Sonntag, 30. November 2014

Ägyptisches Gericht spricht Mubarak frei


Das Urteil vollendet die Konterrevolution des Militärs und ebnet den Weg zu einer neuen Macht-Allianz mit der „alten Garde“
 
Von Birgit Cerha

Mit steinerner Miene trat der 86-jährige 2011 gestürzte Diktator Ägyptens, Hosni Mubarak, Samstag nach fast vier Jahren seinen Weg in die Freiheit an, nachdem ein Kairoer Berufungsgericht ihn von dem Vorwurf der Beihilfe zum fast hundertfachen Mord freigesprochen und die Verurteilung zu lebenslanger Haft in erster Instanz vom Juni 2012 wegen „politischer Motivation“ verworfen hatte. Mubarak sei  für den Tod von mehr als 800 regierungskritischen Demonstranten Anfang 2011 nicht verantwortlich, ebensowenig sein mitangeklagter damaliger Innenminister Adly, sowie sechs führende Sicherheitsoffiziere. Auch Mubaraks beide wegen Korruption bereits verurteilte Söhne wurden freigesprochen. Das als „Jahrhundertprozess“  gefeierte Verfahren, das erste seiner Art in der arabischen Welt gegen einen gestürzten Despoten, entglitt so zur Farce.
Er habe „nichts falsch gemacht“, verteidigte der kränkliche Greis in einem anschließenden Telefongespräch seine von Machtmissbrauch, Korruption und Menschenrechtsverletzungen geprägte 30-jährige Präsidentschaft. Ägyptens neue Diktatur hat den gefallenen Diktator rehabilitiert.
Doch die zornigen Massen, die am 11. Februar nach nur elf Tagen der Proteste den „Pharao“ von der Macht gejagt und euphorisch den Beginn einer neuen Ära  der Demokratie für Ägypten und andere arabische Staaten gefeiert hatten, blieben nun aus, als die Justiz das Ende der demokratischen Revolution besiegelte. Höchstens 3.000 Menschen wagten es am Wochenende, den scharfen Warnungen des Regimes und einem Großaufgebot schwerbewaffneter Sicherheitskräfte zu trotzen  und gegen die Freilassung Mubaraks zu protestieren. Politische Analysten überrascht das Urteil nicht. Die Begründung mangelnder Beweise für die massenweise Tötung von Demonstranten durch schießwütige Sicherheitskräfte sei glaubhaft, da regimetreue Kreise genügend Zeit gehabt hätten, alle relevanten Unterlagen zu vernichten, meint der Menschenrechtsaktivist Said Sadek. Zudem spiegelt das Urteil den Stimmungswandel am Nil.
Das Militär hatte den einstigen Offizier im Präsidentenstuhl im Februar 2011 erstaunlich rasch fallengelassen, um den Volkszorn voll auf Mubarak zu lenken und seine führende Position im staatlichen Machtsystem – einer Allianz zwischen den Streitkräften und einflussreichen Clans – nicht zu gefährden. Mubarak war selbst für die Streitkräfte zum Problem geworden, nachdem er mit der Tradition brechen und seinen Sohn Gamal - und nicht einen Offizier – zu seinem Nachfolger küren wollte. Eine Allianz mit der stärksten politischen Kraft, der Moslembruderschaft unter der Präsidentschaft Mohammed Mursis, sollte die erhoffte Stabilität wiederbringen und den Streitkräften ihre Privilegien sichern. Doch Mursis katastrophale einjährige Herrschaft machte alle Hoffnungen zunichte, trieb das Land an den Rand des Bürgerkrieges. Das Schreckgespenst einer islamistischen Diktatur quält bis heute die eine Hälfte Ägyptens, während der ehemalige General und heutige Präsident Al-Sisi die andere Hälfte des Volkes – die Moslembrüder und all ihre Sympathisanten, aber zunehmend auch die säkularen, liberalen und linken Revolutionäre -  mit einer Brutalität verfolgt, die selbst die Repressionen Mubaraks in den Schatten stellt. So verwundert es nicht, dass unter Ägyptern eine wehmütige Sehnsucht nach der Ära des gestürzten Diktators erwacht, gemischt mit politischer Apathie und totaler Erschöpfung nach fast vierjährigen revolutionären Turbulenzen und den Existenzsorgen durch eine kollabierende Wirtschaft.
Angesichts dieser Stimmung konnte das Regime die Freilassung Mubaraks, seiner Söhne und zahlreicher führender Persönlichkeiten der „alten Garde“ wagen, ohne eine nur schwer zu kontrollierende Rebellion zu riskieren. Zudem öffnet es damit das Tor zu einer Neuauflage der Allianz zwischen den Streitkräften und der alten Garde, von der einige führende Repräsentanten bereits wichtige Position im Herrschaftsapparat Sisis bekleiden. So wurde jüngst auch der wegen Korruption inhaftierte Politiker und Wirtschaftsmagnat Ahmed Ezz ohne größeres Aufsehen freigelassen. Er engagiert sich unterdessen eifrig für die Neuorganisation der aufgelösten „Nationalen Demokratie Partei“ Mubaraks, um ihr bei den für Anfang 2015 geplanten Parlamentswahlen die Mehrheit und den damit der alten Garde die volle Rückkehr in die führenden Positionen des Staates zu sichern.

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