend“ aufgerufen, um die „islamische Identität“ Ägyptens „zu retten“.  Die Führer der vom Regime seit dem Sturz Präsident Mursis im Juli 2013 massiv unterdrückten Moslembruderschaft haben sich, ebenso wie einige andere islamistische Organisationen, dem Appell zur Massenmobilisation angeschlossen. Ein Blutbad, wie es Ägypten seit mindestens einem Jahr nicht mehr erlebte, wird befürchtet. Denn beide Seiten -  radikale Islamisten, ebenso wie das Regime – sehen in dieser Kraftprobe eine existenzielle Bedrohung.
„Wir werden Korane durch jede Straße tragen. Wir sind in der Lage uns gegen jede Konfrontation der Sicherheitskräfte zu verteidigen. Tausende Jugendliche werden unserem Aufruf folgen“, gibt sich Khaled Said, Koordinator der „Salafistischen Front“ zuversichtlich und ignoriert Appelle gemäßigterer Islamisten, wie jene der Sisi unterstützenden salafistischen Nour-Partei, sich jeglicher Gewalt zu enthalten. Ganz im Gegenteil. Offen ist von einem Plan die Rede, die Sicherheitskräfte gleich  nach dem Freitags-Morgengebet, im Schutz der Dämmerung, zu attackieren und zu massiven Gegenschlägen zu provozieren. Die Bilder brutal auf Demonstranten einschlagender Polizisten würden nach den Vorstellungen der Organisatoren vor allem die westliche Welt schockieren, Amerikaner und Europäer zu verstärkten Druck auf Staatschef Al-Sisi unmittelbar nach seiner ersten Europareise bewegen, wo er mit Kritik an den gravierenden Verletzungen der Menschenrechte konfrontiert wurde, die Schraube der Repression zu lockern.
Doch alle Anzeichen lassen das Gegenteil erkennen, zumal „SF“ den Sturz Sisis und die Rückkehr des Moslembruders Mursi  offen zu ihrem Ziel deklariert. Die radikalen Islamisten werfen dem vom Militär gestützten Regime vor, den Islam zu „beleidigen, Morgengebete „zu verbieten“. In den Schulen würde den Kindern „sexuelle Perversion“ gelehrt, während das Regime heute bessere Beziehungen zu Israel unterhielte als zum eigenen Volk.
Allerdings dürfte immer noch ein beträchtlicher Teil der Bevölkerung den sich zum neuen Diktator gemauserten einstigen General in der Hoffnung unterstützen, dem Land nach fast vier Jahren blutiger Turbulenzen Ruhe, Normalität und endlich die so dringend nötige wirtschaftliche Erholung zu bescheren. Zu diesem Ziel nehmen auch viele Ägypter gnadenlose Repressionen in Kauf.
Aus Angst vor einer blutigen Konfrontation mit den Demonstranten wurden seit Tagen unzählige potentielle Demonstranten verhaftet. Die Verurteilung von 78 Jugendlichen zwischen 13 und 17 Jahren  zu bis zu fünf Jahren Gefängnis, weil sie – angeblich – in Alexandria bei einer Kundgebung die Rückkehr Mursis an die Macht gefordert hatten, aber schockiert nicht nur Menschenrechtsaktivisten.  Zugleich zog das Regime Mittwoch die Schraube der Repression noch fester an. Das Kabinett billigte Mittwoch den Entwurf eines neuen Anti-Terrorgesetzes, das dem Staat fast unumschränkte Macht zum Verbot von Gruppen und Organisationen erteilt, die nach einer langen Liste von „Vergehen“, darunter auch gewaltlosen, als terroristisch eingestuft werden.  Auf der Basis eines vor einem Jahr erlassenen Demonstrationsgesetzes, das Kundgebungen an die Genehmigung durch die Polizei knüpft,  wurden Tausende Menschen verhaftet und neben Islamisten zunehmend auch Mitglieder der säkularen und liberalen Opposition, darunter führende Vertreter der Demokratieaktivisten, die Diktator Mubarak 2011 gestürzt hatten, zu Gefängnis verurteilt.
Beobachter entwerfen für diese Kraftprobe zwei möglich Szenarien, die beide Aufschluss über die Stärke radialer, gewaltbereiter Kräfte am Nil geben:
  • Islamisten drängen in großen Zahlen in die Straßen. Es kommt zu einem Blutbad mit unabsehbarem Ausgang.
  • Die Massen bleiben aus, was die tiefe Spaltung der islamistischen Bewegung erkennen läßt und deren Unfähigkeit sich gegen den neuen Diktator zu mobilisieren.
Wie immer der Freitag zu Ende geht, was viele Ägypter, wie den Journalisten Maged Atef, zutiefst irritiert ist die Tatsache, dass „erstmals in der modernen Geschichte Ägyptens,  Phrasen wie Religionskrieg“ im politischen Aktivismus auftauchen. Atef sieht darin einen deutlichen Einfluss der Terrormiliz des „Islamischen Staates“ und gleichgesinnter Kräfte in Syrien auf das volkreichste arabische Land.

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