Montag, 20. Oktober 2014

Wie groß ist Al-Baghdadis Anziehungskraft in der arabischen Welt?

Umfrage in wichtigen arabischen Staaten zeigt, dass die Terrormiliz des „Islamischen Staates“ keine Massenbewegung aufbauen kann – Doch die USA bleiben ungeliebt
 
von Birgit Cerha
 
Kann der vom irakischen Terrorchef Abu Bakr al-Baghdadi am 29. Juni im syrischen und irakischen Grenzgebiet ausgerufene „Islamischen Staat“ (IS) unterdrückte, frustrierte, von ihren Herrschern und  vom Westen enttäuschte sunnitische Glaubensbrüder der Region auf der Suche nach einer „gerechteren Welt“ in Massen anziehen? Diese Frage beschäftigt Politiker und Analysten in besonderem Maße, seit „IS“ trotz alliierter Luftschläge sein „Reich“ immer mehr vergrößert. Eine vom „Washington Institute for Near East Policy“ in Auftrag gegebene Umfrage in drei pro-westlichen arabischen Länder zeigt eine fast vollständige Ablehnung der Terrororganisation selbst unter der sunnitischen Bevölkerung.
Die Umfrage, die erste ihrer Art, wurde von einem in Nahost führenden Meinungsforschungsinstitut unter in Ägypten, Saudi-Arabien und im Libanon lebenden Bürgern durchgeführt und ergab eindeutig, dass IS in allen drei Ländern selbst unter Sunniten kaum Unterstützung findet. In Ägypten äußerten sich nur drei Prozent positiv über IS, in Saudi-Arabien fünf. Im Libanon zeigte unter der christlichen, schiitischen und drusischen Bevölkerung nicht ein einziger Befragter Sympathie für die Terrorgruppe, die selbst unter Sunniten nur ein Prozent auf Zustimmung stößt.
Dennoch weisen die Autoren auf den Unterschied zwischen „keine“ und „fast keine Unterstützung“ hin. Denn in Ägypten sind es immerhin 1,5 Millionen (drei Prozent der Bevölkerung), die al-Baghdadis Botschaft billigen, in Saudi-Arabien eine halbe Million (fünf Prozent) und selbst im kleinen Libanon einige tausend. Dies, so das „Washington Institute“, sei „ausreichend, um zumindest einigen Zellen ernstzunehmender Unruhestifter“ Unterschlupf zu bieten.
Die fast einhellige Opposition gegen IS richtet sich aber nicht automatisch auch gegen andere – weniger brutale - islamistische Organisationen. So zeigt ein Drittel der ägyptischen Bevölkerung Sympathie für die palästinensische, gewaltsam gegen die brutale israelische Besatzungspolitik rebellierende „Hamas“, in Saudi-Arabien sogar 52 Prozent. Überraschend ist nach Ansicht der Autoren die breite Unterstützung (in Ägypten 35, in Saudi-Arabien 31 Prozent) der Moslembruderschaft, obwohl diese von beiden Regimes unerbittlich bekämpft und verteufelt wird.
Im Libanon, wo fast die gesamte Bevölkerung IS ablehnt, finden andere islamistische Gruppen teilweise – je nach Konfessionszugehörigkeit – breite Zustimmung. 92 Prozent der schiitischen Mehrheit sympathisieren mit der schiitischen Hisbollah und auch erstaunliche 40 Prozent der Christen, dagegen nur acht Prozent der Sunniten.
Doch die starke Ablehnung von IS bedeutet nicht automatisch große Unterstützung der USA. In Ägypten und Saudi-Arabien billigen nur jeweils zwölf Prozent die US-Politik, im Libanon 39 Prozent der Christen, 30 Prozent der Sunniten und Drusen und nur drei Prozent der Schiiten. Zugleich empfinden in Ägypten und Saudi-Arabien nur zwölf und 14 Prozent der Bevölkerung Sympathie für die Erzfeinde von IS, das syrische und iranische Regime, unter den Schiiten des Libanons sind es 96 und 97, unter den Sunniten zwölf Iran und 14 Prozent, während 37 Prozent der Christen gegenüber dem Iran „ziemlich positiv“ eingestellt sind und sogar 47 Prozent gegenüber Syriens Diktator Assad, in dem nicht wenige den „Beschützer“ gegen die Brutalitäten islamistischer Extremisten sehen.
David Pollock, Direktor des „Fikra Forum“ (einer Online-Plattform zur Förderung demokratischen Gedankengutes in der arabischen Welt und des Meinungsaustausches mit Entscheidungsträgern in den USA) zieht aus diesen Umfrageergebnissen den Schluss, dass nicht mit der Entwicklung einer Massenbewegung von IS-Anhängern in den Nachbarländern der von der Terrormiliz derzeit kontrollierten Regionen zu rechnen sei und eben so wenig mit Massenprotesten gegen die Luftangriffe der Alliierten, Voraussetzung sei allerdings, dass sich diese ausschließlich auf Ziele der IS konzentrierten und nicht auch auf andere islamistische Gruppen.
 

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